Hallo Helgehe (und alle anderen, die es interessiert),
ich bin seit sechseinhalb Jahren mit meinem Partner zusammen. Vor anderthalb Jahren veränderte sich unsere Beziehung. Hätte ich mich nicht darauf eingelassen, Neues zu probieren, wären wir nicht mehr zusammen, aber höchstwahrscheinlich sehr unglücklich, weil man einander nicht vergessen könnte.
Vor mir hatte er schon einige andere Frauen, darunter eine vierjährige Beziehungen. Er hatte aber überwiegend Liebschaften, die er hin und wieder traf. Eine dieser Damen wohnt im Ausland. Ein Dreivierteljahr nachdem wir zusammen gekommen waren, trafen sie sich auf der Cebit (wo sie sich auch kennen gelernt hatten). Er sagte mir, dass sie, Annika, auch dort sein würde und dass er ihr gerne Hallo sagen wollte. Ich wollte und konnte nicht mitfahren. Gut, sollten sie sich treffen, ich wollte es ihm nicht verbieten. Sonst hätte er es vielleicht heimlich gemacht. Es war aber sehr schlimm für mich und ich war sehr eifersüchtig. Er erzählte immer mal wieder von ihr und der Zeit vor mir. Einerseits wollte ich das nicht hören, andererseits gehörte es zu ihm und da es mich interessierte, was ihn interessierte, hörte ich zu. Ich sah ja keine Gefahr, denn sie war weit weg. Im Jahr darauf besuchten wir mit Freunden gemeinsam die Cebit. Auch sie war wieder dort. Plötzlich stand sie mit ihren Mädels hinter uns. Sie war total nett zu mir und grüßte mich fröhlich. Mein Partner wirkte unsicher und er schien sich unwohl zu fühlen. Er wimmelte sie dann irgendwie ab. Er sagte mir, die Situation wäre ihm sehr unangenehm gewesen. Am nächsten Tag jedoch fragte er mich, ob er sie treffen könne, weil sie reden müssten. Ich sagte ja und vertrieb mir die Zeit mit unseren Freunden. Die fragten natürlich, wer sie war. Ich sagte es ihnen: Eine alte Bekannte…
Im nächsten Jahr würde Annika ein Seminar in Deutschland besuchen und wollte danach einen kurzen Zwischenstopp in unserer Heimatstadt einlegen. Er wollte sie treffen. Ich sagte, dass mir das nicht so lieb sei, ich es ihm aber nicht verbieten würde. Sie trafen sich schließlich nicht. Na ja, und zwei Jahre später lernte er wieder eine Frau kennen. Das war auf einem Betriebsfest. Er erzählte mir gleich am nächsten Tag davon und sagte, er sei ziemlich durcheinander, denn sie hätten sich so gut verstanden und es hätte die ganze Zeit gekribbelt und geknistert. Ich sah darin kein Problem. Wir waren bereits seit fünf Jahren zusammen und unsere Liebe sehr stark und wunderschön. Außerdem wohnten wir schon länger zusammen. Er erzählte oft von ihr, sagte, er müsse sie unbedingt wieder sehen und dass er gar nicht wüsste, was mit ihm los sei! Er sah sie manchmal zufällig auf Arbeit und das Gefühl wollte nicht verschwinden. Das alles eskalierte dann, als er tatsächlich überlegte, mich zu verlassen. Tränenüberströmt lag er in meinen Armen, während ich zitterte. Ein Leben ohne ihn? Niemals! Er wollte mich nicht verlassen, aber fühlte plötzlich so viel, dass er nicht wusste, wie das miteinander vereinbar sein sollte. Die andere – Lara – zog ihn magisch an und er sehnte sich danach, sich mit ihr zu vereinen.
Ich stimmte einen Treffen zu, bei dem sie miteinander reden wollten. Er erzählte mir hinterher, dass sich seine Gefühle nur noch mehr bestätigt hätten und er sich nicht vorstellen könnte, sie nicht mehr zu sehen. Er wusste nicht, was das war und ich wusste es auch nicht, aber ich liebte ihn, das wusste ich. Es ging dann ewig hin und her – verlassen, nicht verlassen, verlassen, nicht verlassen. Furchtbar war das, aber vor allem auch für ihn, der er hin und hergerissen war. Sie wollte keine Beziehung, sagte, sie sei nicht in ihn verliebt, aber sehr gern in seiner Nähe. Da war von Anfang an ein besonderer Zauber zwischen den beiden. Mein Partner und ich redeten oft und viel und es musste eine Lösung her. Für ihn stand schließlich fest, dass er nicht ohne mich sein wollte, aber trotzdem auch in Laras Nähe sein musste, weil diese Anziehungskraft so stark war und das zwischen ihnen so einzigartig. Ich gestattete ihm sogar, bei ihr zu übernachten und nach und nach waren auch Küsse und Berührungen für mich halbwegs okay. Ich merkte nämlich, dass es wirklich nichts mit mir zu tun hatte, denn er wollte mich ja gar nicht verlassen. Sie trafen sich zunächst häufiger, was aber für ihn und auch für mich echt doof war. Er war gefühlsmäßig überfordert, ich eifersüchtig, weil es alles so schnell ging. Ich wusste aber rein sachlich betrachtet, dass es nicht mit seiner Liebe zu mir zusammenhing, trotzdem mussten wir viel reden. Und nur so konnte es schließlich funktionieren.
