Ich kann nicht glauben, dass ich mich gerade in diesem Forum befinde. Seit vorgestern kommt es mir so vor, als würde ich die Welt durch eine trübe Kameralinse sehen. Surreal. Emotionen aller Art stürmen seit zwei Tagen auf mich ein und ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen. In ein paar Stunden ist auch bei meinen zwei besten Kumpels Feierabend, die dann gleich zu mir kommen. Ich habe den ganzen Tag lang versucht entweder Ruhe zu finden oder etwas zu tun, egal was, aber seit ich wach bin sitze ich in der Wohnung, fühle mich ausgebrannt. Irgendwie bin ich nun hier gelandet. Vielleicht wird es mir helfen zu reden. Ich möchte einerseits nicht mehr daran denken und zugleich muss ich es ununterbrochen. Also von vorne.
Seit 6 1/2 Jahren bin ich mit meiner Freundin zusammen. Wir wohnen seit vier Jahren zusammen, haben Heiratspläne (in zwei, drei Jahren). Hatten zwischendurch auch mal Tiefen, gerade in den letzten Monaten aber viele Höhen. Wir sind Partnern in so vielen Bereichen, nicht nur in der Liebe selbst sondern auch in privaten Projekten, hin und wieder hatten wir auch mal in derselben Firma gearbeitet. Wie auch in den letzten neun Monaten. Sie hat hier ihren Traumjob gefunden und wurde nach einem Jahr fest angestellt. Digitale Entertainmentbranche, rund 200 Leuten arbeiten hier, viele auf Projektbasis, Festanstellungen sind heiß umstritten. Nach einem Jahr bekam sie eine feste Position. Etwa zur selben Zeit stieß ich dazu, eher als Notlösung, da mir die Arbeitsbedingungen nicht so zusagen, gerade mit befristetem Vertrag. Aber es waren doch spaßige Monate, zum Teil sind die Menschen hier unreif, aber man hat sich auch schnell mit vielen angefreundet, schnell sind große Freundschaftskreise entstanden.
Selbst mit dem Leiter unserer Teams, damit sowohl ihr als auch mein Vorgesetzter.
Am Mittwoch verbrachte ich den Morgen beim Einwohnermeldeamt, um eine Formalität abzuklären und um danach ins Büro zu gehen. Termin erledigt. Ich war kaum zur Tür des Amtes raus, als mein Handy klingelte. Zu meiner Überraschung war am anderen Ende die Verlobte unseres Teamleiters. Die hatte ich bislang zweimal bei größeren Ausgehrunden getroffen und konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, welchen Grund sie hätte mich anzurufen.
In dem Moment hatte ich bereits ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend. Als würde ein Auto auf einen zukommen, ohne das man ausweichen kann. Und dann der Aufprall.
Die Verlobte hat am letzten Wochenende herausgefunden, dass meine Freundin und unser Vorgesetzter eine Affäre haben. Seit Monaten schon. ER zunächst behauptet es sei eine einmalige Sache gewesen, ein dummer Fehler und Ausrutscher. Seien Verlobte hat zu dem Zeitpunkt gedacht, sie könne die Sache möglicherweise verzeihen und vergessen, darum erst die späte Meldung bei mir. In den anschließenden Kreuzverhören gestand ER dann schließlich, dass es schon seit Monaten so geht. Sie hat ihre Konsequenzen gezogen und hat ihn verlassen. ER hat gefleht und Versprechungen gemacht. Ihr war es egal. Sie wollte, dass ich auch Bescheid weiß.
Wie reagiert man auf eine solche Nachricht? Es ist knapp zwei Tage her und ich weiß es ehrlich gesagt nicht mehr. So ein dumpfes Gefühl, als wäre einem eben ein schwerer Gegenstand auf den Kopf gefallen. Kein klares Denken möglich, als wäre man betäubt. Ich glaube, ich habe am Ende so einen Blödsinn wie Danke gesagt und aufgelegt.
Die 40 Minuten Fahrzeit mit der Bahn ins Büro. um dort mit meiner Freundin zu reden. Dieses üble Gefühl. Vielleicht klärt sich ja doch noch alles auf. Vielleicht hat sie etwas dazu zu sagen, das die Sache erklärt und ein alles ein verrücktes Missverständnis ist. Im Grunde wusste ich, dass es nicht zu einer solchen Aufklärung kommen würde.
