So könnte es weitergehen, vielleicht:
Sie blickte nachdenklich auf das Wasser und überlegte.
Smutje nachzugeben, war die eine Sache. Die Begründung aber, die sie ihm genannt hatte eine völlig andere. Recht haben? Sicher, sie hatte Recht, aber Smutje mit dem Kuchen zu ihm zu schicken, nur um zu beweisen, daß sie Recht hatte?
Sie hatte Helfen wollen. Beiden. Smutje, damit er lernte, die richtigen Fragen zu stellen.
Antworten auf Fragen, die man sich noch nicht selbst gestellt hatte, sind leider nichts wert.
Und ihm. Stur, wie er war, mußte man sich genau das zu nutze machen.
Und dennoch beschlich sie ein Zweifel. Lag im Helfen wollen nicht auch nur die Arroganz der Mittelmäßigkeit, welche die Untröstlichkeit sofort erkennen würde und nur mit noch größerem Schmerz und noch längerer Dauer zu bestrafen gedachte?
Man mußte mit größter Vorsicht handeln.
Erneut schaute sie auf das Wasser und betrachte die kleinen Lichter um sich herum. Dort ein rotes, da ein grünes. Das blaue schaukelte ein bißchen von den Wellen und das gelbe und das türkisfarbene waren in der Ferne zu erkennen.
Sie hatte kein Licht. Piraten fuhren ohne Licht. So war das nun einmal.
„Kruzitürken, das sie aber auch immer Recht haben mußte. Blödes Weibsbild! Und dann dieser Sturkopf, keinen Kuchen essen wollen. Hmpf! Wenn das jeder täte! Manchmal muß man sich doch auch einfach einmal fügen. Arrgh.“
Vor sich hin schimpfend machte sich der Smutje zurück an Deck. Er hatte einen ziemlich flauen Magen von dem, was jetzt kommen würde. Er blickte auf den Kuchen in seiner Hand und überlegt, ob er einen kleinen Bissen davon nehmen sollte. Kuchen beruhigte ihn.
In letzter Sekunde ließ er davon ab, denn er hatte Angst, es würde sie noch wütender werden lassen.
Leise und mit gesenktem Kopf trat er zu ihr hin. Sie stand ein wenig abgewandt von ihm und blickte auf das Wasser. Für einen Moment, kam es Smutje so vor, als würde er ein kleines Glitzern auf ihrem Gesicht wahrnehmen.
Als sie sich jedoch zu ihm umdrehte war es verschwunden.
Smutje aber erhob nur sehr langsam seinen Blick. Als sich endlich ihre Blicken trafen, war er überrascht von dem, was er sah. Nicht Wut oder Triumph sondern ... tja, was war das, Scham? Trauer?
Dann war es verschwunden und sie fragte ihn gleichmütig, „und? Wie ist es gelaufen?“ Ihr Blick fiel auf den Kuchen in Smutjes Hand und zu seiner erneuten Überraschung sah er sie lächeln.
Smutje murmelte bedrückt, „er hat ihn nicht essen wollen. Er sagt, er sei untröstlich. Warum mußt Du eigentlich immer Recht behalten? “
„Meinst Du, es fiel ihm schwer, ihn nicht zu essen?“ antwortete sie, ohne auf seinen Vorwurf einzugehen.
Smutje kratze sich nachdenklich. Er überlegte. „Ich weiß nicht“, fügte er verunsichert hinzu. Die letzte Schmach mit dem Kuchen, hatten ihn nicht unbedingt sicherer werden lassen.
„Denk genau nach. Es ist wichtig. Du willst doch den Schatz“, hörte er sie sagen.
„Mich unter Druck zu setzen, hilft jetzt auch nicht gerade!“, wimmerte er und überlegte, was sie wohl jetzt schon wieder von ihm hören wollte. Woher sollte er schon wissen, ob es ihm schwer gefallen war, den Kuchen stehen zu lassen. Smutje konnte sich keinen Reim darauf machen, wie überhaupt ein Mensch einen so schönen Kuchen hätte stehen lassen können.
