Herz-Bruch
Mein Herz klopft bis zum Hals, als ich zu ihm fahre. Mir ist kalt. Draußen ist es warm an diesem Sonntag im Sommer. Es ist mir einfach nicht gelungen, mich zu beruhigen. Alles, was sonst klappt, hat nicht funktioniert. Es geht um viel. Um alles. Als ich das letzte Mal so nervös war, fuhr ich zu einer Prüfung. Das ist Jahre her. Und da ging es nur um ein Papier. Jetzt geht es um die Liebe. Die große Liebe meines Lebens, wie er ständig allen sagte. Alt werden wollte er mit mir. Die schönste Zeit erleben und mir bereiten. Noch nie hätte ihn jemand so gesehen wie mit mir. So nah. So innig. So intensiv. So klar und entschieden. Hatte er gesagt. Hatte ich geglaubt.
Wie ein Wirbelwind war er in mein Leben getreten. Nach einer turbulenten Zeit wollte ich gerade endlich zur Ruhe kommen. Zu mir. Ankommen. In meinem neuen Leben. Bei mir. Nur noch ein letztes Date er. Ohne große Erwartungen, schnell auf einen Kaffee zwischendurch. Es war anders als sonst. Er war anders als die anderen. Hatte eine tolle Mischung. Sah mich. Wirklich. Sah mich nicht nur an. Ich fühlte mich gesehen, erkannt, wow. Und er war so unglaublich charmant. Umwerfend. Ich erzählte ihm von meinem Leben. Dass ich noch nie so einverstanden gewesen sei. Mit mir selbst. Mit allem. Und dass mir das eigentlich gerade reiche. Da grinste er mit einem winzigen Anflug von Panik im Gesicht und meinte: Dein Leben will ich mal haben
Tja. Natürlich hatte ich meine Zweifel. Wer hat die nicht? Äußerlichkeiten. Andeutungen, die auf Dinge schließen ließen. Lebensumstände. Unerledigtes. Unabgeschlossenes. Verdrängtes. Ausweichende Antworten bei ihm und ein komisches Gefühl bei mir bisweilen.
Noch am ersten Abend sagte ich: Wenn was geht, dann nur mit Ehrlichkeit. Lass uns so sein, wie wir wirklich sind. Keine Spielchen. Keine Show.
Ich war fasziniert. Geflashed. Überwältigt. Habe mich sofort volle Kanne reinfallen lassen. Die leisen Zweifel vom charmanten Wirbelsturm wegfegen lassen. Wusch.
Und habe schon in den ersten Momenten gedacht: Wenn das nicht funktioniert, dann falle ich tief. Sehr sehr tief. Uuh.
Große Worte. DIE Worte. All diese schönen Worte. Sehr schnell. Eigentlich ging mir das alles zu schnell. Doch er wirkte so sicher. So entschlossen. So erfahren. Und bediente damit tootal all die Klein-Mädchen-Prinzessinen-Träume: Es gibt sie doch die große Liebe. Jetzt. Hier. Live. Nicht nur im Kino.
Überall stellte er sich als der Mann meines Lebens vor. Auch bei meinem alten Vater in meiner Heimatstadt. Fand ich kühn, aber auch überwältigend.
Nach einer berauschenden Phase dann plötzlich das Statement, er würde sich verbiegen. Erzählt mir, was er alles für mich verändert hätte. Das habe ich nicht gewusst. Ich bin erstaunt, erschüttert, erstarrt. Ich hatte eine Mogelpackung kennengelernt. Eine Beeindruckungs-Charme-Maschinerie. Einen Prinz, der am Valentinstag morgens um sechs mit kleinen Aufmerksamkeiten vor der Tür stand. Der mir den Tee ans Bett brachte. Für mich fotogene Gerichte kochte. Mich stundenlang hingebungsvoll massierte. Gar nicht oft genug mit mir sprechen konnte, wenn wir uns nicht sahen. Manchmal wurde mir das schon zu viel. Ich wollte keinen um mich kreisenden Satelliten. Sondern jemanden mit seinem eigenen Leben. Aber es war auch schön, die wichtigste Person zu sein und das so deutlich gezeigt zu bekommen.
Das Verbiegungs-Gespräch brachte dann die große Wende. Plötzlich hieß es, dass kein Mann gerne telefoniert. Dass es auch noch andere Leute gebe, und zwar jede Menge. Dass es wichtig sei, jederzeit von jedermann erreichbar zu sein. Da kann man dann auch mal mitten im Gespräch am Handy mit jemand anderem sprechen. Macht doch nix. Alles ganz locker, oder etwa nicht? Nach und nach wurde alles Gesagt zurück genommen, relativiert. Manöver, Forderungen, Grenzen.
