Liebe LiebesLeidenden,
heute Morgen habe ich dieses Forum gefunden. Und es ist das Beste, was mir gerade passieren konnte, weil meine Lage durchaus verzwickt ist. Ich beginne mal von vorn:
Vor eineinhalb Jahren habe ich einen Mann kennengelernt, der zu diesem Zeitpunkt in einem (nichtamtskirchlichen, extrem konservativ-traditionalistischen) Priesterseminar war. Ich muss dazu sagen, dass ich das Bedürfnis nach einem tiefen Glauben schon damals verstanden habe, dass ich aber mit einigen der rigorosen Dogmen nicht klarkomme (Frauenverachtung, Homophobie,…) und auch mit der Knechtung mittels Schuld, Angst und schlechtem Gewissen nicht. Er hat sich aber davon distanziert und ist dann auch aus dem Priesterseminar ausgetreten, nachdem wir uns verliebt haben (ich war allerdings nicht der einzige Grund für seinen Weggang, es gab auch Unstimmigkeiten in der Gruppe etc.). Ich kenne ihn als einen sehr schüchternen, liebe- und respektvollen Menschen, der durchaus differenziert und intelligent auf Dinge blickt. Auf bestimmte Themen (Gleichberechtigung, Homophobie usw.) habe ich ihn abgeklopft, und es war alles okay. So habe ich seinen Glauben akzeptiert. Er ist dann in meine Heimatstadt, die nahe an der Stadt liegt in der ich jetzt wohne, gezogen und wir hatten eine sehr schöne Zeit miteinander (haben uns immer am Wochenende gesehen).
Als problematisch habe ich immer empfunden, dass er von sich aus keine weiteren Kontakte knüpft, aber ich dachte mir auch, dass er halt einfach schüchtern ist, und wenn man neu in einer Stadt ist, ist man ja oftmals erstmal eine Zeit allein. Wie gesagt, ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, was mit seinem Glauben los ist, wenn ich nachgefragt habe, meinte er, er wisse es gerade nicht, und damit habe ich mich zufriedengegeben (schließlich ist es nicht schlimm, wenn man mal nicht auf alles eine Antwort hat, Dinge sind eben in Bewegung). Er hat sich mir gegenüber auch nie respektlos, dominant oder lieblos benommen, und ich hatte durchaus das Gefühl, einen Seelenverwandten gefunden zu haben. Auch er meint, er sei in der Beziehung total glücklich gewesen.
Vor zweieinhalb Monaten nun ist es passiert. Ihr erinnert euch sicher an den Fall der vergewaltigten Frau aus Köln, die von zwei katholischen Kliniken abgewiesen worden ist mit der Begründung, die wolle ja die Pille danach und das sei „Mord“? Nun, wir saßen gerade am Frühstückstisch. Ich habe mich sehr doll aufgeregt, weil mir das sehr nahe ging (ich habe selber mehrfach schwere s.uelle Gewalt erlebt und danach IMMER die Pille danach genommen, weil ich keine andere Möglichkeit gesehen habe), dass diese Frau sich wie Dreck gefühlt haben muss. Absolut geschockt war ich, als er mir plötzlich unter Tränen gestand, er sähe das auch so, und Abtreibung sei sowieso Mord und Frauen hätten darüber nicht zu entscheiden. Das tangiert mich enorm, denn für mich ist es ganz wichtig, dass bestimmte Dinge klar sind, dazu gehört auch, dass akzeptiert wird, dass Frauen das Recht auf ihren eigenen Körper haben. Wie auch sollte ich nach dem, was ich erlebt habe, einem Mann vertrauen der der Meinung ist, andere hätten über meinen Körper zu entscheiden? Jedenfalls hat mich das so sehr geschockt, dass ich heulend gegangen bin.