Sie sah ihn an und lächelte wieder.
„Ach Smutje, hör auf, nach der richtigen Antwort zu suchen und vergiß doch einmal für einen Moment, Deine Empörung darüber, daß er den Kuchen nicht wollte.“
„Du hast gut reden, du weißt überhaupt nicht, wie viel Mühe es mich gekostet hat, diesen Kuchen zu backen und du mußt auch nicht Tag für Tag darunter und dem armen Kerl dabei zu schauen, wie er sich quält.“, nörgelte er.
Sie blickte ihn lange an und seufzte, „ich erkläre es Dir gern noch einmal:
Das Wesen der Untröstlichkeit ist, das es keinen Trost gibt. Ihr größtes Futter wiederum ist die Ungeduld.“
„Kein Kuchen dieser Welt wird ihn trösten, kein Wein seine Tränen trocknen.“
„Dann ist es also egal, wie viel Arbeit in meinem Kuchen steckt?“ fragte Smutje empört. „Und auch egal, daß ich mir die Mühe mache, ihn Tag für Tag zu besuchen?“
„Ach Smutje, manchmal frage ich mich, ob Du eigentlich überhaupt nichts lernst. Das Brot, der Kuchen, die Schläge, diese fürchterliche Musik, all das ist wichtig. Deine Ungeduld aber, wird nicht nur den Weg zum Schatz verlängern, sie ist auch gemein.“
Dies wiederum wollte Smutje aber nicht auf sich sitzen lassen. Die ganze Arbeit, die er sich machte, die blöde Verkleidung und Nacht für Nacht dieses Saufgelagegedudel, was ihm selbst das Schlafen erschwerte. Oh nein, mag sein, daß er keine Ahnung hatte und sie es besser wußte, aber gemein war er sicher nicht.
Wütend zischte er, „is klar, Du hockst hier den ganzen Tag herum und sonnst Dich in Deiner eigenen so genannten Weisheit, während ich die ganze Arbeit erledige, aber ich bin gemein.“ Sauer schaute er sie an.
Sie hielt seinem Blick stand und es war Smutje, als würde er in die Unendlichkeit schauen und noch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, hörte er sie sagen:
„Die Untröstlichkeit ist doch nicht dumm, wenn Du glaubst, daß sie weg geht, weil Du ihr ein paar mal einen Kuchen gebacken hast, dann fütterst Du sie mit Deiner Ungeduld nicht nur, sondern Du bist auch gemein zu dem, der von ihr befallen wurde.
Wie würdest Du es denn nennen wollen, von jemandem, der keine Kraft hat, zu erwarten, daß er sich Gedanken darüber macht, wie viel Arbeit in einem Kuchen, in irgendwelchen Bemühungen, steckt?
Ich nenne das gemein.“
Smutje wußte nicht genau, was er sagen sollte.
So saßen sie eine Weile nebeneinander und betrachteten die vielen kleinen Boote mit ihren farbigen Lichtern auf dem Wasser.
Nach einer Weile fragte er dann, „also gibt es kein Mittel gegen die Untröstlichkeit?“
Sie legte den Arm um ihn, zog ihn aber ebenso rasch wieder weg, der Dreck und der Gestank, und nicht zu vergessen die Läuse, waren einfach zu widerlich. Aber was sollte man machen, so wa(h)r es für ihn.
Sie lächelte und antwortete, „doch das gibt es.“
Und nach einer Weile: „ich bin mir nur nicht sicher, ob das die richtige Frage ist.“
Bevor Smutje weiter nachbohren konnte, wiederholte sie ihre eingangs gestellte Frage: „Also, was denkst Du, fiel es ihm schwer, den Kuchen stehen zu lassen?“
Smutje überlegte hin und her. Nach einer Weile antwortete er ehrlich: „Ich weiß es nicht. Anfangs schien er überrascht und dann wütend.“
Sie nickte und begrüßte still die Überraschung, wie eine alte Freundin.