Schließlich beruhigt sich alles. Wir kriegen die Kurve, mal mehr, mal weniger. Zwei erfahrene, dickköpfige Erwachsene mit einem komplexen eigenen Leben, die eine Schnittmenge versuchen. Er betont, dass die gemeinsame Liebe das Wichtigste sei. Dass er sich sicher sei. Dass er an uns und diese Liebe glaube. Das Umfeld ist hingerissen. So ein toller Mann. So eine tolle Frau. Was für ein Paar. Die Freunde freuen sich: Endlich sind sie glücklich, endlich angekommen.
Dann der zweite Einschnitt. Die mit großer Vorfreude angetretene Reise funktioniert nicht. Verschiedene Vorstellungen. Irritationen. Diskussionen. Up and down, up and down. Bei einer dieser Diskussionen fällt bei ihm die Klappe. Komplett. Es hat sich was verändert, sagt er. Das sei jetzt zu viel, sagt er. Und er sieht mich anders an als vorher. Distanziert. Kalt. Er wirkt wie ein Fremder. Es jagt mir kalte und heiße Schauer über den Rücken. Der Angstschweiß rinnt mir die Wirbelsäule hinab.
Danach ist nichts mehr wie vorher.
Abstand.
Gespräch.
Wieder Abstand.
Und jetzt fahre ich zu ihm. Das alles entscheidende Gespräch. Meine Nervosität ist grenzenlos. Ich ahne, dass ich keine Chance habe. Denke im selben Moment, dass man doch die große Liebe nicht in ein paar Tagen einfach hinwirft. Dass das noch nicht alles gewesen ist zwischen uns. Dass wir eigentlich erst am Anfang stehen. Dass es jetzt ans Eingemachte geht. Wenn wir wirklich miteinander weiter wollen, müssen wir uns unseren dunkelsten Dämonen stellen. Durch die Hölle gehen. Ehrlich sein. Wirklich ehrlich, ganz tief. Mit heißem Herzen.
Gleichzeitig ahne ich, dass er das nicht will. Zu schwierig. Zu kompliziert. Zu anstrengend. Zu unangenehm. Sehe Muster bei ihm. Die Muster ergeben ein Bild. Ein Bild, das mir nicht gefällt. Das ich vorher nicht sehen wollte. Ein Mann, der Schwierigkeiten und Entscheidungen ausweicht. In dessen Leben es vor Baustellen nur so wimmelt. Dem es schon zu anstrengend ist, sich um banale Dinge zu kümmern. Der lieber ausweicht, wegtaucht, sich ablenkt, verdrängt, wegläuft. Was will ich da erwarten?
Als er die Tür aufmacht, weiß ich sofort, ich habe schon verloren. Seine Augen sind nicht mehr kalt, sondern regelrecht tot. Er sieht beschissen aus. So habe ich ihn noch nie gesehen. Ich halte eine flammende Rede für die Beziehung. Für die Liebe. Für den Versuch. Sage alles, was ich sagen kann. Mit zitternden Händen. Mit zitternder Stimme. Heiser. Er sieht die meiste Zeit an mir vorbei. Mit leerem Blick. Reagiert kaum. Ist völlig dicht. Sagt, dass er nicht mehr in die Beziehung hineinfindet. Dass er den Glauben daran verloren hat. Es steht deutlich im Raum, dass er das auch nicht ändern will.
Mir wird schlagartig klar, dass ich hier alles versucht habe. Dass es vorbei ist. Dass ich von Anfang an keine Chance hatte. Fühle mich vorgeführt. Ich zittere am ganzen Körper. Er will mich umarmen, aber das passt nicht. So gar nicht. Mein Körper verschließt sich, wird hart und kalt. Wir reden hin und her, her und hin, zögern das Ende hinaus. Ich bin fassungslos. Verzweifelt. Was nach drei Stunden übrig bleibt, ist ein klarer Cut. Also nichts.
Ich ziehe mir die Stiefel an. Er steht zerschmettert im Flur. Ich lösche alle unsere Konversationen auf dem Phone. Will nicht riskieren, mich damit zu quälen. Will alle Brücken abbrechen. Das kann ich gut. Wahrscheinlich tue ich mir selbst damit am meisten weh. Lasse ihn hilflos zusehen. Will ihn ein Stück weit quälen. Lasse mich mit hängenden Armen umarmen. Will nicht. Gehe, ohne mich noch einmal umzudrehen. Er bleibt an der Wohnungstür stehen, bis die Haustür hinter mir ins Schloss fällt. Gar nicht seine Art eigentlich.
