Hallo miteinander!
Bereits im Voraus vielen Dank an jeden, der sich die Zeit nimmt meine Geschichte zu lesen und vielleicht sogar ein paar Gedanken dazu zu äußern.
Nachdem ich mich bereits von meinen Eltern, einem guten Freund und einem Therapeuten habe beraten lassen möchte ich heute versuchen, die Geschehnisse der letzten Monate möglichst objektiv nieder zuschreiben. Einerseits erhoffe ich mir dadurch einen kleinen therapeutischen Effekt für mich selbst, andererseits ein paar hoffentlich wohlwollende, aber tatsächlich objektive Meinungen von Nutzern mit etwas mehr Lebens-/Liebeserfahrung.
Kurz zu mir: Ich bin männlich, 25 Jahre alt und beende gerade mein duales Masterstudium. Seit nunmehr fast 6 Jahren bin ich mit meiner Freundin zusammen, welche ebenfalls studiert und demnächst 23 Jahre alt wird.
Nun zur Vorgeschichte: Wir lernten uns vor etwas über 6 Jahren - ich war 18, sie 16 - über den Freundeskreis meiner Schwester auf einer Party kennen und verstanden uns sofort super. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch eine Freundin, allerdings eine Amerikanerin, welche ich während meines Austauschjahrs in den USA kennengelernt hatte und mit welcher die zu dem Zeitpunkt etwas über ein Jahr dauernde Fernbeziehung bereits deutliche Risse aufwies. Einige Wochen später trennten wir uns. Zwei Wochen danach traf ich meine jetzige Freundin erneut bei einem Diskobesuch in unserer beider Heimatstadt und erzählte ihr, natürlich nicht ohne Hintergedanken, von der Trennung. Da uns beiden die gegenseitige Anziehung und Sympathie von Beginn an bewusst war ging alles Recht schnell und wir küssten uns noch in der selben Nacht. Eine Woche später waren wir ein Paar.
Und was für eins. Wir waren die Sorte Pärchen, bei dem die Eltern des jeweils anderen völlig begeistert von der Errungenschaft ihres Sprosses sind und nicht glauben können, welch positiven Einfluss der Partner auf das eigene Kind hat. Unsere Kommunikation und Streitkultur war nach kurzer Zeit auf dem Niveau gut harmonierender, langjähriger Eheleute. Unsere Werte und Vorstellungen vom Leben waren in jeder Hinsicht kongruent und zu der Verliebtheit der ersten Zeit kam schnell eine tiefe und starke Liebe und Dankbarkeit, so früh im Leben einen so gut passenden Deckel gefunden zu haben.
Mir ist durchaus bewusst, dass diese Wertung für viele von euch nach jugendlicher Naivität klingen muss - das kann ich als tendenziell kopfgesteuerter und rational denkender Mensch niemandem Verübeln. Ich kann nur sagen, dass diese Einschätzung nicht nur unsere eigene, sondern auch die aller Menschen wiederspiegelt, die uns gut kennen. Darüber hinaus hatte ich bei meiner amerikanischen Exfreundin eben jene jugendlich-naiven und keineswegs zutreffenden Wow, die ist es!-Gedanken und bilde mir deshalb ein, diesbezüglich bereits früh desillusioniert worden zu sein und eine starke und wertvolle Beziehung erkennen zu können, wenn sie mir widerfährt.
