Vor fast genau zwanzig Jahren hatten wir einen Jungen in der Nachbarschaft, der auf mich sehr gesund und liebesfähig wirkte. Ich war nie in ihn verliebt, er interessierte mich nicht einmal. Aber er hatte etwas sehr ausgeglichenes, liebevolles und bewusstes. Auch er war nicht in mich verliebt oder ähnliches, fragte meine Mutter aber manches Mal nach mir. Was er da genau wissen wollte, weiß ich gar nicht mehr. Ein junger ehrgeiziger Mann voller Ideale, dennoch kein Träumer. Überdies sehr hübsch anzusehen. Ich war aber ziemlich krank in der Birne und interessierte mich nicht für gesunde Menschen.
Ich sah ihn nie wieder und dachte nur ein einziges Mal an ihn- als ich Jahre später erfuhr, dass er zufällig der Sohn des Psychologen meiner Mutter ist. Dieser Psychologe erzählte meiner Ma von seiner Ehe, die von tiefer Zuneigung zu seiner Frau geprägt sei. Er war mittlerweile über Jahrzente mit seiner Frau zusammen, beide inzwischen betagt, Graugnome. Meine Ma sah die beiden zufällig einmal gemeinsam spazieren- Hand in Hand. Er sehr zärtlich im Umgang mit ihr.
Heute war ich wiederum bei meiner Psychologin. Sie bat mich, meine Hand auf mein Herz zu legen...Ich schloss meine Augen, Hand auf meinem Herzen, ganz bei mir. Dann sagte sie mit sanfter Stimme, ich solle mir vorstellen, dass sie ihre Hand auf die meine lege. In dem Moment zuckte ich panisch zurück und öffnete die Augen wieder.
Ich ging Heim und befragte mich nach meiner Liebesfähigkeit und dachte erstmals seit vielen Jahren an diesen Nachbarsjungen...Ich dachte ohne jede Sentimentalität, eher nüchtern- ich glaube, der kann lieben, stieg in die Bahn..., fragte mich, wie er hieß..ah, da fiel mir der Name ein und genau in diesem Moment stand er vor mir und schaute mich an. Ich sah in ein schönes weiches und bewusstes Gesicht- und tat so, als hätte ich ihn nicht gesehen und huschte an ihm vorbei.
13.06.2017 23:40 •
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