Ach Mensch, ist schon eine richtig doofe Situation, oder?
Hier noch ein paar Gedanken.
Zitat von FräuleinLuisa:Ich habe meinen Vater bis zu diesem einen Wochenende nicht dort rein projeziert, nicht bewusst jedenfalls.
Fehlendes Bewußtsein, dafür daß man immer wieder ein bestimmtes Muster verfolgt ist Teil des Problems. Allerindings auch nur die halbe Miete, steht schließlich auf jeder Kippenschachtel, daß das Zeug umbringt, trotzdem gibt es keinen, der das liest und sagt, ach so ist das, na dann höre ich auf. Schwupps.
Also es gibt etwas, das wird das erneute Ausagieren von Kindheitstrauma genannt. Sehr komplexes Thema, aber die Idee dahinter ist, daß wir uns unbewußt immer und immer wieder in bestimmte Situationen bringen, die wir in der Kindheit erlebt haben, um diese nunmehr zu einem guten Ende zu bringen. Dabei muß es sich nicht immer um das Offensichtliche handeln. (Es wird nicht unbedingt bei Dir darum gehen, nen Mann zum nichttrinken zu bewegen).
Vielmehr suchen wir uns Symbole und versuchen dann, was damals so schief ging, nunmehr zu heilen. Ein großer Punkt dabei ist der Schmerz und auch eine Form von Schuldgefühl, die wir bis heute verspüren, daß allein unser bitten, unsere Existenz unser sein, nicht genug war, um den Elternteil zu heilen.
Als Erwachsene wissen wir natürlich, daß dies nicht geht. Wir kennen all die hübschen Statistiken, Fachbegriffe und beherrschen inzwischen auch Logik, aber Schmerz, wut und Verletzung sind nun mal Logik, Statistik und Fachbegriffen nicht zugänglich.
Zitat von FräuleinLuisa:Du hast Recht, die alten Verletzungen waren in dem Moment sofort alle wieder da.
Das wiederum ist exakt, was man unter Trigger versteht. Trigger sind um so schlimmer, je weniger der Schmerz und die Verletzung von damals gelebt werden durfte.
Das Problem ist Folgendes: Sie verhindern selbstbestimmtes Leben. Schau mal, du kannst dir bis zum St.Nimmerleins-Tag einreden, daß nur der richtige Mann vorbeikommen muß, nämlich der, der keine Trigger bei dir auslöst, aber Du bleibst fremdbestimmt.
Dies in zweierlei Hinsicht, das oben beschriebene ausagieren bedeutet, daß Du unbewußt ganz bestimmte Typen, Situationen etc. attraktiv findest, das allein macht schon weniger wahrscheinlich, daß der richtige, eine mal kommt und es bedeutet auch, daß Du für den Rest Deines Lebens damit zu bringst Trigger zu vermeiden.
Trigger sind schmerzhaft, dieser Schmerz ist tief, daher ist er extrem unangenehm, dementsprechend, wollen wir die Situation zu schnell wie möglich verlassen.
Du hast nicht mal die faktische Möglichkeit, dich dafür zu entscheiden, die Situation nicht zu verlassen und das unangenehme Gefühl vielleicht auszuhalten.
Weißt du, was daran die größte Tragik ist? Das ist eine Form von Fremdbestimmung, die du kennst, weil sie auch typisch für eine Suchterkrankung ist. Das ist die unendliche Tragik: so wie Dein Vater vermieden hat ohne Stoff dazustehen, vermeidest Du jetzt bestimmte Situationen.
Ist es nicht fürchterlich traurig, wie wir doch alle immer wieder eben auch die Muster unserer Eltern wiederholen? Richtig mies, oder?
Zitat von FräuleinLuisa:Ich vermisse meinen Vater, ich hab ihn wirklich abgöttisch geliebt aber ihn komplett an die Sucht verloren. Aus Selbstschutz hab ich den Kontakt vor 10 Jahren komplett abgebrochen weil das alles zu weh tat. Therapiert habe ich das im Erwachsenenalter nicht und dachte, die Zeit regelt den Schmerz schon.
Ich fühle mit dir. Wir stellen uns immer vor, daß, wenn wir den Vater, die Mutter hassen würden, es uns leichter fiele. Wir sind verzweifelt und verwirrt, weil man den Täter ja nicht lieben darf.
Und wir haben Angst, daß wenn wir uns dem ganzen Ausmaß des Schmerzes stellen würden, wir hinterher nicht mehr lieben könnten. Wir haben Angst hinzuschauen, wie furchtbar, die, die wir lieben, dann eben auch waren.
Aber das ist der Punkt: AUCH.
Schwarz-weiß-Denken ist typisch für Suchterkrankungen und es ist ebenso typisch für Kinderdenken, die einen können nicht mehr differenzieren, die anderen können es noch nicht.
Luisa, viele von uns hatten nicht so ideale Eltern, manche von uns grausame, die meisten von uns haben sie dennoch geliebt und wir suchen, manchmal mit der Verzweiflung von Kindern, ihre Taten und unsere Gefühle für sie in Einklang zu bringen.
Und es ist möglich!
Zitat von FräuleinLuisa:Aber ich scheue mich doch sehr, diese gut weg gesperrten Erinnerungen und Schmerzen aufarbeiten zu lassen
Aufarbeiten zu lassen? Nee, Du bist nicht kaputt und man repariert Dich, du arbeitest unter Aufsicht an dir selbst. Von lassen kann also keine Rede sein. Von gut weggesperrt kann übrigens auch keine Rede sein, wenn Du dir mal diesen Threadverlauf durchliest. Die sucht Deines Vaters bestimmt Dein Handeln im hier und jetzt, weggesperrt nenn ich das nicht.
Es tut mir unendlich leid, daß Dein Vater zur Flasche gegriffen hat. Suchterkrankung ist häufig ein extrem fehlgeleiteter Versuch Emotionen zu regulieren. Es ist überaus tragisch, daß dies Bestandteil Deiner Kindheit war. Extrem.
Aber schau mal genau hin und frage dich aufrichtig, ob es Bestandteil war oder eben Dein Leben noch immer bestimmt. Das muß es nicht.
Wenn Du dir ein Bein brichst, dann klebst Du doch nicht einfach ein Pflaster drauf und sagst, na gut, dann werde ich eben hinken. Du schleppst dich auch nicht voller Schmerz humpelnd von A nach B und Du weißt doch auch, daß so ein Bein dann geschient werden muß, weil es sonst nie wieder richtig und ordentlich verheilt.
Nein, du gehst zum Arzt, das Bein wird geröntgt, damit man sich den Schaden mal genauer anschaut, dann wird es ordentlich geschient, vielleicht auch operiert.
Tut das weh? Natürlich tut das weh.
Es ist auch nicht witzig, mal 6-12 Wochen mit einem Gips rumzulaufen, aber würdest Du deshalb sagen, nö ich laß das Bein nicht untersuchen?
So wie du dir ein Bein brichst und man dir hinterher hilft, so gibt es auch Möglichkeiten, mit dem, was Dir als Kind passiert ist, Umgang zu lernen.
Wozu?
Weil Selbstbestimmung eine wirklich feine Sache ist.
Du hast mein wirklich großes Mitgefühl.