An dieser Stelle beginnt jetzt die Wurzel des Problems. Im Gegensatz zu mir hat meine Freundin vor mir keinerlei Beziehungserfahrung oder auch s.uelle Erfahrung sammeln können. Alles, was sie kannte und erlebt hatte, war mit mir. Da ich mir bereits sehr früh in der Beziehung über das Risiko- bzw. Problempotential dieses Umstandes im Klaren war und durch meine Eltern immer eine sehr offene Kommunikationskultur vorgelebt bekommen habe sagte ich meiner Freundin irgendwann während der ersten 2 Jahre unserer Beziehung, dass sie einfach mit mir reden solle, wenn sich in ihrem Kopf oder Herz irgendwann einmal Zweifel manifestieren sollten, ob es wirklich das richtige ist, keine weiteren Erfahrungen gesammelt zu haben und in jeder Hinsicht, gefühlt und körperlich, niemand anderen als mich zu kennen. Da ich, wie bereits angedeutet, mit meiner amerikanischen Exfreundin zwischenzeitlich schon einmal geglaubt hatte, angekommen zu sein (wenn gleich es wie gesagt absolut nicht vergleichbar war) und diese Zweifel daher aus eigener Erfahrung kenne, habe ich grundsätzlich Verständnis für derartige Dämonen und weiß, wie schwer so ein Gedanke zu besiegen ist, wenn er sich einmal festgesetzt hat. Ich sagte ihr also, dass wir im Fall der Fälle zusammen auf jeden Fall eine Lösung finden würden und alle potentiellen Hürden bewältigen würden, solange wir dabei beide ehrlich und aufrichtig bleiben.
Nach etwas über zwei Jahren zogen wir dann zusammen, also mit 20 bzw. 18 Jahren relativ früh. Obwohl meine Freundin die maßgebliche Triebkraft dieses Schrittes gewesen war, löste dieser in ihr dennoch die befürchteten Gedanken aus. Die gemeinsame Wohnung gab unserer Beziehung plötzlich eine ganz andere Verbindlichkeit und ihr das Gefühl, sich vielleicht zu schnell in etwas hineingestürzt zu haben. Wie verabredet erzählte sie mir schweren Herzens von diesen Gedanken und ich gab mir alle Mühe, mir selbst und ihr die Stärke zu zeigen, die ich mir für eine solche Situation vorgenommen hatte. Sie versicherte mir, dass sie sich absolut sicher sei mich zu lieben und ihr Leben mit mir verbringen zu wollen, dass sie aber gerne ein paar Erfahrungen sammeln wolle, um die Zweifel im Keim zu ersticken. Da ich solche Gedanken für normal und nicht grundsätzlich verwerflich halte und sie nicht dafür bestrafen wollte, auf meinen Wunsch hin absolut offen mit mir gewesen zu sein, einigten wir uns darauf, dass sie es in der nächsten Zeit einfach mal darauf ankommen lassen solle, sich evtl. mit jemandem zu treffen. Sie würde dabei so viel Rücksicht auf mich nehmen wie möglich und verantwortungsvoll mit der Situation umgehen. (Hierzu muss ich vielleicht sagen, dass meine Eltern sich ähnlich jung kennengelernt hatten und irgendwann vor dem selben Problem standen - und es durch ähnliches, kooperatives Vorgehen damals gut gemeistert haben. Von der Richtigkeit meines Handelns war und bin ich also überzeugt. Was du liebst, lass frei ist mir quasi in die Wiege gelegt.)
Da sie ein echt hübsches Mädchen ist fand sie innerhalb der nächsten Wochen einen potentiellen Kandidaten und traf sich mit ihm. Da wir die ganze Zeit in engem Kontakt standen und ich mich darauf einstellen konnte, funktionierte das auch ganz gut. Zwar litt ich unter der Situation, aber ich hatte auch nicht erwartet, dass dieses Experiment ein einfaches Kapitel würde.
Es passierte allerdings nicht viel, mehr als ein wenig knutschen brachte sie nicht über sich.
