Hallo zusammen,
ich hatte gestern nach Monaten voller Trennungsschmerzen ein Date mit einem Herren aus dem Onlinedating. Ich hatte mich schon gewundert, dass er kein Foto eingestellt hat und bat darum doch eines einzustellen, denn immerhin habe ich auch ein Foto in meinem Profil. Er lud eines hoch, ich war genauso schlau wie vorher, denn er trug einen Hut.
Wir schrieben einige Wochen; er war nett, höflich und aufmerksam. Er bat mich um ein Treffen. Ich sagte nach einigem Zögern zu, denn warum weiterschreiben, wenn es nirgendwo hin führt. Dabei stellte sich heraus, dass er mehr als 100 km entfernt wohnt, was ich doch für eine reale Kennenlernphase sehr bedenklich hielt. Er wollte dennoch fahren, sodass ich eine Verabredung vorschlug. Er kam mit dem Auto, ich versprach ihn am Bahnhof abzuholen. Da wartete ich dann und nahm ihn in Empfang.
Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr jemanden seht, der so gar nicht euer Typ ist? Ich kenne es seit gestern. Am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre in den nächsten Zug nach nirgendwo gestiegen. Er kam mit Halbglatze und grauen Strähnchen, schüttelt mir die Hand, die zittert ohne Ende und schwitzig ist, ich führe ihn also zur ausgesuchten Bar und plaudere, ob er gut angekommen ist und wie die Fahrt war. Er redet über den ewigen Regen und wie schön es hier ist. In der Bar bestellen wir Getränke und er starrt mich einfach nur an mit glänzenden Augen. Ich fühle mich unwohl.
Ich nippe an meinem Getränk und weiß auf den ersten Blick, dass ich mit ihm nie zusammen sein will. Auch wenn er nett und einfühlsam schreibt, zu nett. Er redet davon, dass er zum ersten Mal mit 36 Jahren eine Beziehung sucht, was bisher nicht möglich war, weil er sich immer um seine Familie gekümmert hat, die ihm nie dankbar war. Anstatt wie vorgegeben ein Unternehmen zu leiten, ist er dort Sachbearbeiter. Mittlerweile hat er seinen beruflichen Ehrgeiz erkannt und will sich beruflich verändern. Vielleicht studieren, vielleicht in eine andere Branche. Ich erzähle höflich über meinen Job, dass ich viel von zu Hause aus arbeiten darf. Das findet er toll, am besten sucht er sich auch einen Job zu Hause, dann können wir beide von dort arbeiten und unsere Pausen gemeinsam verbringen. Und es ist doch perfekt, wenn ich arbeite und er nebenbei studiert. Ich bekomme langsam ein ungutes Gefühl.
Er redet davon, dass er auch privat umziehen will, weil bei ihm einfach nichts los ist und die nächstgrößere Stadt zu weit weg ist. Er würde sofort in meine Stadt ziehen, er ist zwar das erste Mal hier, aber findet es super. Ob ich ihm danach noch den Park zeige. Ich lehne dankend ab, weil ich vorher schon betont habe, dass ich erstmal nicht möchte. Er lädt mich gleich zu einer Fahrt zu seiner Familie in die Stadt M. ein. Ich fühle mich mehr als unwohl.
Ich erzähle, dass ich mir demnächst eine ETW kaufen werde. Er will mich davon abbringen, da die Zinsen doch so hoch sind, ich nicht weiß wo ich demnächst beruflich arbeiten werde und in einer Beziehung bespricht man das doch gemeinsam. Ob ich nicht Interesse an einem kleinen Haus habe, er kennt sich damit aus und ist handwerklich begabt. Und wir sind doch beide so perfektionistisch veranlagt, wenn eine Wand nicht ordentlich gestrichen ist, bessern wir das aus. Ich bekomme Panik.
Er bestellt sich ein Dessert obwohl er doch auf seine Linie achten will und fragt mich, ob ich einen zweiten Löffel will. Ich lehne dankend und höflich ab.
Ich will einfach nur noch weg. Mir fällt auf, dass mein Getränk leer ist und meine Hand immer noch verschwitzt ist und ich will einfach nur sagen, dass ich mich nicht wohl fühle, alles beende und nun gehen werde. Aber er sieht mich einfach nur an, löffelt am Dessert herum und spricht darüber wie glücklich entfernte Verwandte im hohen Alter sind, die keine Kinder haben, für den Fall, dass ich das nicht will.
Ich sehe, dass er weiterredet, aber ich höre es nicht mehr. Ich stehe kurz auf, frage, ob er etwas dagegen hat, wenn ich mir kurz die Hände waschen gehe und nehme meine Tasche. Ich zahle an der Theke mein Getränk und stehe in der Tür - links oder rechts. Ich gehe nach links, mein Herz klopft bis zum Hals bis ich um die nächste Straßenecke bin, zum Stehen komme und endlich wieder Luft habe. Ich sage mir, kehre sofort um, sag ihm die Wahrheit, sei höflich, jeder Mensch hat Respekt verdient, du würdest das auch nicht wollen. Ich renne los und nehme bewusst nicht die Straße, die wir auf dem Hinweg genommen haben, ich komme am Bahnhof zum stehen, drehe mich entsetzt um und gehe weiter. Erst als ich im Auto sitze, losfahre und endlich die Autobahn erreicht habe, wird mein Puls langsamer und mir ist nicht mehr schlecht.
Ich fühle mich einerseits furchtbar, andererseits habe ich kein schlechtes Gewissen.
31.07.2023 17:41 •
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