Liebe Hana,
vielleicht hast du Lust dir das durchzulesen. Das habe ich ihr geschickt, ich finde, ich habe da ziemlich gute Worte gefunden die meine Gefühle zu ihr beschreiben und den Verlauf der Beziehung.
Ich möchte dir erzählen, wieso ich erst jetzt diese Gefühle zu dir habe und warum mir das vorher nicht aufgefallen ist. In einigen Teilen werd ich mich wiederholen, aber egal.
Also ich fang mal ganz weit vorne an, seit kleinkindesalter, also vielleicht 4 Jahren oder so, war mir klar, dass ich erwachsen sein will. Ich habe meine Mutter mit 4 Jahren nicht mehr Mama genannt, weil mir das zu blöd war. Mama klingt für mich nach Abhängigkeit, ich will doch aber erwachsen sein, also war sie ab sofort (Vorname). Auch Kinderlieder waren für mich ein No-go. Schon damals habe ich auf andere Kinder mit Ablehnung reagiert, die Kinderlieder hören oder einen Elternabhängigen Eindruck machten. Ich habe natürlich auch damals schon auf Freundschaften verzichtet weil mir die gegenüber einfach nicht reif genug vor kamen. Was wirklich verrückt ist: ich habe zu meinem 7 Geburtstag meinen besten Freund und 3 Erwachsene Menschen eingeladen und habe mich nichts dabei gedacht. War völlig normal für mich. Das ist glaube ich eine Einstellung, die mich mein Leben lang begleitet.
Auch das Teenieleben war für mich völlig albern. Da sitzen die Leute und probieren sich und ihren Körper aus, testen Reize und rauchen auch die erste Zig.. Beschweren sich über das erwachsen werden und ich konnte das alles nicht verstehen, oder wollte nicht verstehen. Also hab ich sie alle für mich abgelehnt, ich wusste quasi, dass ich was besseres bin als die, weil ich den ganzen Kram eben nicht durchleben will.
Also leiden beide Parteien in ihrer eigenen Ansicht. Die anderen, weil sie Probleme mit dem Erwachsen werden haben, und ich, weil ich seit Jahren darauf warte, dass mich mein Körper einholt auf meine geistige Reife, die ich gerne haben würde (aber natürlich auch nicht besitze, ich hab mir immer was vor gemacht).
So also wurde ich groß, immer in dem Gedanken, erst noch dahin zu kommen wo ich später sein will und die Zeit bis dahin so schnell wie möglich überspringen zu wollen.
Jetzt kommt ein großes Problem: dadurch, dass ich mich als was besseres ansehe, weil ich schon weiß wie ich mal sein werde reagiere ich auf Schlüsselsituationen, die das Erwachsenwerden Symbolisieren mit Ablehnung. Das kann zum Beispiel sein, das Leute anfangen zu rauchen oder sich Schminken oder plötzlich die Haare hochgelen oder den Kleidungsstil ändern. Wenn sie plötzlich cool sein wollen, bei den Mädels ankommen wollen oder umgekehrt. Also alles was eine Entwicklung symbolisiert. Da kannst du jetzt bestimmt sagen: ja, dann such dir Freunde, die eben nicht die Macker in der Klasse sein wollen oder sich so krass wandeln. Hab ich auch gemacht. Durch meine krasse Haltung hatte ich so wie so schon mal wenig Freunde. Das waren dann auch eher so die Außenseiter, die kaum überhaupt eine Chance hatten sich zu entwickeln und deswegen mich wiederum ansprachen. Reicht doch dann aber auch, oder? Eigentlich schon. Aber dann kommt was ziemlich fatales: was ist, wenn mir unerwartet auffällt, dass auch meine Freunde sich plötzlich verändern?
Jetzt denke ich, dass ich unglaublich intolerant bin und es mir absolut selbst zuzuschreiben habe, weil ich dann plötzlich auch abweisend zu meinen Freunden war. Und die Fragen sich dann natürlich warum. Jetzt weiß ich warum. Weil meine Ansicht so präsent und stark ist, dass mir selbst die Freunde nicht wichtig genug waren um sie zu tolerieren, sondern ich meine Blockade vorantreiben musste. Auch damals habe ich eine kleine Stimme in mir gehabt, die sagt: sei ruhig jetzt. Er ist dein Freund. Aber selbst die habe ich innerlich klein geredet, weil die ich die Blockade als Vernünftiger und wichtiger angesehen habe als einfach mich an seiner Zuneigung zu freuen.
Es ist ein Teufelskreis. Ich finde Freunde, irgendwann kommt der Moment in denen ich Entfaltung an ihnen sehe und ich werde kalt und giftig und die Freundschaft schläft ein.
