Moin,
ich sehe das etwas differenzierter. Ich glaube nicht, dass man jetzt einfach zur Tagesordnung übergehen sollte. Auch wenn es bei euch eine Art Ritual ist, sich mit Argumenten zu bombardieren, bis einer gewonnen hat. Und dann um Entschuldigung bittet, damit alles wieder gut ist.
Dabei hattet ihr bisher eine bestimmte Wellenhöhe im Auge. Die Wellen schlugen hoch, aber das war normal. Denn jeder wusste ja, dass sie bald wieder abklingen und wieder ruhiges Wasser da ist. Eine Art Ritual.
Diese Wellenhöhe wurde jetzt deutlich überschritten, es wurde ein Tsunami daraus und der hat dich überwältigt, dir die Luft genommen und dir sehr große Angst eingeflößt. Denn alles, was bisher geholfen hat, hat nun nicht mehr geholfen. Diese Angst, die dir da begegnet ist, war als so etwas wie eine existentielle Angst, ganz groß und nicht mit den bekannten Mechanismen zu bewältigen. Dein Partner war plötzlich fremd, gewaltbereit, beängstigend und bedrohlich. Das hat auch die Bitte um Entschuldigung nicht mehr ändern können.
Und genau darüber solltest du mit ihm reden. Er sollte erfahren, welches Bild du in diesen schrecklichen zwei Stunden von ihm bekommen hast, wie fremd er dir wurde, wie angsteinflößend. Er sollte erfahren, dass du am liebsten geflohen wärest und dass du so etwas nicht mehr erleben möchtest und auch nicht mehr erleben wirst. Denn wenn es wieder zu solch einem Gewaltausbruch kommen sollte, gehst du sofort aus dem Raum. Und möglicherweise steht dann auch eure Beziehung in Frage. Das weißt nur du.
Den vollen Ernst der Sache also ansprechen. Dann aber vor allem: Eine neue Streitkultur erarbeiten. Was ihr da macht, mag ja ganz unterhaltsam sein, aber es ist schlecht für eine Liebe. Denn immer wenn ein Austausch mit Argumenten stattfindet, gewinnt der, der besser argumentieren kann. Also nicht, derjenige, der Recht hat, sondern der, der besser argumentieren kann. Und dabei geht die Wahrheit schon mal den Bach runter, denn es geht ja um das Gewinnen. Das lernt man oft shcon als Kind. Aber man muss es nicht zwingend als Erwachsener so weiter machen.
Wenn einer gewinnt, ist der andere Verlierer. Und beim Verlierer geht immer ein Stück Liebe verloren. Manchmal kann man das zurück gewinnen, oft aber auch nicht. Der Bruch und die Verletzung ist dann zu tief.
Es wäre also sehr gut für euch, wenn ihr anders miteinander umgehen könntet. Eine Meinungsverschiedenheit ist erst mal nicht anders als das: Man ist unterschiedlicher Meinung. Es besteht keine Notwendigkeit, das beim anderen zu ändern. Der darf seine Meinung behalten und ich behalte meine Meinung. Und man kann mit zwei unterschiedlichen Meinungen sehr schön miteinander leben. Das nennt man normalerweise Toleranz. Manchmal nennt man es auch Klugheit. Es ist nämlich nicht sonderlich klug, einen anderen immer und unbedingt davon überzeugen zu wollen, dass es nur eine richtige Meinung gibt, und zwar die eigene.
Da könntet ihr sehr viel lernen. Und vielleicht kommt dann auch die Liebe zurück. Aber erst mal muss die Angst wieder gehen. Und dazu muss er wissen, wie groß diese Angst war und ist.
Viel Erfolg dabei