Ein paar Wochen später war sie dann auf einer Party, unser Agreement galt nach wie vor. Nachdem ich sie abgeholt hatte sagte sie mir noch im Auto sitzend, dass sie wieder jemanden geküsst habe - mehr oder weniger aus dem Moment heraus. Ich kann bis heute nicht sagen was diese Situation so viel schlimmer für mich machte, wahrscheinlich traf es mich einfach unvorbereitet. Insgeheim hatte ich wohl gehofft, das Thema würde ohne weitere Zwischenfälle im Sande verlaufen. Jedenfalls brannte in meinem Herz irgendeine Sicherung durch, ich bekam einen wahnsinnigen Heulkrampf und flehte sie an das ganze abzubrechen. Da es auch ihr am Herzen lag sich an die vereinbarten Regeln zu halten, willigte sie sofort ein und tat ihr bestes, mich zu trösten und in den Wochen darauf unsere Beziehung wieder auf Kurs zu bringen. Sie sagte mir, die Erfahrungen seien es nicht wert, mir so weh zu tun. Ein paar Monate später hatten wir das Thema weitgehend verdaut und lebten weitere 2,5 Jahre glücklich zusammen. Die Krux am Verlauf dieser Ereignisse war, dass ich mir von Anfang an darüber im klaren war, gewissermaßen versagt zu haben, bzw. weder meine noch ihre Erwartungen erfüllt zu haben. Seither trug ich die diffuse Angst im Hinterkopf mit mir herum, meine Freundin würde, falls diese Zweifel oder Bedürfnisse doch irgendwann stärker werden sollten als dass sie sie einfach ignorieren könnte, nicht mit mir darüber reden, da ich bewiesen hatte, nicht mit diesen Dingen umgehen zu können. Irgendwie verdrängte ich das Ganze aber.
Nun zum aktuellen Teil meines Romans.
Leider bewahrheitete sich meine verschleppte Angst Anfang diesen Jahres.
Seit dem späten Sommer letzten Jahres waren bereits einige Dinge aus dem Gleichgewicht geraten. Ich war mit mir und meinem Leben sehr unzufrieden und rutschte in eine mittelschwere Depression. Diesbezüglich bin ich genetisch bzw. familiär leider stark vorbelastet (schwere Depressionen über mehrere Generationen väterlicherseits), weshalb ich dies eigentlich früher hätte erkennen und dementsprechend handeln sollen.
Ich war über Wochen nur ein Schatten meiner Selbst, hatte starke Selbstzweifel und konnte nicht verstehen wie irgendjemand auf der Welt einen Menschen wie mich mögen, geschweige denn lieben könnte. Mein Selbstwertgefühl war im Keller, nichts machte mehr Spaß - kurzum: Ich durchlebte eine Art Quarterlife-Crysis.
Natürlich litt unsere Beziehung extrem unter diesen Problemen und letztendlich waren sie wohl zumindest die Initialzündung dafür, dass sich im Herz meiner Freundin wieder die alten Zweifel und das Bedürfnis nach irgendeiner Art von Sicherheit, dass sie nichts verpasst und sich zurecht so früh auf mich festgelegt hat, manifestierten.
Durch mein geringes Selbstvertrauen wurde ich extrem eifersüchtig und bekam starke Verlustangst. Ich klammerte wie verrückt und schaffte es diesbezüglich nicht, mich unter Kontrolle zu halten. Die notwendige Folge war, dass meine Freundin sich eingeengt fühlte und mich dadurch natürlich nur noch weiter verunsicherte. Über mehrere Monate schafften wir es nicht wirklich, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und waren beide chronisch gereizt und unzufrieden.
Am 3. Januar 2017 (ein Datum, das mich ins Grab begleiten wird) kam sie dann nach Hause und sagte, sie müsse mit mir reden. Die Nacht hatte sie bei ihren Eltern in unserer Heimatstadt verbracht, da sie dort früh morgens einen Termin hatte und ich durch mein Studium daran gehindert war, sie zu begleiten. Es war seit einigen Monaten die erste Nacht gewesen, die wir nicht zusammen verbracht hatten. Diese Nacht führte ihr vor Augen, wie es wäre, mich zu verlieren. Sie hatte mich bereits nachts angerufen und gesagt wie sehr sie mich liebt und dass sie alleine nicht schlafen könne, aber da es uns während der letzten Jahre nie leicht gefallen war alleine eine Nacht im Bett zu liegen beunruhigte mich das nur mäßig.
Wir setzten uns also zusammen aufs Sofa und sie erzählte mir unter Tränen und aufgewühlter, als ich sie je erlebt hatte, dass sie über ein paar Wochen (ungefähr Oktober/November) letzten Jahres eine Affäre mit einem mehr als 10 Jahre älteren Kollegen von ihr gehabt und in diesem Rahmen auch einmal mit ihm geschlafen habe.