Ich gehe mit einer Mischung aus völlig verzweifelt und sehr ruhig zur Bahn. Tief ruhig. Will das so alles nicht. Weiß gleichzeitig, dass es ohne Willen zur Veränderung nicht geht. Kann und will nicht auf verlorenem Posten kämpfen. Mache mich erst mal dicht. Teile es sofort mit allen, will nicht alleine bleiben damit. Fahre nach Hause. Nehme einen großen Müllbeutel, kehre seinen ganzen sch. Kram rein und werfe alles mit Schwung in die Mülltonne. Putze die Wohnung. Teufelsaustreibung. Weine kaum. Das kommt später.
Eine Freundin fragt, ob ich zu ihr kommen will. Ja! Unbedingt! Ich packe eine Flasche ein und mache mich auf den Weg. Sie schaut mich einfach nur mit ihren schönen großen Augen an und hört mir zu. Berührt. Aber unerschrocken, ruhig. Ist Kummer gewöhnt. Lässt mich erzählen. Stellt ein, zwei Fragen. Lässt mich erzählen. Schenkt nach. Hört zu. Wie wohltuend. Balsam auf der wunden Seele. Beruhigend. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Tatsächlich wahr.
Mitten in der Nacht mache ich mich auf den Nachhauseweg. Bin nach wie vor total geschockt. Ungläubig. Tief enttäuscht. Unendlich verletzt. Fühle mich einsam und verlassen. Fallengelassen wie eine heiße Kartoffel. Bin gleichzeitig wütend. Dieser Blender. Dieses Großmaul. Sein eigenes Leben ist ein einziger Scherbenhaufen. Jetzt hinterlässt er auch in meinem Leben eine Schneise der Zerstörung, die ich allein aufräumen darf. So ein A..
Im selben Augenblick spüre ich deutlich, dass das so nicht stimmt. Dass es auch andere und anderes gibt. Wichtiges. Schönes. Dass ich ganz und gar nicht allein bin. Dass das Leben weiter geht. Und zwar schön weitergeht. Irgendwie fühle ich mich trotz des großen Kummers auch befreit und geklärt, wieder mehr bei mir.
Eins weiß ich genau: Das alles ist für etwas gut. Das Leben will mich etwas lehren. Die einzige Möglichkeit, die ich habe ist: Alles so annehmen, wie es ist. Und meine Lektion lernen. Endlich. Mit Schmerzen, aber von innen heraus. Widerstand zwecklos.
Ich bin kein Opfer. Natürlich nicht. Wir haben beide Fehler gemacht. Verschiedene. Waren beide noch gefangen in alten Geschichten und nicht abgeschlossenen Prozessen. Waren wahrscheinlich wirklich zu verschieden. Und unsere ganz persönlichen Unzulänglichkeiten haben sich unglücklich miteinander verhakelt und zum Nichtsgehtmehr geführt. Verdammt. Ich bin eine erwachsene, erfahrene Frau. Manchmal reif und fast weise. Es wird höchste Zeit, die kleine Prinzessin zu verabschieden. Die irgendwie immer noch auf den schönen Prinzen auf dem großen weißen Pferd wartet. Der sie glücklich machen wird. Auf Händen tragen - wie er mir fatalerweise versprochen hat.
Ja, er war nicht ehrlich. Nicht zu sich. Nicht zu mir. Er hat viel zu schnell viel zu große Worte in den Mund genommen und viel zu laut getrommelt. Das kann ich ihm nicht verzeihen. Noch nicht. Das wird dauern. Aber es wird kommen eines Tages. Und das wird gut sein. Unendlich befreiend.
Es ist Zeit, bei mir selbst anzukommen. In mir selbst die Liebe und das Glück zu finden, das ich in den Armen der Männer suchte und nicht fand. Nie. Für mich selbst Prinzessin zu sein, aus purer Lust am Leben und an mir. Sie vielleicht doch nicht zu verabschieden. Sondern liebevoll an die Hand zu nehmen. Nichts und niemanden zu suchen außer den Schatz in meinem eigenen Inneren.
