Ich bin mit einem Flüchtling zusammen. Ich habe ihn an Karneval angesprochen und dann erst nach ein paar Wochen verstanden, wie seine Situation ist und auf was ich mich eingelassen habe. Inzwischen sind wir seit 1 1/2 Jahren ein Paar. Seit einem halben Jahr kämpfen wir mit einem Anwalt um eine Hochzeit, um eine möglichst normale Beziehung zu ermöglichen (Arbeitserlaubnis, Reisen, Sprachschulen ect). Nun denken vielleicht schon einige ach herrje Mädchen, der will doch nur die Papiere. Ich bitte euch an der Stelle nicht den Fokus hierauf zu legen, da ich wirklich ein absolut rational denkender Mensch bin und weder ich, noch mein Umfeld inkl. Eltern Sorgen bei meinem Partner haben, dass er mich nicht ehrlich liebt und seine Motivation beim Aufenthaltrecht liegt. Trotzdem erzähle ich diesen Hintergrund, damit unsere besondere Situation berücksichtigt werden kann.
Auf Grund dieser Gesamtsituation ergeben sich generell schon einmal viele Probleme und ein extremer Druck und Stress, der durchweg auf beiden lastet:
- Vollkommene Abhängigkeit meines Partners von mir (finanziell, Unterkunft, Anwaltsgespräche über seine Zukunft ect.)
- Sprachdifferenzen (sein derzeitiges Niveau liegt ca. bei A1, wir können uns über alles unterhalten, es fehlt besonders für tiefgründige Gespräche jedoch spezielles Vokabular, emotionen kann er schwer korrekt erklären)
- Durchweg herrschende Ängste hinsichtlich der Zukunft (Aufenthalt ect.)
- Unterforderung meines Partners (Arbeitslosigkeit, keine eignen finanzielle Mittel für Unternehmungen ect.) und Überfoderung bei mir (Alleinverdiener, komplette Organisation des Hochzeitkampfes)
Leider habe ich angefangen, diesen Stress und Druck Recht früh in der Beziehung mit schlimmer verbaler Gewalt an ihn auszulassen (Ar*******, Wi**er, F*** d***). Immer wenn ich mich überfordert gefühlt habe, wollte ich dem Gefühl auf falscher Weise Ausdruck verleihen. Meinen Partner, stören diese Beleidigungen im Streit natürlich extrem und er bittet mich immer wieder ruhig zu bleiben. Auch er hat sich dies nun inzwischen als Konter angewöhnt, wenn auch nicht so extrem wie ich (du bist verrückt o. ä.). Die Streitsituationen häufen sich bereits seit einem Jahr, gleichzeitig lieben wir uns sehr und haben trotzdem bis jetzt ebenfalls regelmäßig wunderschöne Tage gemeinsam. Es ist immer entweder ein großes hoch oder ein großes tief.
2 Situationen sind nun vorgefallen, bei denen mein Partner offenbar vor lauter Verzweiflung innerhalb von Streitsituationen eine absolute Grenzüberschreitung durch leichte körperliche Gewalt begangen hat. Ich schreibe deswegen leicht, da keine Handlung voll durchgezogen war und mir auch keinerlei Schmerzen oder gar Folgen bereitet hat. Ich möchte es nicht schön reden, finde jedoch, dass das schon Einfluss auf die Entscheidungsfindung hat. Einmal kam es in einem eskalierten Streit zu einem leichten Klaps in den Nacken, gefolgt von einem leichten Tritt an den Schuh. Nach einem Klärungsgespräch, machte ich ihm diese Grenze deutlich. Samstag Abend kam dann leider 3 Wochen später eine Steigerung zum Vorschein. Beide leicht betrunken, schaukelten sich wieder wegen einer Lapalie hoch. Ich provozierte direkt mit schlag mich doch wieder und verpiss dich. Er stand auf und trat die Wäscheboxen weg und warf ein Kissen nach mir. Ich fing an zu weinen, weil die Situation so unnötig eskalierte und legte dabei meine Hände vor das Gesicht. Dann merkte ich einen Klaps gegen meine Hände ans Gesicht und war natürlich wieder total geschockt. Er schlug mit der Hand gegen die Wand und wurde dann noch wütender, da er sich diese wohl schwerer verletzte dabei. Dann kam er wieder zu mir und trat mir ebenfalls leicht auf meinen Oberschenkel. Ich war schockiert von seinem Ausbruch, er ging dann von sich aus und fuhr zu seinem Bruder, hat inzwischen um ein Gespräch gebeten und bereits geschrieben, dass er weiß, dass es eine große Sache war.