Da es in diesem Forum genug ausführliche Berichte über die Gefühlssituation von Betrogenen in solchen Situationen gibt, mache ich es kurz: Nichts hat mir jemals so das Herz zerrissen.
Sie hat mir alles erzählt. Wie unsere Krise sie immer weiter verunsichert hat, wie dadurch die alten Zweifel wieder in ihr Bewusstsein gerückt wurden, wie ihr Kollege, mit dem sie sich vorher auf freundschaftlicher Basis gut verstanden hatte, sie umworben hat. Wie sie lange mit sich und der Frage gekämpft hat, wie sie am besten mit der Situation umgeht. Letztendlich ist sie eben, analog zu meiner Befürchtung, zu dem Schluss gekommen, dass sie dieses Experiment jetzt einfach einmal ohne weiter nachzudenken auf eigene Faust durchziehen muss, weil sie die Beziehung, wie sie zu dem Zeitpunkt war, so nicht hätte weiterführen können.
In den folgenden Tagen und Wochen haben wir unzählige Gespräche geführt. Sie hat sich die ganze Zeit wahnsinnige Mühe gegeben, mir meine Fragen zu beantworten und mir zu helfen, ihre Beweggründe und Gefühle nachvollziehen zu können. Denn für mich stand von Beginn an fest, dass ich diesen Vertrauensbruch nur dann würde verarbeiten und loslassen können, wenn ich ihr Vorgehen auf irgendeine Weise zu verstehen bzw. nachzuvollziehen lerne.
Sie erzählte mir dass sie in meinem damaligen Zustand keinen Sinn darin gesehen habe, mir von ihren Zweifeln zu erzählen. Von mir wäre keine konstruktive oder irgendwie hilfreiche Reaktion zu erwarten gewesen. Darin stimme ich ihr zu. Diese Gefühle weiterhin unterdrücken zu wollen empfand sie ebenfalls als keine dauerhafte Lösung und so weh es auch tut, auch das kann ich irgendwie verstehen. Es mag Menschen geben, die keinen Vergleich brauchen, um ihr Leben lang mit einem Partner glücklich zu sein, aber an ihr hat der ich habe nie etwas anderes kennengelernt-Gedanke eben in schlechten Momenten genagt. Ich bin nicht in der Position sie dafür zu verurteilen, schließlich hatte ich in jüngeren Jahren selbst ähnliche Gedanken.
Ich werfe ihr jedoch vor, dass sie sich hätte trennen müssen, einfach aus Respekt mir gegenüber und um die ohnehin schwierige Situation wenigstens mit einem Rest Würde und Anstand zu lösen. Letztendlich weiß ich jedoch selbst nicht, ob mir das rückblickend wirklich lieber gewesen wäre. Sie sagte sie habe da zwar auch viel drüber nachgedacht, aber da sie sich eigentlich trotzdem die ganze Zeit sicher war, mich nicht verlieren zu wollen und sie ja noch nicht wusste, dass sie nicht mit ihrem Gewissen nicht würde leben können, hat sie eben den heimlichen Weg gewählt. Und obwohl das etwas wirklich schlimmes ist, zeigt es mir dennoch irgendwie, dass ich für unsere Beziehung kämpfen sollte.
Sie sagte mir wie sehr sie es bereue, das ganze überhaupt so lange verheimlicht zu haben, wo sie doch relativ schnell gemerkt habe, dass sie absolut kein Mensch für solche Aktionen ist und sich mit Lügen und Unehrlichkeit in ihrer Beziehung absolut unwohl fühlt. Aber sie hat eine Weile gebraucht um sich selbst vollständig eingestehen zu können, dass sie sich selbst falsch eingeschätzt und einen riesen Fehler gemacht hat. Also schwankte sie wochenlang zwischen zwei ambivalenten Zuständen:
An starken Tagen hatte sie ihre Schuldgefühle und Selbstzweifel im Griff und redete sich ein, vielleicht einfach zu diesen Menschen zu gehören, die immer ein kleines Abenteuer für sich brauchen und das eventuell der einzige Weg ist, eine dauerhaft funktionierende Beziehung aufrecht zu erhalten.
