Interessantes Thema, da würde ich mich ebenfalls gerne mal mit einreihen. Ich bin bei den 80ern hängen geblieben, da auch ich dort geboren bin.
Draußen zu spielen war für mich und meine Kindergarten-/Schulfreunde noch ein MUSS. Ja, auch wir haben ab und zu mal einen Film geschaut, oder bei meinem Onkel am C64 ein Paar Videospiele gespielt. Aber das war bis in die 90er bei mir und meinen damaligen Freunden noch eher die Ausnahme. Stattdessen spielten wir im naheliegenden Wald, bauten Buden oder stocherten in irgendwelchen Tümpeln und Bächen herum. Die ersten Umbrüche kamen bei uns in den 90ern als die ersten Spielkonsolen (NES/SNES, na wer kennt sie noch?^^) in die heimischen Wohnzimmer kamen.
Heute habe ich das Gefühl es ist eher umgekehrt. Auf meiner Arbeit habe ich viel mit Kindern von Grundschule bis zur weiterführenden zu tun und die häufigsten Fragen, die mir gestellt werden sind nicht mehr jene nach meinem Musikgeschmack, sondern ob ich Charakter oder Spiel XY kenne und was ich so zocke.
Ich selbst wuchs in eher bescheidenen Familienverhältnissen auf. Meine Eltern ließen sich früh scheiden, nachdem mein Vater eine Affäre mit der Nachbarin begann. Ich wuchs bei meiner Mutter auf, litt die ersten Jahre sehr unter der Trennung, wurde von meinem Vater und seiner neuen LP teilweise sogar als eine Art Waffe missbraucht um meine Mutter mit aufgetragenen Fragen und blöden Kommentaren auf die Palme zu bringen und habe in diesen Jahren einen regelrechten Hass auf meinen Vater entwickelt. Das ging so lange, bis mein Vater von sich aus den Kontakt mit den Worten Vorläufig hole ich dich nicht mehr. beendete und danach für die nächsten 10 Jahre komplett aus meinem Leben verschwand. Ich habe ihn bis heute nicht wiedergesehen und lege auch keinen Wert mehr drauf. In meiner Grundschulzeit war ich als Scheidungskind noch eher die Ausnahme, doch war dies noch kein Grund für irgendwelche Mobbingaktionen.
Das ganze änderte sich dann in den 90ern. Irgendwie begann dort der Konsumwahn in die Schulklassen einzuziehen. Markenklamotten waren für viele meiner Klassenkameraden bereits Standard. Wer zu den coolen Kids gehören wollte durfte da schon nicht mehr in Klamotten aus den günstigen Läden oder (ganz böse) aus dem Second Hand Bereich herumlaufen. Wer es sich leisten konnte besaß bereits ein Handy und daddelte in den Schulpausen genauso häufig Snake wie mit Freunden Fußball zu spielen. Darüber hinaus war es quasi Pflicht sich an den Wochenenden zu betrinken, zu rauchen oder anderen Unfug zu treiben. Wer (wie ich) bei all dem nicht mitmachen konnte oder wollte landete schon sehr schnell auf dem Abstellgleis und war ein gefundenes Fressen für allerlei Anfeindungen, inklusive Mobbing. Die Lehrer waren teilweise schon keine Respektpersonen mehr, doch gab es noch Einzelexemplare, vor denen selbst die größten Rabauken zurückschreckten. Eine Unterstützung aus dem Elternhaus gab es dabei jedoch höchstens aus jenen Familien bei denen man bereits damals den Eindruck hatte da interessiere sich niemand für die Kinder. Andere Erziehungsberechtigte waren da strenger.
Heute hat sich da meinen Erfahrungen nach durchaus etwas verändert. Mobbing hat etwas abgenommen und die Klassen halten mehr zusammen, aber auch nur weil der Markenwahn inzwischen seinen Höhepunkt erreicht hat. Nun stecken selbst jene Leute ihre Kinder in teure Markenklamotten und verschenken stets die neuesten Mobiltelefone, die es sich eigentlich gar nicht leisten können. Halt damit ihr Kind auf keinen Fall an den sozialen Rand gedrängt wird. Markennamen sind selbst bei den letzten Knalltüten fest ins Leben integriert. Ich habe inzwischen schon Schüler erlebt, die sich die Logos diverser Marken in die Frisur haben rasieren lassen. Der Respekt vor Lehrkräften ist quasi bei 0 angekommen. Erwachsene (besonders Lehrer) sind in den Augen vieler nur noch Störfaktoren, die einem den Spaß im Leben nehmen wollen und die Zeit rauben. Unterstützung gibt es dabei fleißig aus dem Elternhaus. Lehrer die sich gegen respektloses Verhalten mit wehren oder aufgrund von nicht erbrachten Leistungen schlechte Noten verteilen müssen damit rechnen direkt von den Eltern verklagt zu werden.
Kurzum: Ich freue mich zwar auch darüber, dass wir im Lauf der letzten Jahrzehnte doch auch viel an Frieden (ja, Ukraine, ich weiß) und Freiheit gewonnen haben. Doch der Misanthrop in mir gibt zu bedenken, dass Mensch mit zu viel Frieden und Freiheit offensichtlich nicht umgehen kann. Von allen Seiten der Gesellschaft ertönt es in meinen Ohren immer lauter: Ich Ich Ich Ich, danach eine ganze Weile gar nichts und dann wieder Ich. Familie? Braucht man nicht, wozu gibt es Facebook? Ja, ich denke auch das in den früheren Generationen (wie die meiner Großeltern) Beziehungen schon wegen den Verpflichtungen länger hielten, denen man damals halt so unterworfen war. Doch auch Krisen und ernsthafte Katastrophen gab es und diese schweißten die Leute doch auch irgendwie zusammen. Meine Großmutter verlor ihren ersten Mann im zweiten Weltkrieg, den Zweiten in seinen letzten Lebensjahren an Alzheimer und doch stand für sie eine Trennung Zeit ihres Lebens nicht zur Debatte. Alles nur weil sie von ihren Männern doch ach so sehr unterdrückt wurde und keine andere Möglichkeit sah um sich und ihre Kinder zu versorgen? Bestimmt nicht. Meine Großmutter wusste es nach dem plötzlichen Verlust ihres ersten Mannes eben auch einfach zu schätzen, dass sie einen Mann an ihrer Seite hatte, auf den sie sich verlassen konnte. Und genau das sehe ich in der heutigen Zeit nicht mehr, bei dem man den Partner wegen jeder noch so geringen Sch... wegwirft. Hier auf dem Board lese ich immer wieder den Satz Wenn es dem Esel zu gut geht, dann geht er aufs Eis. Ich glaube dieser Satz lässt sich nicht nur auf Liebesbeziehungen beziehen, sondern auf Menschen im Allgemeinen. Vielleicht liegt ja darin die traurige Wahrheit: Vielleicht braucht der Mensch einfach immer eine Kriese, irgend einen Störfaktor der ihm das Leben schwerer macht als es sein könnte. Um zu schätzen was er bereits hat, anstatt nur danach zu suchen, was ihm so alles fehlt. Schade.... Für gewöhnlich reicht mir bereits ein guter, klarer Nachthimmel, ein Blick zu den Sternen und in die endlose Weite um zu mir selbst zurück zu finden und mir wieder darüber bewusst zu werden wie klein und unbedeutend doch all unsere täglichen Bestrebungen und angeblichen Bedürfnisse in Wirklichkeit sind. Aber mit so alltagsromantischen Verhaltens- und Denkweisen gehöre ich inzwischen vermutlich bereits zu einer aussterbende Art.