Wir hatten dann eines Tages einen Moment, der besonders intensiv und voller Nähe und Vertrauen war.
Er gestand mir, dass er Annika – also die Cebit-Bekanntschaft – ein Jahr nach ihrem Seminar heimlich getroffen hatte. Sie war nämlich ein Jahr später wieder in einem Workshop und sie trafen sich in einem belebten Park in unserer Stadt. Er hatte diesen Ort gewählt, weil dort „nichts passieren“ konnte. Allerdings passierte doch etwas. Sie waren einander wieder so vertraut, so nah, dass es sich einfach nur richtig anfühlte. Sie hatten sich geküsst und berührt, so gut es in der Öffentlichkeit eben ging. Danach ging es ihm schlecht (beiden, denn sie hatte bzw. hat ja auch einen festen Freund). Er vermisste sie schrecklich, dachte aber auch an mich. Sie wollten nie ein Paar sein, aber da war schon immer etwas Inniges zwischen den beiden, sodass sie sich immer wieder voneinander angezogen fühlten.
Er erzählte auch von Lara und schließlich kam heraus, dass da schon mehr gelaufen war, als ich wusste. Das tat weh, denn alles war so neu für mich und meine Vorstellungen einer perfekten Beziehung waren schon lange aus dem Lot. Aber in diesem Moment waren wir einander so nah, dass ich nicht austickte. Ich spürte seine wahre, tiefe Liebe zu mir. Ja, er hatte mit Lara, der Frau vom Betriebsfest, geschlafen, mehrmals, er hatte nicht anders gekonnt. Er konnte aber auch nicht mehr lügen bzw. immer nur Halbwahrheiten erzählen, denn unsere Beziehung war ihm unglaublich wichtig. Er sagte, es würde immer wieder passieren und er wolle mir nichts vormachen. Seine Liebe zu mir sei aber gleichzeitig so stark, dass er mich nicht hergeben könnte.
Ihm fehlte nichts an mir und mit mir, ich bin gut so, wie ich bin. Allmählich veränderte sich auch mein Denkmuster und meine Angst schlug in Neugierde um. Ich konnte mich sogar immer öfter mit ihm freuen, wenn er von Lara oder auch mal von Annika sprach. Das war im Grunde vorher auch schon so. Die Tatsache, dass da mehr gelaufen war, als ich wusste, änderte eigentlich nichts, denn zwischen uns war es ja jetzt, da ich es wusste, nicht anders. Ein bitterer Beigeschmack blieb, aber es ist erträglich und ich will ihn, wie er ist. Wenn das ein Teil seines Wesens ist, dann kann ich diesen nicht ablehnen. Dann picke ich mir ja nur die sprichwörtlichen Rosinen raus. Es ist nicht leicht, aber ich kann damit umgehen, immer besser.
Wir hatten uns beide stark mit diesen Themen befasst, er noch mehr als ich und für ihn war irgendwann klar, dass er nicht nur eine Frau bis ans Lebensende lieben und begehren kann. Wir fanden heraus, dass dies auch gar nicht sein muss. Wir haben ja auch nicht nur eine Freundschaft, sondern unterschiedliche Freunde. Das monoamore Denken (also dass wir nur mit einer Person eine Beziehung haben können) ist gesellschaftsbedingt, aber nicht natürlich. Natürlich ist das Verlangen nach mehr als einem Menschen. Plötzlich sahen wir, wie vielen anderen es auch so geht! Fremdgehen, verlassen und verlassen werden ist an der Tagesordnung und genau das wollen wir nicht. Wir wollen das offen leben und darüber sprechen und anderen verzweifelten Menschen ein Beispiel sein, wie es eben auch gehen kann, wenn man über seinen Schatten springt.
Wer immer wieder fremdgeht und nicht anders kann, seinen Partner aber liebt und bei ihm bleiben will, sollte es ihm oder ihr früher oder später doch beichten. Sonst belügt man auch sich selbst und wertet die eigenen Bedürfnisse ab. Diese sind halt da, aber noch lange kein Verbrechen. Man muss eben dazu stehen, dann mag man auch sich selbst und wirkt mit sich selbst im Reinen, was wiederum auch andere merken. Wenn der andere davon weiß, kann er selbst entscheiden, wie er damit umgeht. Unverzichtbar und Grundvoraussetzung ist aber das Wissen über Polyamorie und man muss sich gemeinsam langsam dorthin arbeiten. Vor allem, wenn man bisher nur in der klassischen Zweierbeziehung zuhause war. Sonst versteht man das alles nicht und kann es auch nicht nachempfinden, fühlen, für sich nutzen. Dann wird man sich immer betrogen und verarscht fühlen. Ohne die Offenheit, seinen Horizont zu erweitern und eigene Wege fernab der gesellschaftlichen Norm zu finden, geht es nicht. Einen Versuch ist es jedenfalls wert! Es verändert einfach alles, das gesamte Denkmuster und viele verkorkste Ansichten.
