Ich hatte keine Anwandlung mehr, irgendwelche Episteln zu verfassen und ich bereue meinen Wutausbruch auch nicht. Okay, auflegen wäre souveräner gewesen, aber vielleicht war es für mich auch endlich mal wichtig, nicht nur elender piep piep zu denken oder oder zu schreiben, sondern es auch mal an den Mann zu bringen.
Dafür hatte ich eine tränenselige Stunde bei meiner Therapeutin. Aber nicht im traurigen Sinne tränenselig, mir war schon klar, dass die Aufarbeitung der Geschichte kein Spaziergang wird. Ich hab gemeint, ich würde gerne Sachen
nicht erzählen, weil ich Angst habe, man glaubt mir nicht oder denkt, ich wolle mich
interessant machen. War den Lügen ein Thema in Ihrer Beziehung, hat sie gefragt. Ich hab sofort Herzklopfen bekommen. Ein Riesenthema, hab ich gemeint.
Zum Einen waren da zum Beispiel Dinge, die er erst so und dann anders erzählt hat. Wie der Selbstmord seiner Mutter. Sie hatte in mehreren Versionen der Geschichte ein unterschiedliches Alter als sie sich umbrachte, was für mich keinen Sinn gemacht hat. Das ist ja tragisch und wirklich passiert, wie ich von seinen Geschwistern weiß- wieso hat er die Geschichte anfangs abgeändert. Dann wieder Details und kleine Geschichten, die erfunden waren, noch nicht einmal wichtige Sachen. Oder Geschichten im Nachhinein zurechtbiegen, wie Legendenbildung.
Ein großes Thema war Wahrheit ohnehin. Und der Vorwurf, dass ich lüge, da war er wie besessen davon.
Und manche Dinge haben mich total an mir zweifeln lassen. Ganz unbedeutende Dinge.
Er hat mir mal so ein Messingding geschenkt, das man Pferden an ihren Kopfputz macht- keine Ahnung wie das heißt, hab ich vergessen. Ich hab es auf den Tisch gelegt. Am Tag vor meinem Abflug war es auf dem Stapel mit denen, die er sich an die Wand nageln wollte.
Ich: Oh, that`s mine!
Er: Why would it be
yours?
Ich: Because you gave it to me last Friday, as a gift?!
Er: As a gift? Okay, have it, it`s okay, but I can`t remember that, darling. (Augenzwinkern)
Ich: But you did, can`t you remember, you told me what it`s for?!? Can you remember?
Er:(Kopfschütteln, Lachen) You`re so great in inventing your little stories- here, have it! I wanted you to have one anyway.
Ich: You DID! You said it was a gift.
Er: You sometimes get me to doubt myself, you`re real great at that.
Viel später- ich erinnere ihn verzweifelt in einem Gespräch an Dinge die er gesagt oder versprochen hat. Er erinnert mich an den Vorfall mit dem Messingdings, bei dem ich anscheinend selbst geglaubt habe am Ende, er hätte es mir geschenkt.
Du scheinst ein etwas gespaltenes Verhältnis zur Wahrheit zu haben. Solche Gespräche haben sehr oft stattgefunden. So dämlich der Satz in vino veritas ja ist, wenn er einen im Tee hatte oder nach dem Schnackseln beispielsweise, da war er oft einfach er selbst und bißchen schutzlos und hat oft interessante Dinge gesagt. Und hinterher geleugnet.
Ich hab eigentlich immer mehr an mir gezweifelt und selbst geglaubt, ich würde dauernd Lügen erzählen.
Die Therapeuten- HABEN Sie denn oft gelogen in Ihrer Beziehung? Ich mit immer mehr Herzklopfen-
eigentlich dauernd-
und zwar von Anfang an. Und zwar verrückterweise, um
glaubhafter zu erscheinen, Konflikte zu vermeiden. Ich konnte immer besser einschätzen, was er glauben würde und hab das dann gesagt oder getan.
Böses Thema- mein Exmann- da hab ich versucht, alles so darzustellen, dass er möglichst nicht eifersüchtig wurde.
Ja, keine schönen Erkenntnisse über mich, hab ich mir heute gedacht. Was ich allerdings mag an der Therapie- es geht um mich. Wir diskutieren nicht ihn, wir reden über mich. Ob er jetzt psychisch nicht ganz auf der Linie ist oder gar gefährlich oder was auch immer- nicht wichtig. Zur Abwechslung mal bin ich wichtig. Er darf in der Ferne sein Zeckenleben weiterführen, jetzt geht es um
mich. Und trotzdem muss ich da weiter hinschauen, um es hinter mir lassen zu können.
Überhaupt an die Aufarbeitung zu gehen heißt ja für mich einzugestehen, dass etwas beendet ist und ich weitermachen möchte. Nicht daran festhalten.
Das hat eine wahre Tränenflut ausgelöst heute. Samt Atemnot, Würgereiz und Herzrasen.
Möchten Sie ihn denn gerne sehen jetzt, hat die Therapeutin gefragt. Nee, hab ich gemeint, oh Gott, bitte, nein. Ich bekomme schlimmes Herzklopfen, wenn ich nur daran denke. Aber dann müßte ich doch jetzt glücklich sein, wenn ich nie wieder etwas von ihm höre oder sehe, hab ich gemeint, wieso bin ich das nicht vollkommen und ganz und gar?
Das weiß ich nicht, hat sie gemeint, das müssen
Sie herausfinden.
Ja, immer ich, hab ich gedacht. Aber mir war leichter danach.