An schwachen Tagen merkte sie immer wieder, wie sehr sie sich belog und wie weit sie sich von sich selbst, ihren Werten, ihrem Charakter und allem was ihr wichtig ist, entfernt hatte.
Dass sie in dieser Zeit immer wieder den Kontakt zu ihrer Affäre suchte, um sich beruhigen zu lassen (der Mann hat Frau und Kind - und anscheinend keinerlei Problem mit dem was er tut), indem sie sich von ihm sagen lässt, dass alles in Ordnung ist und sie keine Schuldgefühle zu haben braucht, zeugt zwar nicht von Charakterstärke, ist in ihrer zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich verzweifelten Lage aber irgendwie zu entschuldigen. Letztendlich empfinde ich es sogar gewissermaßen als beruhigend, dass sie sich so lange mit diesen Gedanken hingeschleppt hat - so kann ich mir jetzt wenigstens sicher sein, dass sie nicht bloß aus der ersten Welle Schuldgefühle und Panik heraus gebeichtet hat und sich im Nachhinein denkt, dass es vielleicht doch nicht so schlimm gewesen wäre, mich weiter zu belügen. Nein, so wie es gelaufen ist und so, wie sie Wochen damit verbracht hat sich absolut klar darüber zu werden, wer sie ist und was sie will, fühle ich mich besser. Meine größte Angst ist natürlich, dass sowas irgendwann wieder passieren könnte. Die ein oder andere Krise wird man auch in Zukunft schließlich nicht vermeiden können. Sie hat mir aber von Beginn an gesagt, und tut es auch jetzt noch regelmäßig, wenn es mir mal wieder schlechter geht, dass sie jetzt absolut und endgültig mit derartigen Experimenten abgeschlossen hat und darüber hinaus gelernt hat, dass sie mich niemals wieder belügen oder hintergehen wird. Und ich glaube ihr - ihre Taten seit der Beichte sprechen Bände. Sie hatte uns, ohne mein Wissen, noch vor ihrer Beichte, für den Tag danach einen Termin bei einem Paartherapeuten organisiert, zu welchem wir seitdem regelmäßig gehen. Sie hat meine Fassungslosigkeit, meine Wut und meinen Ekel ertragen und nie versucht, die Situation irgendwie zu beschönigen. Wenn meine Trauer mich überwältigt, ist sie da und tut alles, um mich aufzumuntern. Sie hat von Anfang an betont, dass sie nicht aufhören wird zu versuchen, mich wieder glücklich zu machen und dass sie alle Geduld haben wird, die dazu nötig ist.
Jetzt, zwei Monate später, ist der erste Schock und die schlimmste erste Zeit langsam aber sicher bewältigt und ich merke, dass unsere Zukunft es tatsächlich Wert sein könnte, weiter nach vorn zu schauen. Mein Hauptproblem ist eigentlich, dass ich durch diese Erfahrung gezwungen bin, mein idealisiertes, romantisches Wertesystem aus Jugendzeiten aufzuweichen. Ich bin ein sehr prinzipientreuer Mensch und habe mir in den letzten Jahren immer wieder selbst vorgebetet, dass ich so etwas niemals verzeihen könne und es zwangsläufig und ohne Blick zurück das sofortige Ende der Beziehung bedeuten müsse. Wie so viele Menschen. Der sture Teil von mir findet mich selbst einfach wahnsinnig schwach und inkonsequent - sowas kann ich nicht mit mir machen lassen! Aber nach all den Einsichten und Fortschritten der letzten zwei Monate würde der größere Teil von mir es unfassbar dumm finden, die Beziehung einfach nur aus Prinzip zu beenden, obwohl die Chancen nicht schlecht stehen, zusammen wieder glücklich zu werden und unser Leben miteinander zu verbringen. Denn ein anderer Teil meines eigentlich sehr stabilen Wertesystems ist, dass die Fähigkeit, anderen Menschen vergeben zu können, etwas sehr erstrebenswertes ist und wahrhaft starke Menschen ausmacht.
