Tage 116,117,118 und 119,...
Seelen
Man hatte es ihr versprochen.
Ganz am Anfang aller Zeit öffnete dieser alte Mann seine Hände
und entließ sie alle in den Raum.
Sie strahlten in allen Farben, changierend, blitzten wie Lichtfunken
hin und her.
Beobachtete sie man aus der Ferne, wirkten sie wie ein
Schwarm junger, ausgelassener Fische, die ihren Überschuss an
Lebensenergie kaum bändigen konnten.
Am Anfang aller Zeit waren sie alle zusammen.
Nur sie bemerkte nicht, wie sie sich allmählich entfernte.
Sie schoss im Überschwang durch den Raum, der sich eben und gerade
erst in dem Moment bildete, da sie ihn berührte.
Sie spürte die perfekte Freiheit und eine Erwartungsfreude.
Man hatte ihr gesagt, sie sei die Schöpferin des neuen Raumes,
des Lebens an sich und sie werde, irgendwann, eines Tages, auf
etwas treffen und sich vereinigen.
Man hatte ihr gesagt, dass auf jede von ihnen ein Wirt warte,
eine Entsprechung, und dass in dem Moment der Vereinigung zwei
neue Gefühle entstünden, die es bis dahin noch gar nicht gab.
Nämlich das der absoluten Verbundenheit und eben das Spiegelbild,
das Gefühl der Einsamkeit.
Man hatte ihr erklärt, gibt es das eine nicht, gibt es das andere auch nicht.
Und in dem Moment der Entstehung des einen Gefühls, entstehe, wie
von selbst, auf der anderen Seite das andere Gefühl.
Aber unsere kleine Seele war noch jung, kannte keines der beiden
Gefühle und hatte nur Freude an der Bewegung.
Sie schoss förmlich durch den Raum und die Zeit.
Noch gewahr, dass hinter ihr die anderen waren.
Links, rechts, hoch, runter, hin und her und immer wieder.
So ging das eine ganze Zeit.
Bis, ja bis sie sie müde wurde, eine gewisse Erschöpfung spürte und
sich ihre Geschwindigkeit mit einem Male verlangsamte.
Und dann stand sie, mit einem weiteren Male, auf einmal stille....
Horchte,...
Doch da war nichts. Kein Geräusch.
Blickte,...
Doch da war nichts. Nichts zu sehen.
Wo waren die anderen?
Sie konnte sie nicht mehr sehen.
Und sie fragte sich, wo sie wohl gerade sei?
Und da sie sich das fragte, fragte sie sich auch, warum sie sich das fragte.
Eben noch hatte sie sich nichts gefragt, sich sicher gefühlt.
Mit sich, ganz selbst, sicher...in dem neuen Raum und der neuen Zeit.
Und jetzt fragte sie sich auf einmal, wo sie sei?
Und wo die anderen seien?
Die Fragen schlugen mit einer immer zunehmenderen Frequenz in
ihr ein und sie konnte das alles nicht zuordnen.
Und das war der Beginn der Entstehung der Angst!
Angst, ein Gefühl, das es vorher noch gar nicht gegeben hatte.
Sie wurde panisch. Suchte.
Blitzte hin und her.
Wollte den Weg zurück gehen, um wieder auf die anderen zu treffen.
Aber was ein törichter Gedanke!
In einem Raum, den es eben noch gar nicht gegeben hatte,
in einer Zeit, zurückreisen, die es eben noch gar nicht gegeben hatte,
das, wurde ihr klar, war nicht möglich.
Nun war sie allein.
Und da entstand das nächste Gefühl.
Das der Einsamkeit.
Sie mochte dieses neue Gefühl gar nicht.
Es fühlte sich einfach nicht schön an.
Um genau zu sein, machte es sie traurig.
Und da entstanden die Tränen.
Aber, man hatte es ihr doch versprochen!?
Hatte sie etwa was falsch gemacht?
War sie zu überschwänglich gewesen?
Zu übermütig?
Lag der Fehler bei ihr?
Bei ihr allein?
Am Ende?
Gar?
Oder war das vielleicht einfach so?
Mit einigen von ihnen?
Mit ihr eben?
Hatte der alte Mann gelogen?
Der ihr und den anderen versprochen hatte,
allem und jedem folge eine Entsprechung?
Sie wusste es nicht.
Und da begannen die Zweifel zu werden.
Sie blickte sich nun ängstlich, wie ein Kind, um.
Fragend, in dieser Stille, wie es dazu kommen konnte.
Und zweifelnd, ob nur sie jetzt dazu bestimmt sei,
dass es auch diese Gefühle gäbe.
Aber,...
Sie wollte das nicht glauben.
Denn,...
Man hatte es ihr doch versprochen...
(Fortsetzung folgt)
M.
05.09.2013 09:39 •
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