Zitat von Charla: Vielleicht hast du in ihm Gleichheiten gefunden, was ihn für dich zunächst anziehend machte, weil es dir vertraut war, mit viel Glück hättet ihr mit- und aneinander heilen können weil ihr ähnliche Erfahrungen gemacht und ähnliches vermisst habt?
Damit hast Du den Nagel auf den Kopf getroffen, absolut. Ich fühlte schon sehr bald eine unglaubliche Vertrautheit. Schon am ersten Abend redeten wir viel und vor allem auch über unsere Schwierigkeiten. Er musste damals auf dem Kongress zusammen mit einem Kollegen einen Vortrag halten, den ich leider nicht besuchen konnte. Und er sagte, er habe Probleme damit, vor fremden Menschen zu sprechen. Das kam mir sofort bekannt vor und so kamen wir darauf, dass sicher auch Kindheitserfahrungen für das mangelnde Selbstvertrauen eine Rolle spielten.
Es war keine Flirterei, als wir uns zum Essen trafen, kein Geplänkel, sondern wir sprachen über Defizite. Sicher ungewöhnlich für den ersten gemeinsamen Abend.
Als wir dann einige Wochen später zusammen kamen , verstärkte sich der Eindruck der Gemeinsamkeiten noch. Zentrales Thema bei uns beiden war das mangelnde Selbstvertrauen in sich und seine Fähigkeiten. Eine Zeitlang halfen wir uns tatsächlich gegenseitig durch Ermunterung, Bestätigung, Lob. Nur, das wirkt nur oberflächlich, wenn man innerlich zu wenig an sich und seine Fähigkeiten glaubt.
Durch ihn kam ich erst darauf, dass ich in meiner Sparte auf meinem Posten tatsächlich viel mehr leisten muss als andere KollegInnen in größeren Einheiten.
Anfangs waren wir so voller Glück und jeder glaubte, endlich das passende Gegenstück gefunden zu haben. Egal, was auch immer ich tat, er fand mich einfach toll. Und ich ihn. Balsam für die gebeutelten Seelen.
Aber nicht dauerhaft. Als er merkte, dass ich in Richtung fester Beziehung mit ihm ging (was auch sonst?), kam auf leisen Sohlen der allmähliche Abstieg.
Die ersten Distanzmanöver traten auf, die mich sofort verunsicherten. Und es wurde im Lauf der Zeit immer schlimmer. Er hielt mich aus seinem Leben, entschied alles für sich und ich war ja nur die WE-Geliebte, die alle zwei WE bei ihm aufschlug. Mit der Zeit verstärkten sich meine Verlustängste und ich merkte irgendwann, dass ich sogar Angst vor dem nächsten WE hatte. Angst davor, wie er mich mit unbedachten Äußerungen und Verhaltensweisen wieder verunsichern und enttäuschen würde. Natürlich spürte ich, dass alles gekippt war, dass aus der einstmaligen weißen Fee nur eine gewöhnliche Frau für ihn geworden war, die sich für ihn aufgab und sich alles schön redete, was natürlich nur kurz half.
Aber ihn nicht mehr zu sehen, hätte ich nicht überstanden, glaubte ich.
Er begann, mich hinten rum abzuwerten. Erst war ich gepflegt, dann eitel. Erst freute er sich als ich Kräuter aus dem eigenen Garten zum Kochen mitbrachte, dann fand er sie plötzlich nicht mehr so gut. Er wertete mich nicht direkt ab, aber gab mir subtil zu verstehen, dass ich nicht mehr mit dem Glorienschein umgeben war, der anfangs da war.
Seine Befindlichkeiten waren wechselnd. Heute ein guter Tag, am nächsten Tag stand er wieder neben sich. Und ich avancierte zur verständnisvollen Telefontante, die ihm helfen wollte. Jämmerlich! Sein Ego benötigte immer wieder einen Push und dafür waren dann auch dienstliche Belange die geeignete Plattform. Er glaubte natürlich weiterhin nicht recht an sich, aber das spornte ihn eher an, alles besonders gut zu machen. Die Bits und Bytes gehorchten ihm, er brachte in der IT erstaunliches zu Wege. Aber mein Lob interessierte ihn längst nicht mehr. Nein, wenn aber seine Chefin ihn über den grünen Klee lobte, blühte er auf. Oder er kenne jetzt Frau X von der Firma Y, wichtig, wichtig und Herr S. habe ihm letzthin sogar das Du angeboten, eine besondere Auszeichnung.
Mit der Zeit nervte mich das und ich dachte mir, ist ja gut, Du bist der Tollste, aber wenn Du mir gegenüber auch so freundlich wärst, wäre mir mehr geholfen.
