Gestern und Vorgestern, Tage 91 und 92,...
Der Verrat ( Fortsetzung Teil 2 )
Der Smutje drehte sich unruhig im Schlaf hin und her.
Seit 16 Tagen geht das nun schon so.
Er bringt ihm das schimmelige Brot und das abgestandene Wasser.
Aber dennoch war dem Gefangenen kein Wort über den Schatz zu entlocken.
So konnte das doch nicht weitergehen.
Was für ein sturer Hund.
Er würde sie morgen darauf ansprechen. Der Plan muss geändert werden!
Dann schlief er ein.
Bring ihm das Brot und das Wasser, sagte sie forsch zum Smutje.
Herrin, ich habe nachgedacht. Vielleicht sollten wir ihm doch von dem Kuchen und dem Wein geben,
um ihn gefügig zu machen.
Ich bin sicher, er wird dann nachgeben!
Was bist Du bloß für ein törichter Klumpen Mensch!
Aber es sind 16 Tage vergangen, in denen er einfach alles isst und
trinkt, was wir ihm hinstellen. Und er beklagt sich mittlerweile nicht einmal mehr. Er nimmt es einfach hin.
Ja, er ist sehr leidensfähig. In der Tat.
Ein harter Hund. Nicht einfach zu knacken! Ich glaube, Euer Plan wird scheitern!
Er ist nicht hart. Ganz im Gegenteil.
Nur, da sein innerer Schmerz so groß,
so übermächtig für ihn erscheint, ist all das an Leid, was von außen kommt,
dagegen klein und geradezu banal.
Aber worauf wartet er denn? Wo, zum Teufel, soll das denn hinführen?
Er wartet darauf, dass die Haut am seinem Herzen nachwächst oder er stirbt!
Wird das eine nicht passieren, passiert eben das andere. Und das weiß er!
Gut, Herrin, Ihr kennt ihn sehr gut..., aber...!
Sie wandte sich ein wenig ab und sprach leise vor sich hin:
Ja, ich kenne ihn sehr gut. Ich liebe ihn...
Herrin?
Sie sammelte sich wieder und sah den Smutje mit aufgerichtetem Blick an.
Herrin, ich bin es leid. Ich werde ihm heute Kuchen und Wein bringen!
Dann sag mir, du großer Erfinder des Fintenreichtums, was passieren wird!
Na, er wird gefügig werden. Besänftigt. Und uns endlich zu seinem Schatz führen!
Im Gesicht des Smutjes bildete sich ein Lächeln ab, der Triumph des kleinen Mannes.
Gut, ich werde Dir gestatten, ihm Kuchen und Wein zu bringen. Es ist
töricht von mir, dies zu tun, denn ich weiß, was passieren wird.
Aber mein Verlangen Dir zu zeigen, dass ich Recht habe, wiegt größer.
Geh!
Auf der andere Seite der Türe, im Verlies:
Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich nun schon hier war.
Die Sonne mag so zweimal zehn Finger an und wieder ausgegangen sein.
Da kam der Smutje wieder herunter. Wie jedesmal, dreimal täglich, stolperte
dieser Idiot beinah über den Treppenabsatz.
Ich hatte mir mittlerweile untersagt, ihn anzusehen oder mit ihm zu sprechen.
Jedes mal fing ich eine. Das tat weh und ich mochte das nicht.
Also, Blick nach unten...so das ich sein überaus hübsches Gesicht nicht sehen konnte.
Pah! Ihr werdet mich nicht kleinkriegen!
Aber was war das?
Was war das für ein Geruch?
Ich konnte es nicht glauben, vor mir stand ein Kuchen und ein Krug feinsten Weines.
Ich blickte nun doch zu ihm auf.
Er sah mich an und lächelte verschmitzt. Mit den Augen deutete er auf die Köstlichkeiten.
Meine Denkmaschine, die eben noch in stumpfer Hinnahme vor sich hingähnte,
sprang mit einem Mal wieder an und lief auf Hochtouren.
Was sollte das? War Sonntag?
Oder hatte ich Geburtstag? Oder war ihnen einfach das schimmelige Brot ausgegangen?
Nein, jetzt weiß ich!
Sie wollen mich locken. Mich an selige, längst vergangene, glückliche
Zeiten erinnern, um mich zu quälen. Sie wollen meinen Schmerz so vervielfachen.
Sie wollen, dass ich in Erwartung auf die Freiheit, diesen Kuchen esse, den Wein trinke
und sie zu meinem Schatz führe.
Oh, wisst Ihr was, Ihr einfältiges Volk?
Das war ein Fehler!
Es vergingen Stunden, in denen ich mit mir rang.
Der Geruch und die Aussicht darauf, mir diesen wunderbaren Kuchen einzuverleiben und eben diesem zu widerstehen,
waren eine Herausforderung. Oh ja!
Aber in mir wohnte ein Herz ohne Haut.
Und ich konnte spüren, wie dieses arme Ding mit dem Mute eines Riesen,
noch immer tapfer vor sich hin pocht, damit ich am Leben blieb und wie einsam es war, so klein, so schutzlos und allein.
Man mag
mich verraten, aber mein Herz bekommt Ihr nicht!
Nein!
Ich musste nur daran denken, schon war mir dieser Kuchen und der Wein völlig egal.
Irgendwann dann krachte die Türe auf und der Smutje ebenso hinterher.
Er stolperte hinunter, setzte die Arme empört auf seine Hüften und sah mich fragend an.
Warum esst und trinkt Ihr das nicht?
Ich schwieg einige Sekunden, um den Spannungsbogen zu erhöhen.
Weil, mein Herr. Es tut mir leid, aber ich bin
untröstlich!
M.