„Wut ist gut, nicht wahr. Wer wütend ist, der lebt.“, erklärte Smutje stolz, auf ein Neues beweisend, daß er wenigstens ab und zu etwas lernte.
Sie aber schüttelte unmerklich den Kopf und begann leise, „So einfach ist das leider nicht.“
Smutje warf ihr einen enttäuschten Blick zu und dachte bei sich, daß er doch nicht ständig falsch liegen konnte. Die Wut, die er wahrgenommen hatte, war ganz sicher Lebenswille. Es konnte gar nicht anders sein.
Bevor er jedoch protestieren konnte, setzte sie fort: „Die Wut, lieber Smutje, ist die laute Schwester des Schmerzes. Niemand wird wütend geboren, sie ist kein originäres Gefühl. Sie ist immer nur Reaktion auf Verletzung, die einem widerfahren ist. Manchmal richtet sich die Wut gegen die Verletzung selbst, manchmal ist die Quelle der Verletzung aber so übermächtig, daß sich die Wut gegen andere Dinge richtet, schlimmstenfalls gegen sich selbst.“
„Das Gute an der Wut ist, dass sie laut ist. Sie kann dem Schmerz Gehör verschaffen. Aber ihr lärmendes Wesen ist auch ihr Nachteil. Denn so wie wir Nacht für Nacht diese fürchterliche Musik spielen, um zu verdecken, so kann auch die Wut den Schmerz verdecken und uns vergessen lassen, daß es eigentlich um diesen und nicht um die Wut geht.“
Smutje dachte lange nach, er versuchte all das was er gehört hatte über die Untröstlichkeit und die Ungeduld, den Schmerz und die Wut irgendwie miteinander in Einklang zu bringen. Nachdenklich biß er ein Stück vom Kuchen, den er die ganze Zeit in der Hand behalten hatte, ab. Er kaute und mit vollem Mund fragte er plötzlich:
„Mjum, aver woher komm der Schmerz...“
„Das ist eine sehr gute Frage.“
Smutjes schokoladenkuchen-verschmierter Mund verzog sich zu einem stolzen Lächeln. Noch bevor er allerdings weitere VerMUTungen anstellen konnte, sagte sie leise:
„Es wird Zeit.“
„Also zurück zu verschimmeltem Brot und fadem Wasser“, bemerkte er wenig enthusiastisch.
Sie aber lachte laut auf: „Oh nein, er ist doch nicht dumm!“
Smutje schaute verdutzt.
„Jetzt, wo um den Kuchen weiß, wird er sowohl diesem als auch dem alten Brot Bedeutung beimessen. Er wird glauben, daß der Kuchen ihn verführen soll, das alte Brot hingegen dient der Bestrafung. Oh nein Smutje, er ist schlau und er ist stur. Dieses Spiel würden wir nur verlieren“, kicherte sie.
„Von nun an mußt Du ihm beides bringen. Jedes einzelne Mal.“
„Was?!“, unterbrach sie Smutje empört, „jeden Tag Kuchen und Brot? Weißt Du wie viel Arbeit das ist?“, jammerte er.
„Ja, mein Lieber, das hast Du nun davon. Und es wird noch schwieriger werden.“
„Schwieriger?“
„Oh ja, denn Du wirst seine Wahl nicht mit einem Satz kommentieren dürfen. Kein einziges Mal. NIE! Hast Du ich verstanden?“
„Ja aber diese Arbeit, dann steh ich ja nur noch in der Kombüse....“
„Smutje, ich habe Dich etwas gefragt! Versprich es auf der Stelle.“
Smutje aber presste eine kleines zischendes „ja“ zwischen den Zähnen hervor und trollte sich grollend von dannen, um sich ein weiteres Mal unter Deck zu begeben.
...
11.08.2013 11:06 •
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