Zitat von Sherry: Er bekommt seit 2 Monaten neue Medikamente die ihn total fertig machen (häufiger Panikattacken usw.), weshalb wir uns jetzt auch schon 2 Monate nicht mehr gesehen sondern nur täglich mehrere Stunden telefoniert haben. Ich habe ihm vor ungefähr 1-2 Wochen am Telefon gesagt, dass es mich mental auch fertig macht ihn so lange nicht zu sehen, da ich diesen Körperkontakt manchmal einfach brauche, auch wenn’s nur eine Umarmung oder so wäre. Er entgegnete mir daraufhin, dass ich egoistisch wäre und seine Krankheit nicht respektieren würde.
Hey Sherry,
tut mir echt leid, dass du in so einer bescheidenen Situation bist. Und erst mal ganz, ganz großen Respekt dafür, dass du zu deinem Freund stehst und ihn nach Kräften unterstützt. Dafür gebührt dir wirklich große Anerkennung, und allein dadurch hast du schon gezeigt, dass du absolut nicht egoistisch bist.
Darf ich fragen, wie eure Beziehung den Rest der Zeit so gelaufen ist, wieviel Raum da seine Erkrankung eingenommen hat, und ob ihr solche Phasen schon mal durchmachen musstet?
Also erst mal ganz klar: Ich finde, es ist nie egoistisch in einer Beziehung die eigenen Bedürfnisse zu formulieren, und sich dafür einzusetzen, ob diese Bedürfnisse nicht irgendwie erfüllt werden können. Du hast ja echt geduldig gewartet und auch Kompromissbereitschaft gezeigt. Wenn ich darauf so runtergebügelt würde, jetzt mal unabhängig davon, ob er nicht mag oder nicht kann, würde mir schon zu denken geben. Du bist ja weder ein Ding wie ein Krückstock noch eine Therapeutin, deren Bedürfnisse in der Beziehung zueinander keine Rolle spielen.
Ok, vielleicht bisschen Theorie:
In einer Beziehung kommen ja immer zwei Personen zusammen, und jeder bringt Bedürfnisse mit und jeder bringt Grenzen mit. Im Idealfall haben die Bedürfnisse beider Personen in der Beziehung Platz, und keiner muss seine Grenzen überschreiten. Dann läufts.
Bei euch ist es jetzt so, dass seine Grenzen gerade wahnsinnig eng sind, so eng, dass deine Bedürfnisse überhaupt keinen Platz haben. Es wird natürlich in jeder Beziehung mal Phasen geben, wo die Bedürfnisse mal des einen, mal des anderen im Vordergrund stehen, und der andere mal eine Weile zurücksteckt. Wie weit und wie lange jemand zurückstecken kann, ohne selber schaden zu nehmen, kommt dann wiederum auf die Grenzen dieser Person an.
Jetzt ist es also eine Frage
deiner Grenzen, wie lange du ohne direkten Kontakt sein magst, wie lange du es aushältst, so gar keine Perspektive zu haben, wann es wieder besser wird, dass dir scheinbar auch (aus welchen Gründen auch immer) nicht kommuniziert wird, welche Schritte jetzt als nächstes kommen.
Und für deine Grenzen und für deine Bedürfnisse ist es halt auch unerheblich, wie gut seine Gründe sind, und wie schwer seine Erkrankung. Hier geht es um Selbstschutz. Und nein, das ist keine kleine Krise.
Bei dir kommt tatsächlich noch hinzu, dass du ja noch blutjung bist, scheinbar seid ihr zusammen seit du 15 bist?
Ich selber hatte als ersten festen Freund einen Menschen mit großen psychischen Problemen, die Beziehung war auch teilweise seelisch missbräuchlich. Mit den Folgen kämpfe ich teilweise immer noch. Leider prägt einen die erste Beziehung in diesem Alter fürs ganze Leben. Hol dir ganz viel Rat von Erwachsenen, evtl. findest du ein Forum für Angehörige. Wenn ich von mir auf andere schließen muss, ist man in dem Alter so voller Idealismus und Aufopferungsbereitschaft, und romantischen Vorstellungen darüber, dass die Liebe alles überwindet, dass so eine Beziehung echt kritisch ist. Du kannst mir auch gerne per PN schreiben, falls du mehr von meiner Geschichte hören willst.
Zitat von Sherry: Ich liebe ihn, aber ich fühle mich total hintergangen und auch diese 2 Monate ohne ihn machen mich echt fertig. Ich will eigentlich nicht mit ihm Schluss machen, vor Allem nicht wenn er morgen (laut Aussage seines besten Freundes) in die Psychiatrie gehen wird, aber ich kann auch nicht so weiter machen
Gut, vielleicht also praktischen Rat:
1. Horch wirklich in dich rein, wie es dir geht. Schau dir ehrlich an, warum du mit ihm zusammen bist. Mach dir bitte klar, dass du im Zweifel IMMER das Recht hast, dein eigenes Wohl über die Beziehung zu stellen. Für sein Wohl bist du nicht zuständig, kannst du gar nicht zuständig sein.
2. Werde dir klar über deine Grenzen. Was brauchst du mindestens an Kommunikation und Kontakt, dass du selber nicht vor die Hunde gehst. Wie oft und wie lange kannst du solche Durststrecken durchhalten, ohne dass es dir selber an die Substanz geht? Was sind deine Pläne für die Zukunft, lassen sich diese Pläne mit diesem Partner an deiner Seite verwirklichen? Wie kannst du verhindern, dass du dich Verantwortlich fühlst, und irgendwann vielleicht aus den falschen Gründen bei ihm bleibst?
3. Such dir ein Forum für Angehörige oder erfahrene Erwachsene, evtl. eine eigene Therapeutin, damit du ein Gefühl dafür kriegst, wo du aufpassen musst, und was es wirklich bedeutet, dauerhaft mit einer solchen Erkrankung beim Partner zu leben.
4. Wenn du es kannst, warte ab, bis er wirklich wieder stabil ist, und dann arbeitet gemeinsam auf, warum es dir schlecht gegangen ist, wo deine Grenzen sind, wie ihr vielleicht nächstes mal mit solchen Phasen umgehen könnt. Wenn er auch dann nicht bereit ist, deinen Standpunkt zu sehen und deinen Bedürfnissen Raum zu geben, würde ich ein großes Fragezeichen hinter die Sache machen.
Soweit meine 5ct. Ich hoffe, du kannst was damit anfangen.