Mit Regularien ist es auch ziemlich kompliziert bei mir. Ein Erwachsener Kopf versteht Regeln und Normen. Deswegen muss ich sie auch verstehen und befolgen. Deswegen halte ich mich an sie und habe sogar gefallen an ihnen. Aber wehe meine Mutter macht mir Regeln. Wenn meine Mutter mir Regeln macht, denke ich sofort, dass sie es nur macht weil ich ihr Kind bin was sie erziehen will. Aber ich brauche keine Erziehung, ich bin im Kopf doch schon groß. Überöeg mal, ich dachte mit 10 schon ans ausziehen, nicht weil ich mich zuhause nicht wohl fühle sondern weil sich das doch so gehört als erwachsener nicht bei den Eltern zu leben.
Kurz zusammengefasst: Mein Leben besteht nur aus Erwachsensein und Ablehnung von den Menschen die sich selbst ausprobieren um zu wissen wer sie sind. Und jetzt möchte ich dich, einmal bitten kurz inne zu halten und darüber nachzudenken, dass das mein gesamtes Leben bereits so ist und wie komisch dieses Verhalten ist.
Also 20 Jahre sich selbst damit belasten, dass man Freunde ablehnt weil sie nicht so ticken wie ich, weil ich ja der einzig richtig tickende bin.
Und jetzt kommst du. Sofort kommen mir die Tränen übrigens. Du warst anders als alle, die ich kenne und ich brauch dir nicht mehr sagen, dass ich furchtbar in dich verliebt war. Und dann gings plötzlich. Denn wenn ich liebe kann ich meine Blockade wegstecken, ignorieren. All meine bisherigen Freunde waren mir nicht so wichtig wie du es bist, deswegen konnte ich bei denen ungestört erkalten. Trotzdem bin ich natürlich immer traurig gewesen wenn man sich mal gestritten hat, aber ich hab den Fehler beim Gegenüber gesucht, war sauer auf sie. Und entweder näherten sie sich an oder halt eben nicht, ist doch nicht mein Problem dann blieben sie halt weg. Aber einen Freund weniger hatte ich dann doch und das macht dann wieder traurig. Aber selbst Traurigkeit war ein Gefühl das ich nicht haben wollte, weil das auch nicht erwachsen ist. Also gewöhne ich mir an in jeder noch so blöden Situation einen Spruch zu bringen, bloß keine Schwäche zeigen. Es regt mich total auf so etwas zu schreiben. Es macht mich wütend so auf mich zu blicken. Aber es stimmt, so bin ich gewesen.
Aber du warst mir so wichtig, dass ich unter keinen Umständen wollte, dass ich dich verliere. Also konnte ich meine Blockade tatsächlich ruhig stellen. Das konnte ich als ich dich kennen gelernt habe zum ersten Mal überhaupt und es hat 20 Jahre gedauert. Nur um dir noch mal zu sagen, wie wichtig du mir bist, selbst unterbewusst damals und bewusst heute.
Und es hat mich beflügelt. Ich konnte lieben. Als wir zusammen gekommen sind waren all die Erwachsenen Gefühle weg. Ich wollte nur noch bei dir sein und die Zeit die wir hatten war umwerfend schön. Und jetzt wird es fatal und das ist das größte, was ich mir jetzt im Nachhinein vorwerfe. Und ich glaube jetzt fange ich auch an mich zu wiederholen was die anderen Mail von mir betrifft. Auch du wurdest für mich normal. Die Liebe zu dir war da, aber sich ist teil meines Alltags geworden und ich habe mich dran gewöhnt dich an meiner Seite zu haben. Und dann, und jetzt weine ich wieder, bist du in das selbe Muster gefallen wie all meine vergangenen Freundschaften gefallen. Nämlich die Kleinigkeiten, die mich dich ablehnen lassen. Und weil du meine am nächsten stehende Person warst hast du es auch am meisten abbekommen. (Am liebsten würde ich die Mail jetzt sofort abbrechen weil mich meine eigener Text echt fertig macht, und zwar deswegen weil er stimmt. Ich schreibe trotzdem weiter)
Ich bin in die mir doch zu bekannten Muster gefallen und meine Blockade ist wieder zum Vorschein gekommen und hat meine Liebe zu dir aber mal so was von in eine Kiste gelegt, ganz fest verschlossen und in irgendeine Ecke in meinem blöden Kopf gelegt. Und jetzt denk an all die Zeit, in der du dich eingeengt fühltest. Vielleicht verstehst du es dann zumindest ein bisschen warum es so war. Und ich spul jetzt mal ein bisschen vor, bis zu dem Sonntag als du dich endgültig getrennt hast.