Er war völlig entsetzt und hat auch ganz schön geflennt. Nach zwei Wochen hin und her bin ich dann wieder auf ihn zugekommen. To cut a long story short: Jetzt kommt raus, dass er sich mit dem Weltbild, dass diese außerkirchliche, extrem katholisch-fundamentalistische Gemeinschaft ihm eingepflanzt hat, nicht auseinandergesetzt hat. Er hat es nur verdrängt. Durch den Halt, den ich ihm genommen habe als ich ging, hat er sich diesem wieder zugewandt, und zwar radikal: es ist unmöglich, diese Dinge sachlich mit ihm auszudiskutieren. Ich möchte das jetzt nicht „religiöser Wahn“ nennen, was mit ihm passiert, aber es kommt dem schon sehr nahe. Und er radikalisiert sich jeden Tag mehr, jetzt ist schon die Rede von einem Leben in Keuschheit und dass Gott nicht will, dass er glücklich und dass Homos.ualität eine Sünde ist. Als mir klar wurde, dass er hier, ähnlich einem Alk., einen „Rückfall“ erlebt und als ich gesehen habe, wie schlecht es ihm geht (er ist verzweifelt, weint oft, wenn man ihn anspricht, redet gar davon, dass keine Hoffnung mehr habe und dass er eigentlich gar nicht mehr leben mag, er spricht vom Zerrissensein usw.), habe ich mich die letzten zwei Wochen mit vielerlei Sekten- und Weltanschauungsbeauftragten und Theologen besprochen, die die Situation ebenfalls als sehr problematisch ansehen, da er ja in einem „Anfall“ von Selbstverletzung den Glauben gegen sich (und andere) verwendet. Es ist, als hätte er seine Selbstverachtung (sein Selbstwertgefühl war nie riesig…) auf die Menschheit übertragen. Das Schlimme ist, dass ich weiß, dass er eigentlich gar nicht hinter dem steht, was er da sagt. Er handelt auch nicht danach, und ich habe ihn nie so kennengelernt. Es geht auch gar nicht um den Glauben, es geht ihm augenscheinlich nur darum, sich in einem Glaubenssystem verorten zu können, um einen Halt zu haben.
Alle Sektenbeauftragten haben zu mir gemeint, das sei ganz typisch für einen Menschen, der sich mit der Ideologie, die er eingepflanzt bekommen hat, nicht auseinandergesetzt hat. Ich verurteile das nicht, ich weiß, dass Menschen einen Halt brauchen. Ich habe ihm bereits mehrmals gesagt, dass ich ihn mit Kusshand zurücknehme, wenn er aufhört, solche menschenverachtenden und grausamen Dinge zu äußern, und dass er sich nicht zwischen seinem Glauben und mir entscheiden muss (Glaube hat für mich was mit Gotteskontakt zu tun, nicht unbedingt mit Dogmen).
Die Sachlage ist jetzt folgende: Er sagt, er liebt mich, und er leidet auch enorm. Ich nehm ihm das auch hundertprozentig ab. Zwei Mal war er bei mir, damit es wieder „gut“ wird, aber für ihn ist das eine Entscheidung zwischen mir und seinem Glauben (ich seh das nicht so), und seine Angst und sein schlechtes Gewissen sind da einfach zu stark. Ich habe die letzten zwei Wochen nichts anderes getan, als mich zu belesen, ihm Kontakte zu geben usw., aber er meint, es gäbe keinen Weg, er dürfe mit mir nicht zusammensein, auch wenn er das gern wöllte. Wir kommen da nicht raus, er nimmt keine Hilfe von außen (Selbsthilfebücher, Gespräche mit Theologen, Weltanschauungsbeauftragten, Therapeuten) an. Er sagt, er sieht keine Hoffnung, nichts kann ihm helfen, und wenn ich ehrlich bin, macht mich dieses passive Leiden auch sauer. Nach zwei Wochen des Nichtessen- und Nichtschlafenkönnens hat er gestern doch einmal mit einem Theologen telefoniert. Danach haben wir nochmal gesprochen. Das Ende vom Lied: ein tränenreiches Gespräch, in dem er sagt, dass wir auf keinen Fall mehr zusammen sein können. Er will aber weiterhin Kontakt, weil er mich doch liebt etc. Die Sache ist aber die, dass die letzten zwei Monate extrem verletzend für mich waren. All diese Dinge, die er gesagt hat, gehen mir so unglaublich an die Nieren, auch wenn ich mittlerweile weiß, dass es das „Sekten-Ich“ ist, dass da zu mir spricht und dass er einfach nur Angst hat.