Meine Mutter und meine Freundinnen habe ich bereits in die Geschehnisse offen eingeweiht, von allen Seiten höre ich dazu unterschiedlichste Meinungen und ich bin weiterhin total überfordert von dem Erlebten. Der Kultur schreibe ich dies übrigens nicht zu, ich kenne die Eltern persönlich und diese gehen völlig respektvoll miteinander um. Generell ist die Familie sehr europäisch, da sie in einem Touristenviertel Leben. Heute werde ich ein Gespräch mit ihm über seine Ansicht zu der Thematik führen und mir danach erneut Zeit zum nachdenken nehmen. Morgen besuche ich meine Therapeutin zum Austausch und ich habe bereits ein Frauenhaus zur Beratung angeschrieben, da die Helferinnen sicherlich viel Erfahrungswerte zu solchen Vorfällen haben. Zusätzlich freue ich mich über eure Meinungen.
Ich glaube rein sachlich gesehen ist sich jeder erstmal einig es wäre sicherer zu gehen und kein Risiko einzugehen, die Ausbrüche könnten für Ihn zur Normalität werden oder sogar heftiger ausfallen.
Emotional sieht das für mich natürlich ganz anders aus. Dieser Mensch ist nach 24 Jahren und einigen geküssten Fröschen die große Liebe, wir standen kurz vor dem Ziel endlich zu heiraten. Ich weiß dass er mich auch sehr liebt und ich möchte auch berücksichtigen, dass er derzteitig im Gegensatz zu mir im Streit nicht fähig ist, seine Gefühle und Gedanken auf Deutsch klar zu äußern. Vermutlich staut sich sein Frust über meinen verbalen Angriff so an, dass er es dann körperlich entläd und mich wach rütteln will. Mich dabei körperlich anzugehen bleibt natürlich ein absolutes no go. Er hat offenbar noch die Hemmschwelle mir nicht weh zu tun und nicht durchzuziehen, seine Kraft nicht auszunutzen. Ich habe keine Angst vor ihm dadurch, glaube auch es ein letztes Mal verzeihen zu können theoretisch. Da er in keinen Augen der Leute die ihn kennen als grundsätzlicher Schläger gehalten wird und keiner von uns glaubt, dass er dies tat um mich zu verletzen, denke ich auch dass es nicht mehr dazu kommen würde, wenn der Respekt wieder generell auch verbal mehr in die Beziehung einkehrt. Das große Problem meiner Entscheidung:
Ich habe keine Zeit, diese läuft gegen seinen Aufenthalt. Die Entscheidung muss jeweils radikal Trennung oder Hochzeit sein.
Zusätzlich mag ich den Menschen natürlich auch im Falle der Trennung sehr gerne und es bricht mir das Herz daran zu denken, ihn erneut in ein perspektivloses Leben ziehen zu lassen. Meine Entscheidung hat für ihn ggfs. furchtbare Folgen. Er muss somit früher oder später zurück in sein Herkunftsland und wird für immer ein schlechtes Leben führen müssen. Klar bin ich dafür nicht Verantwortlich und er hatte es an dem Abend in der Hand die Grenze nicht zu überschreiten, aber es rührt mich neben dem Herzschmerz zusätzlich dauerhaft zu Tränen.
Der lange Text tut mir leid, kürzer konnte ich dieses Thema nicht halten.
Lieben Gruß und Danke, wenn ihr eure Zeit investiert habt für die Zeilen
Kim
21.08.2018 10:44 •
#1