Jetzt springe ich einmal auf den aktuellen tag und laufe einmal kurz rückwärts mit dir in der Zeit. Denk bitte kurz daran (nicht um Mitleid zu erzeugen) wie sehr ich jetzt leide darunter, weil ich dich unglaublich liebe. Denk dann daran, wie unglaublich dick diese Blockade von mir sein muss, dass es etwa 60 Stunden braucht um zu merken, dass ich dich liebe. Denn das ist die Zeit von deiner Trennung bis Mittwoch Nachmittag. Die Blockade ist wie ein Parasit, der sich um meine Gefühle zu dir wickelt und nur durch deine Abwesenheit langsam verschwindet. Und dann war es mir klar. Ich hab großen Mist gebaut. Ich bin so gelenkt von meinem Unterbewusstsein gewesen, dass ich selbst dich dafür weggeschickt habe. Wie Ginnie Weasley im zweiten Teil vom Tagebuch kontrolliert wurde wurde ich von meinem Erwachsensein blockiert. Und deine Trennung war der Zahn, der das Tagebuch zerstört hat. An dem Vergleich ich glaube ich echt viel wahres dran. Und jetzt bin ich da, erweckt worden von dir. Jetzt merke ich, wie unglaublich doll ich dich liebe. Und du kannst es nicht bestreiten: 24 Jahre, die ich lebe habe ich diese Blockade nicht erkannt. Es war kein notwendiges Übel was ich in Kauf genommen habe, ich habe sie wirklich nicht erkannt und wusste nicht, dass es sie gibt und wusste auch nicht, warum ich so bin wie ich bin. Du und niemand anderes als du hast sie mir gezeigt, ich schwörs. Das soll jetzt nicht angehoben klingen oder mich ins beste Licht rücken, was folgt ist ein Kompliment an dich: du kannst dich so unglaublich glücklich schätzen, dass du mir diese Erkenntnis gezeigt hast. Du hast es geschafft das dich jemand so unglaublich liebt, dass du ihm seine schwächste Seite zeigen konntest. Ich rede jetzt von mir in 3er Person: Du wirst so unglaublich geliebt, dass du einem Menschen eine Blockade gezeigt hast, die er selbst nicht kannte und nur aus Liebe erkennen durfte. Mal ganz im Ernst, es ist wie Tauziehen, weil es wirklich so gegensätzlich ist. Auf der einen Seite steht meine Blockade, die unbedingt unbemerkt bleiben möchte und zugleich genau gegen Gefühle spricht, gegen öffnen ist, gegen Zuneigung und dich sogar ablehnt, weil du eben genau das alles ansprichst (Haare färben, etc); und auf der anderen Seite ziehst du. Und denk an 24 Jahre, fast ein vierteljahrhundert, wie lan das ist. Merkst du wie unglaublich stark du daran gezogen hast, so stark das ich den versteckten Teil in mir gefunden habe, der schon so lange in mir schlummert? Das ist meine Liebe zu dir. Und das ist auch die Antwort auf die Frage. Was meinst du, ist die Antwort auf die Frage warum dir das erst jetzt auffällt?
Die Antwort ist, du musstest dich trennen, damit ich meine Blockade entdecke, die meine Gefühle zu dir versteckt. Du kannst (und das meine ich auch vollkommen ernst) so stolz auf dich sein, weil du ein Mensch bist, in den man sich nicht nur verliebt, sondern wirkliche Liebe empfinden kann. Das kann nicht jede von sich behaupten. Danke. Danke, dass es dich gibt.
Nur mein jetziges Problem liegt dann natürlich auf der Hand. Wenn es elementar wichtig war zu erkennen, dass ich dich mehr liebe als mich, indem du dich trennst, bin ich zwar mit der Erkenntnis beschenkt worden liege aber jetzt hier rum und fühle mich elend, weil ich dich mehr liebe als je zuvor und du jetzt weg bist. Kein betteln, kein jammern, weil du recht hast, das hilft keinem von uns. Aber das Problem jetzt ist echt ein schei.. Oder wie Semsrott sagen würde: Klassische Lose-Lose Situation.
Die Mail fühlt sich trotzdem unvollständig an wenn ich nicht noch mal schreibe: die Antwort auf deine Frage bist du. Du als Mensch. Nicht als Partnerin, sondern du. Du bist so stark in meinen Gefühlen vertreten, dass nur du meine Blockade aufreißen konntest und zwar mit Shocktherapie. Und ohne ging es nicht. Ich muss dir wirklich trotz meiner Situation dankbar sein. Bin ich auch.
Ich liebe dich
18.10.2020 23:16 •
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