Da passiert gerade mein persönlicher Super-Gau, die größte Angst wird real. Ich werde von heute auf morgen von meinem Traummann verlassen. Und es passiert nichts. Eigentlich. Gar nichts. Natürlich verfalle ich die erste Zeit erst mal in Aktionismus. Kann und will nicht alleine sein. Lasse mich auffangen von so vielen so guten Freunden. Sogar mein kleiner schwacher alter Vater stellt sich hinter mich. Zum ersten Mal in meinem Leben! Sagt, dass sie alle hinter mir stünden. Das berührt mich tief. Dieser klare Rückhalt bedeutet mir so viel. Keine großen Worte mehr. Statt dessen kleine, aber sehr wirkungsvolle Taten. Das isses. Damit kann ich leben.
Natürlich stehen jede Nacht die Gespenster an meinem Bett. Ich kann nicht schlafen, komme nicht zur Ruhe, es gruselt mich vor dem, was ich gerade erlebe. Will nicht in meiner Haut stecken. Es kommt die Zeit der Tränen, der Wut, der Verzweiflung, der Ohnmacht. Meine Gefühle wechseln von einem Extrem ins andere, von einem Moment zum anderen. Das dauert eine Weile. Schließlich kann ich manchmal schlafen. Wenn ich dann aufwache, erwarten mich aber gleich wieder die Gespenster. Dann kommt die Phase der Albträume und ich wache jeden Morgen völlig gerädert auf.
Frage mich, was er wohl macht. Frage mich tausend Sachen. Wälze Erinnerungen, Bilder, Situationen, Worte hin und her, her und hin. Nicht hilfreich, dieses Gedankenkreisen. Weiß ich. Spüre ich. Es hört trotzdem nicht auf. Gleichzeitig setze ich vom ersten Tag an den Plan um, gut zu mir zu sein. Für mich zu sorgen. Selbstliebe zu üben. Ich mache schöne Sachen. Alles, was ich immer schon mal machen wollte. Esse. Koche für mich selbst. Gehe raus laufen. Mache Yoga. Rede nicht drüber, außer mit guten Freunden. Dann aber gründlich. Lasse alles raus. Treffe Freunde, treffe Freunde, treffe Freunde.
Weiß, wie wichtig es jetzt ist, zu mir zu kommen. So wichtig wie noch nie zuvor. Zur Ruhe zu kommen. Endlich. Zu mir finden. Frieden wiederfinden. Mit mir und der Welt. Vertraue mich dem Leben an. Mit zusammengebissenen Zähnen. Ohne den nächsten Schritt zu sehen. Weiß, dass es nur so geht. Und dass es richtig ist so. Dass es gut so ist, letzten Endes. Auch wenn es weh tut. So weh, dass ich manchmal nicht weiß, wie ich das aushalten soll. Noch immer habe ich Angst, als Dauer-Single zu enden. So wie viele dieser wunderbaren Frauen, die mir in den letzten Jahren immer wieder begegnet sind. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Ich gehe jetzt entschlossen und fokussiert meinen Weg. Ohne zu wissen, wo er mich hin führt.
Was mein Vertrauen zum Leben gerade in diesem Moment stärkt, sind faszinierende Entwicklungen. Dinge, auf die ich lange hingearbeitet habe, ohne dass viel passiert wäre. Und plötzlich kommt Bewegung in die Sache. Kommen Dinge in Fluss. So schnell und so viele, dass ich denke: Wow! Das glaube ich nicht! Das ist ja wie im Roman! Ich bin sicher, das gehört alles irgendwie zusammen. Das ist die andere Seite des unfreiwilligen Neuanfangs.
Menschen tauchen auf, häufig aus dem Nichts. Spontane Impulse lösen eine Lawine von faszinierenden Reaktionen aus. Menschen kommen zu mir und wollen von mir lernen. Viele schöne kleine Momente im Alltag, die ein spontanes Lächeln auf mein Gesicht zaubern aufdringliche Katzen auf dem Weg, niedliche Kinder, neugierige kleine Hunde, spontane Komplimente von Fremden, Reflektionen der Sonne und so vieles vieles mehr.
Und ich weiß, dass das erst der Anfang ist und da noch so viel mehr kommt. Und ich merke: Dafür, dass es mir eigentlich gerade total beschissen geht, geht es mir irgendwie auch ziemlich gut.
Und nicht zuletzt: Was bei mir geht, das geht auch bei anderen und das kann ich weitergeben. Ehrlich. Authentisch. Erlebt. Erlitten. Nicht aus dem Lehrbuch, sondern echt und live. Ja.
06.10.2017 17:27 •
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