Gestern und Vorgestern, Tage 89 und 90,...
Irgendwas wühlt, ackert und nagt.
Irgendwas von ganz tief innen.
Ich sitze in Gesellschaft und starre Löcher in die Luft.
Schweife ab und habe keine Lust es zu verbergen.
Ich weiß nicht genau, was es ist.
Kann es nicht greifen.
Es ist da, aber zeigt sich mir nicht.
Wenn ich mich von außen betrachten würde, würde ich sagen,
da sitzt ein kleines, trauriges Kind.
Ich sehe die Fragezeichen auf den Gesichtern meiner Freunde.
Und sie sehen das Stopp-Schild, das ich vor mir her trage.
Also bleibt die Frage nach dem Was los ist, zwischen uns stecken.
Dort vibriert sie fröhlich Hin und Her, so dass ich mit irgendeinem Mist anfange
oder gehe.
Ich will zurück in meine Höhle.
Da kann mein Schmerz sich ausbreiten und muss sich nicht erklären.
Dort kann er mir nahe treten.
Und ich ihm.
Ich kann ihn endlich fragen, was er jetzt schon wieder will.
Und dann endlich, kann er es mir sagen:
Vor nicht allzu langer Zeit,
als das Wünschen noch geholfen hat,
da musste ich am Abend vor Heiligabend immer das Fenster offen lassen.
Ein Glas Milch und ein paar Kekse auf die Fensterbank stellen.
Und daneben platzierte ich dann meinen Wunschzettel.
Dann versuchte ich, in freudiger Erwartung an den nächsten Tag, einzuschlafen.
Es muss Stunden gedauert haben, aber irgendwann sind mir wohl
einfach die Augen zugefallen.
Und ich glaubte ja auch fest daran, dass der neue Tag nicht kommen kann,
wenn der alte nicht geht.
Und dazu musste ich einschlafen.
Das war so, in meinem Universum.
Am nächsten Tag schließlich waren das Glas Milch leer und einige Kekse verschwunden.
Wunderndes Fingerkauen und Staunen.
Dann kam das Christbaum-schmücken, einige Vorbereitungen für den Abend.
Bis es endlich soweit war.
Wir mussten einige Runden um den Block gehen, dann
aufgeregt und leicht frierend in der Diele warten,
bis endlich das Glöckchen erklang.
Das war das Zeichen, auf das wir so gewartet hatten.
All das wiederholte sich Jahr für Jahr, der Ablauf war mir so vertraut, dass
er zu einem Teil meines Inneren wurde.
Niemals könnte ich mir vorstellen, dass es all das nicht mehr geben würde.
Anhand dieses Beispiels wird mir deutlich, wie wichtig Rituale sind.
Sie halten uns zusammen und schaffen eine gemeinsame Erlebniswelt.
Ist diese sonst eher vereinzelt, hier wird sie zusammengeführt.
Und so war es auch mit Dir.
Und mein Schmerz hat mir gerade mitgeteilt, dass es eben diese Rituale,
die es zwischen uns gab, sind, die mir gerade wieder so fehlen.
Denn, das ist mir jetzt klar:
Da sie unsere gemeinsame Erlebniswelt abbildeten, kann ich sie nicht
alleine ausführen.
Ohne Dich wird es sie nie wieder geben.
Weder für mich, noch für Dich.
Und es wird sie auch nicht mit jemand anderen geben.
Sie sind zu speziell.
Sie waren eine Mischung aus Dir und mir.
Und wieder dieses innere Kopfschütteln und wundern, wie Du all das wegwerfen konntest.
Alles verloren, weil Du getrieben, angetrieben, von wem oder was
auch immer, nicht zur Ruhe kommen konntest.
Erinnerst Du Dich?
Immer, wenn Du nervös, weil ärgerlich oder ratlos, herumgeflattert bist,
hab ich meinen Finger in die Luft gehalten, damit Du darauf landen konntest.
Dann hab ich Dich erstmal in die Arme genommen, Dir über den
Kopf gestreichelt und gefragt, was denn los sei.
Und dann hast Du erzählt.
Manchmal stundenlang und ich habe zugehört,
ein paar Schrauben wieder festgezogen, bis Du entladen warst.
Und alles soweit erstmal wieder gut war.
Und diese Rituale gab es tausendfach.
Sie bedeuteten uns beiden sehr viel und sie waren so gut, so wichtig
und richtig.
Und sie waren gegenseitig.
Sie funktionierten wie auf Knopfdruck und schufen immer wieder eine Basis.
Darum war es ja auch so schön mit Dir.
So einzigartig.
Und deshalb:
Nie wieder wird sein, was nie wieder wird sein.
Oh, eine furchtbare Wahrheit.
M.
Vielleicht noch ein Nachtrag:
Jede Beziehung hat Rituale, entwickelt Rituale.
Und da ich ja auch an meine Zukunft glaube, wird es auch in der nächsten
Partnerschaft wieder Rituale geben.
Aber dies werden grundsätzlich andere sein und hier ging es mir
jetzt darum, mich von
eben diesen aus dieser Beziehung zu verabschieden.
Also, kein Grund den Kopf in den Sand zu stecken.
Aber zum Loslassen gehört nunmal der Schmerz.
Okay?
Nochmal M.