Die letzten Tage, 103,104 und 105,...
Jetzt sehen die Zahlen meiner verbrachten Tage nach Dir mittlerweile
wie Zimmernummern aus.
Noch immer muss ich oft an Dich denken.
Aber ich merke, dass der Schmerz ein wenig in den Hintergrund tritt.
Ich fühle mich eher etwas gedämpft.
In Zimmer Nummer 103 wohnt so ein alter Kauz, der das Hotel
schon seit Jahren nicht mehr verlassen hat.
Reden kann man mit dem nicht, weil er es nicht tut.
Also überlässt er meiner Phantasie, was ihn hierher getrieben hat.
Oder besser, was ihn hier hat bleiben lassen.
Jemand hat mir erzählt, der sei schon vor dem letzten Personalwechsel
hier gewesen.
Also gibt es hier niemanden mehr, der weiß, warum und wie lange er
schon hier ist.
Vielleicht hat er es ja selber schon vergessen und ist nur deshalb noch hier.
In Zimmer Nr. 104 wohnt niemand.
Und in der 105 wohne ich...das unheimlichste von allen Zimmern hier.
Man sagt, dort treibe ein böser Geist sein Unwesen.
Ich habe davon noch nichts bemerkt.
Glaube ich zumindest.
Obwohl, seit ich hier wohne passiert irgendwas mit mir.
Es geschieht ganz langsam...ungefähr so langsam, wie man eine
knarzende Tür öffnet, wenn man nicht bemerkt werden will.
Meine Erinnerungen verwaschen, formen sich um, bilden sich neu.
Sie gauckeln mir vor, schon immer hier gewesen zu sein.
Als habe es das Leben davor nicht gegeben.
Und mir fällt auf, dass ich dieses Zimmer, seit ich hier bin, noch
nie verlassen habe.
Kann ich es vielleicht gar nicht verlassen?
Probiert hab ich es jedenfalls nicht.
Also starre ich fragend die Tür an.
Kann ich sie von innen etwa nicht öffnen.
Von außen kann man sie öffnen, das Personal kommt ja jeden Tag
mehrmals hier herein.
Aber kann ich sie öffnen?
Wieso habe ich es bisher noch nicht versucht?
Was ist mit mir?
Ist das Zimmer am Ende tatsächlich verwunschen?
Wieder starre ich die Türe an.
Da steht sie nun, gehalten vom Türrahmen, keine zwei Meter von mir entfernt.
Und präsentiert mir grinsend ihre arrogante Größe.
Als würde sie darauf warten, dass ich es wage, sie zu öffnen.
Nur um mir zu zeigen, dass es nicht geht.
Nur, um mir mein Scheitern höhnisch entgegen zu schleudern.
Also bleibe ich weitere Stunden und Tage dort sitzen und starre diese Türe
an. Beinahe ehrfürchtig, auf jeden Fall ängstlich.
Und ich wage nicht den Versuch, sie zu öffnen, weil dann ist gewiss, dass
sie sich nicht öffnen lässt.
So lange ich darüber sinniere, ob sie sich öffnen lässt, habe
ich ja noch diese gewisse Hoffnung.
Diese Hoffnung an die ich mich klammere.
Diese Hoffnung, die mir doch so viel bedeutet.
Also entscheide ich mich, diese Türe zunächst nicht zu öffnen.
Es könnte ja sein, dass sie nicht auf geht.
Ja, das könnte sein.
Und was, wenn ich sie einfach öffnen und rausspazieren kann?
M.
22.08.2013 10:47 •
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