Im Grunde sind wir gerade auf der Schwelle zwischen Jugendliebe und erwachsener Beziehung. Wir sind uns beide sicher, dass wir, nachdem diese Krise und ihre Folgen einmal bewältigt sind, beide wahnsinnig viel aus den Erlebnissen gelernt haben werden und unsere Beziehung, wenn sie denn die nächsten Monate überlebt, daran gewachsen sein wird.
Die Gesamtbilanz sieht also aus wie folgt: Wir lieben uns, sie hat die einzigen Zweifel die sie je hatte endgültig abstreifen können und ist sich so sicher wie nie zuvor, mit mir den Menschen fürs Leben gefunden zu haben. Sie bewundert, wie ich bisher mit der Situation umgegangen bin und ist wahnsinnig dankbar, überhaupt diese Chance zu bekommen.
Die meiste Zeit schaue ich inzwischen zuversichtlich in die Zukunft, weil wir schon jetzt, wann immer ich nicht so bedrückt bin und mein altes Ich durchschimmert, wieder sehr glückliche Momente haben. Solange diese bis auf kleine Rückschläge kontinuierlich mehr werden, habe ich viel Hoffnung. Ich glaube auch, dass ich ihr irgendwann wieder werde vertrauen können. So schmerzhaft es auch alles war, im Grunde bin ich ihr dankbar dafür, dass sie sich am Ende entschieden hat sich treu zu bleiben und ehrlich zu mir zu sein. Das hat mir von Anfang an die Möglichkeit gegeben, mein Bild von ihr nicht völlig revidieren zu müssen. Hätte ich es irgendwann anders herausgefunden, wäre der Schaden denke ich mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit nicht zu beheben gewesen.
Leider gibt es trotzdem noch einzelne Momente, in denen ich einfach nicht fassen kann, wie sie mir so etwas antun konnte und wie sehr ich mich in ihr getäuscht habe. In diesen Momenten ist alle Hoffnung weg und ich denke, dass der Schaden einfach irreparabel ist und dass, so Schade es auch ist, wir den schweren Schritt der Trennung gehen müssen, um zumindest langfristig beide wieder glücklich zu werden.
So stehen sich also zwei wesentliche Prinzipien meines Wertesystems gegenüber - auf der einen Seite die Ansicht, dass Ehrlichkeit und Vertrauen in der Partnerschaft das absolut höchste Gut sind und alles andere für mich inakzeptabel ist - auf der anderen Seite die tiefe Überzeugung, dass jeder Mensch in seinem Leben Fehler machen kann, die er aus tiefstem Herzen bereut und deshalb auch jeder Mensch eine zweite (keine dritte oder vierte...) Chance verdient.
Erwähnen möchte ich noch, dass ich mir lange Gedanken darüber gemacht habe, ob mir etwas derartiges auch hätte passieren können. Ich habe stundenlang verschiedene Szenarien in meinem Kopf durchgespielt und versucht mir darüber klar zu werden, ob ich, wenn genügend schlechte Umstände ungünstig zusammen kommen, meine Freundin jemals hätte betrügen können. Und obwohl ich mich für einen eigentlich sehr charakterstarken und wie schon gesagt prinzipientreuen Menschen halte, konnte ich diese Frage nicht mit einem klaren Nein beantworten. Wie könnte ich es also kategorisch ablehnen, zumindest zu versuchen meiner Freundin irgendwann zu verzeihen?
Es ist wirklich schwierig die Gesamtsituation und meine Gefühlslage auch nur ansatzweise zutreffend in Worte zu fassen. Ich hoffe aber, dass der Kern meines inneren Konfliktes klar geworden ist.
Ich bin gespannt auf eure Gedanken!
Allerbeste Grüße
03.03.2017 23:02 •
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