Meine Freundin hat schon auf mich gewartet, Mittagspause fing gerade an. Im Sommer gehen fast alle in einen nahegelegenen Park dafür, sodass es mir erspart blieb, vor Kollegen oder auf geschlossenem Raum mit ihr zu sprechen. Sie kam mir lächelnd entgegen. Alles wie immer und doch plötzlich nichts mehr wie zuvor. Ich kam nur bis: Ich habe einen Anruf von L. erhalten. Ihr Gesichtsausdruck.
Dann: Ja, also, weißt du, da ist etwas vorgefallen, von dem ich dir nicht erzählt habe. ER war schon immer ganz besessen von mir. Und wir haben mal rumgeknutscht. Das sollte es vorerst gewesen sein. Als wäre es eine einmalige Sache gewesen. Scheinbar hatten die beiden sich abgesprochen, dass, wenn die Affäre je ans Licht kommen sollte, sie beide so tun würden als wäre es nur einmal passiert und dann alles beenden. Meine Freundin konnte nicht wissen, dass ER längst geständig gewesen war und seine Verlobte alles an mich weitergetragen hatte. Aber scheinbar hat sie mir das angesehen, meinte dann Okay, ich muss dir die Wahrheit sagen, da war noch mehr. Ein paar Sekunden konnte ich es mir noch anhören, dann bin ich wortlos gegangen. Es war rein körperlich, weder hatte ER vor seine Verlobte zu verlassen noch will sie sich von mir trennen. Es ging rein um Fleischeslust. Was man eben so sagen kann, um es zu erklären. Ich konnte es mir nicht anhören, ich musste raus aus der Situation.
Den Arbeitstag habe ich dann irgendwie zu Ende gebracht. Sie hat sich versucht von mir fernzuhalten aber mir zwischendurch unglückliche Blicke zugeworfen. Zum Glück sitzen wir nicht in derselben Schreibtischreihe. Und ER, unser Vorgesetzter, war schon die ganze Woche nicht im Büro. Jetzt weiß ich warum. Wenigstens SEIN Anblick bleibt mir erst mal erspart.
Das einzig Gute und zugleich Traurige ist, dass wir heute zusammen mit der besten Freundin meiner Freundin und deren Mann in den Urlaub fahren wollten. Meine Freundin wollte, dass wir trotzdem gehen, dass wir es als Chancen nutzen in Ruhe über alles zu reden, dass sich alles wieder einrenkt. Ich hab gesagt, fahr mit ihnen oder fahr nicht, ich brauche jetzt keinen Urlaub mit dir und anderen Leuten und auf keinen Fall kann ich jetzt auf engem Raum mit dir sein. Ich brauche Abstand, ich brauche Zeit, ich kann jetzt nicht einmal darüber reden. Am Mittwochabend hat sie bei einer Freundin übernachtet, sodass mir unsere gemeinsame Wohnung als Rückzugsort blieb. Heute morgen ist sie dann abgereist. Nicht, dass sie selbst noch Lust hatte, aber ich wollte , dass sie weg ist und ich erst einmal allein sein kann. Also ist sie die Reise trotzdem angetreten, letztendlich die vernünftige Lösung.
Ich kann ihre Nähe nicht ertragen, ihre verzweifelten Erklärungen. Es ist, als wäre die Frau, die einst so gut gekannte habe, plötzlich eine völlig andere Person. Wann immer sie mir in den letzten Monaten erzählt hatte, sie würde mit Freundinnen ausgehen, war sie bei IHM. Unserem Chef. Der seine Verlobte gerade aus dem Haus hatte.
Nicht nur kann ich dem aktuellen Gefühlschaos kaum Herr werden, ich muss auch daran denken, dass sie nächste Woche wieder da ist. Und dass ich nach der Urlaubszeit wieder in dieses Büro muss. Ich kann das nicht, weder dort arbeiten, noch hier leben. Zugleich bleibt mir vorerst keine andere Wahl.
Danke für's Zuhören. Lang und viel ist es geworden und leider immer noch so früh. Noch gut eine Stunde, bis ich mit Freunden persönlich reden kann. Würde gerne schlafen, bin seit zwei Tagen erschöpft, aber auch das kann ich nicht. Wenn ich nachts einschlafe habe ich Albträume. Und ständig sehe ich die beiden vor meinem geistigen Auge im Bett.
28.06.2019 15:03 •
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