Aber wie soll das weitergehen? Ich halte das nicht mehr aus. Ich kann mir doch nicht jeden Tag so unfassbar menschenverachtende Sachen sagen lassen. Es ist für mich auch schon Gewalt, wenn mir einer sagt, man müsse vergewaltigte Frauen dann eben zwingen, die Kinder auszutragen, und sie hätten über ihren Körper nicht zu entscheiden. Ich tu mir das nicht mehr an. Ich kenn ihn anders, ganz anders. Er ist der sanfteste und liebste Mann, den ich in meinem Leben habe kennenlernen dürfen. Ich mach mir auch große Sorgen. Aber er WILL sich nicht helfen lassen. Und er WILL („KANN“) keine Beziehung mehr mit mir führen. Er sitzt da in seinem Loch, verzweifelt, traurig, hoffnungslos, und tut nichts dagegen. Gegen seinen Willen kann ich nichts machen, und ich bin immer noch total geschockt von diesem „neuen Mann“, der sich in den eineinhalb Jahren nie zuvor gezeigt hat. Ja, ich weiß, wir haben hier ein Sektenproblem, aber das möchte ich jetzt gar nicht ausdiskutieren.
Ich hab ihm gestern am Telefon gesagt, dass ich für ihn da bin und ihn unterstütze, wenn er „da raus“ will und Hilfe braucht, aber dass ich ihn jetzt auch loslasse.
Ich kämpfe jetzt seit mehreren Wochen drum, und ich verstehe, dass es ihn total erschüttert hat, als ich gegangen bin (auch ich habe verletzende Dinge gesagt!), aber wenn er für sich entscheidet, dass es der richtige Weg ist, sich glaubenstechnisch noch mehr zu radikalisieren, kann ich nichts machen. Und ich muss mich auch selber schützen. Deswegen habe ich heute Morgen entschieden: Kontaktsperre für sechs Wochen. Ich kann mir einfach nicht mehr wehtun lassen. Und ja, ganz ehrlich: wenn er in seinem Abgrund schmoren will – bitte. Ich muss erstmal wieder anfangen zu schlafen, zu essen, mich wieder arbeitsfähig zu machen. Es tut irre weh, und ich lebe seit zweieinhalb Monaten mit diesem Hin und Her und mit diesem Schmerz und der Hoffnungslosigkeit. Ich bin irre traurig. Also passe ich wohl ganz gut in die Forengemeinde hier, nicht? Tja, nun bin ich also hier. Bitte diskutiert nicht über Glaubensgrundsätze… Ich teile die nicht und ich verteidige die auch nicht. Die Sache ist, ich möchte ihn als Menschen eigentlich nicht verlieren. Ich hab Angst, dass er jetzt denkt, ich will nie wieder Kontakt. So ist es nicht. Meint ihr, ich sollte das nochmal formulieren?
Andererseits hab ich das ja schon gesagt. Man man man. Und wie reagiere ich, wenn er schreibt? Wissen will, wie es mir geht usw.? Soll ich einfach sechs Wochen wirklich nichts beantworten? Wie seht ihr denn die Lage? Ich bin so in sie verstrickt, dass ich gar nicht mehr klar sehen kann. Ist das überhaupt eine gute Idee, was ich hier mache? Ich hab schon so viel falsch gemacht (versucht, Mitleid zu erregen, Vorwürfe, tausende SMS, immer wieder der Versuch, es auszudiskutieren,…). Alles ist so verworren und traurig. Und heute ist erst Tag eins…
Liebste Grüße und kommt gut durch den Tag!
Die „Neue“, KatzenKönigin
24.04.2013 15:12 •
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