Was kann man von einer Frau erwarten, die nie einen Mann hatte? Die für ihre Mutter, ihre beiden Hunde und den Beruf gelebt hat? Ihre Mutter hatte die Hoffnung aufgegeben und ihr wohl mal gesagt, sie wird als einsame Frau sterben.
Und dann gerät sie doch noch an einen Mann, der sich anbietet. In den sie sich wohl vor längerer Zeit schon verguckt hat, aber er war ja verheiratet und hat 3 Kinder. Also tabu für sie. Erstmal. Ein toller Mann, immer nett und freundlich und der geborene Handwerker. Und genau dieser Mann kommt eines Tages auf sie zu und sagt ihr, ich halte mein Leben so nicht mehr aus, willst du mit mir einen Neuanfang machen? Der Mann ihrer heimlichen Träume...was macht sie also? Sie geht mit ihm, natürlich. Hat ja auch keine Verpflichtungen. Die Mutter ist letztes Jahr gestorben, sie ist frei. Und sie hat Geld. Sie kann ihm etwas bieten, nämlich ein Leben ohne finanzielle Sorgen. Das gibt sie gerne, um ihn zu halten. Und er genießt es, keine Ehefrau mehr zu haben, die sagt, du, das passt nicht in unsere Finanzen. Die ihn oft ausbremsen musste in seinen fixen Ideen. Die immer darauf bedacht war, das zu tun, was möglich war, aber mit Vernunft, den Überblick behaltend.
Sie glaubt ihm alles, was er ihr erzählt, sie kennt ja auch nur seine Version. Armer Schatz, sie wird nicht zulassen, dass es ihm schlecht geht. Und dann lebt sie mit ihm. Merkt, dass der tolle Mann nicht nur Schokoladenseiten hat, sondern auch die eine oder andere Macke. Ein Mann mit viel Vergangenheit, da ist eine Exfrau, die ihm allerdings keinen Stress macht, und drei erwachsene Kinder, die er über alles liebt, die aber ein Problem mit der neuen Situation haben und sich etwas von ihm zurück ziehen.
Sie merkt, dass der tolle Mann, den sie sich geangelt hat, auch manchmal schlecht gelaunt ist und sich zurück zieht. Ihr nicht sagt, was er hat (nicht sagen kann). Ihr irgendwas erzählt, damit sie ihn in Ruhe lässt. Sie versucht, ihn abzulenken, ihn zu trösten und erfüllt ihm seine Wünsche. Was er sagt, wird gemacht. Denn sie möchte den mühsam ergatterten Mann ja nicht verlieren. Sie will ja ihrer Mutter posthum beweisen, dass sie doch noch einen abgekriegt hat. Also trägt sie ihn auf Händen und vergöttert ihn, auch wenn sie merkt, dass es seinen Preis hat, nicht mehr einsam zu sein. Sie ist mit fast 60 Jahren völlig beziehungsunerfahren. Aber sie gibt ihr Bestes.
Er wiederum vermisst seine Kinder und hat Probleme, die Frau zu vergessen, die so viele Jahre seines Lebens mit ihm geteilt hat. Er versucht nun, das irgendwie zu kompensieren. Sich vermeintliche Sicherheit zu verschaffen durch alte Gewohnheiten, durch Besuche an Orten, die ihm vertraut sind. Sie macht alles willig mit. Versucht, in meine Rolle zu schlüpfen, das zu tun, was ich all die Jahre automatisch gemacht habe, nur ihr fehlt das blinde Verständnis, das Kennen des Traummanns. Er ist deshalb oft ungeduldig, er vergleicht im Unterbewusstsein beide Frauen. Was die Exfrau mit ihm geteilt hat, was sie schon automatisch gemacht hat und er ihr erst *beibringen*muss. Sie ist natürlich bestrebt, alles richtig zu machen, bestenfalls noch besser als die Exfrau, damit er die auch mal vergisst.
Sie vergisst, dass sie 36 Jahre nicht mehr aufholen kann. Und er vergisst, dass man die Vergangenheit nicht auslöschen kann. Dass ein Mensch nicht einfach ausgetauscht werden kann. Dass es andere Dinge braucht, andere Gewohnheiten, andere Ziele. Dass sich nichts erzwingen lässt, weder in der Familie, noch bei den eigenen Kindern. Wenn er das nicht begreift, das nicht lernt, seine ganz persönlichen eigenen Baustellen nicht endlich in Angriff nimmt, kann er nur scheitern.
Und davor habe ich Angst. Angst, dass er irgendwann bei mir vor der Tür steht und ich ihn nicht stehen lassen kann. Weil dieser Mann mehr als mein halbes Leben mein Mann war. Weil ich kein oberflächlicher Mensch bin. Es wird noch dauern. Wie lange? Keine Ahnung. So lange, wie es braucht.
20.04.2019 23:55 •
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