Lara ist eine Bereicherung für ihn, ebenso Annika, die er evtl. auch wieder sehen wird. Die beiden sind völlig unterschiedlich: Die eine häuslich, ruhig und mütterlich, aber auch leidenschaftlich. Die andere unabhängig, sehr selbstbewusst, zappelig, etwas durchgeknallt. Lara wollte auch nie unsere Beziehung zerstören und hat ihn immer gefragt, wie es mir geht. Sie genießt die Zeit mit ihm, will es aber nicht so häufig, da sie gemerkt hat, dass er damit emotional nicht umgehen kann. Es kann natürlich sein, dass Lara jemanden kennenlernt, der eine Zweierbeziehung mit ihr eingehen möchte. Immerhin wünscht sie sich auch Kinder, was mit meinem Partner aber nicht geht. Also das schließen wir nun wirklich aus, das wäre auch mir zu viel! Es kann sein, dass die beiden sich dann nicht mehr treffen. Daran will mein Partner aber nicht denken, weil es ihm sehr weh tun würde, wenn sie ihn einfach so austauscht, wie er es formuliert. Lara weiß nicht, was sie tun würde. Sie sagt, das müsste man dann sehen.
Na ja, und Annika, also vielleicht telefoniere ich mal mit ihr und schaue, ob es ok für mich ist, wenn sie sich wieder sehen und mehr miteinander machen. -Und vielleicht gibt es eines Tages auch jemanden für mich, wer weiß. Allerdings verliebe ich mich nicht so schnell… Für mich ist der Reiz da nicht so groß, ich bin nicht so emotional wie mein leidenschaftlicher Mann. Mich würde höchstens das Abenteuer reizen, also zu sehen, wie es mit einem anderen sein kann. Gefühle sind dabei eher zweitrangig, aber Sympathie muss schon vorhanden sein, klar. Außerdem habe ich mit den Liebschaften meines Partners schon genug Abwechslung im Leben! *lach*
Wir reden viel miteinander. Es ist ein tolles Gefühl zu wissen, dass es ihm gut geht, auch wenn ich nicht der Grund bin. Ich bin es aber in gewisser Weise dann doch, da ich ihn liebe und mich mit ihm freue und davon profitiere, wenn er gut drauf ist, klar. Es ist nicht immer leicht und ich kenne nicht jedes Detail, muss ich aber auch nicht, wozu? Um ihn zu kontrollieren? Jeder Mensch gibt einem etwas anderes. Eine(r) allein kann gar nicht alle Bedürfnisse erfüllen. Wenn man es schafft, nicht mehr alles auf sich zu beziehen und aufhört zu werten, wird vieles viel, viel schöner und entspannter. Wenn ich denke, er findet Lara besser als mich, sage ich ihm das. Dann nimmt er mich in den Arm und gibt mir zu verstehen, dass er uns nicht miteinander vergleicht, weil ihm jede etwas anderes gibt und bedeutet und dass die eine nichts mit der anderen zu tun hat. Mit mir geht A und B und mir ihr eher C und D. Ich könnte ihm niemals C oder D geben, aber sie ihm auch nicht A und B. Trotzdem bekommt er alles, und zwar von uns beiden (und von Annika vielleicht auch mal wieder). Die sogenannte Polyamorie ist für uns nun die Alternative zu Fremdgehen, Wohnung auflösen und Besitz aufteilen, Verlassen(werden), lügen. schei., wie andere leben oder denken, wir fühlen uns damit wohl. –Eifersucht gibt es, ja, aber die ist überwindbar.
Wir sind Anfang 30, verheiratet und noch immer glücklich zusammen. Heute leben wir mehr und mehr polyamor. Ich habe bisher keinen zweiten Mann, aber ich schließe es nicht aus. Mein Partner würde zunächst bestimmt auch eifersüchtig sein, aber er würde es akzeptieren, denn wir wissen ja nun, dass unsere Liebe nicht kaputt, sondern ganz besonders gesund und fortschrittlich ist. Wir stehen mehr und mehr über den Dingen. Alles ziemlich komplex, aber möglich. Ich lebe es ja selbst und bin seit der Öffnung meiner Beziehung glücklicher und zufriedener denn je. Unglaublich! Wir „arbeiten“ nun auch an Nachwuchs (Zeit wird's ja, siehe Alter). Wie das dann alles wird, werden wir sehen, aber aktuell fühlt sich alles ziemlich gut an.
Viele Grüße,
Polyxena
22.03.2016 14:46 •
x 1 #88