Allmählich stellte sich Wut bei mir ein und ich begann, im Stillen gegen ihn zu wettern. Sieh an, das kleine Ar... hat geruht, mal wieder zu schreiben. Ach was, jetzt wäre ich wieder recht, Du miese Ratte, weil Du Dich jetzt gerade alleine fühlst.
Die Beziehung glich mit der Zeit einem Auf und Ab, aber etwas vermisste ich fast immer: die Vertrautheit von früher.
Gift war eingezogen, destruktive Verhaltensweisen, die sich gegenseitig bedingten und manchmal auch hochschaukelten. Ich fühlte mich als Abhängige wie auf einer Achterbahn. Ausgeliefert ihm und seiner jeweiligen Befindlichkeit. War er lieb und zugewandt, blühte ich wieder auf, war er eher abweisend und kühl, rutchte ich umgehend in einen Zustand der Traurigkeit und Enttäuschung. Ich war eben nicht so wie ich sein sollte. Das Erbe meiner Kindheit. Wenn ich so und so wäre, dann ...
Er war nicht laut, das war nicht seine Art, aber er konnte subtil verletzen, wofür ich eine sehr empfängliche Antenne hatte (auch ein Erbe aus der Kindheit). Er war auch nicht etwa grausam und schon gar nicht zu Gewalt und Streit neigend. Aber ich fühlte nach einigen Monaten immer eine unüberbrückbare Distanz, die er ausstrahlte und die ich überbrücken wollte. Er hatte eine hohe Mauer um sich gezogen, in er war sein Mittelpunkt des Universums. Das Zentralgestirn und ich war wie ein Trabant. Wie auch andere Menschen, die um ihn kreisten, aber in gehörigem Abstand. Es war seine Schutzmauer, die er brauchte und instand hielt.
Ich fühlte seine Ich-Zentriertheit, seine mangelnde Empathie und manchmal auch seine Genervtheit von mir. Es war ein Abstieg auf Raten. Als ich begann, mich zu wehren und ihm seine alleinige Position auf dem Podest streitig machte, wurde es gefühlt besser. Nur für mich, denn auf einmal entwickelte ich wieder Mut. Ich hatte die Distanz zu ihm verringert und das musste ich dann büßen.
Er bandelte mit einer anderen an, sehr subtil wie immer, aber ich habe einen Mailwechsel gelesen, der mir die Augen öffnete. Meine Güte, wie ich seine versteckte Lobhudelei kannte! Alles schrie wieder nach Anerkennung, die ich ihm nicht mehr geben konnte, weil ich sozusagen abgenutzt war. Aber von anderer Seite wieder mal Lob und Bestätigung zu ernten, war das, was er brauchte.
Die Frage nach einer Reise über ein WE war dann mein Todesurteil. Wenige Tage später machte er per Mail Schluss. Wir hatten noch Kontakt , telefonierten und mailten, aber das riss immer mehr ab, vor allem von seiner Seite. Getroffen haben wir uns nie mehr. Dann kapierte ich irgendwann aus einer seiner typischen verschwurbelten Mail, dass er wohl eine neue Freundin hatte. Da rutschte ich nochmals in eine Wut und Enttäuschung, denn nun war ich ganz draußen.
Es dauerte bis ich mich halbwegs abgelöst hatte. Aber ich begann mir selbst zu helfen und mir half auch immer mein Trotz: Wenn Du glaubst, dass ich mir von Dir mein Leben verderben lasse, dann zeige ich schon, dass ich auch ohne Dich schöne Dinge unternehmen kann, dann eben ohne Dich!
Trotz, auch ein Erbe aus der Kindheit!
Mit der Zeit und durch zwei Beratungsstunden beim Therapeuten begann ich dann, mich anzuschauen. Und ich entdeckte sehr viel, unglaubliche Parallelen zur Kindheit, die ich im Beziehungsleben wieder abspulte. Ich hatte sehr viel unbewusst von meiner Mutter abgeschaut und übernommen. Mir fielen Briefe von ihr in die Hände, aus der Zeit vor ihrer Heirat und ich dachte mir beschämt: Oh, mein Gott, das könnte von mir sein!
Es kam eines zum anderen. Als das Tor mal geöffnet war, kamen immer wieder neue Erkenntnisse auf wie fremdgesteuert ich lebte.
Das half mir dann auch, mein gebeuteltes Selbstgefühl wieder aufzurichten und mehr Selbstvertrauen zu entwickeln. Ich lernte, dass ich gut zu mir sein musste und dass ich mich gut finden darf, jenseits aller Perfektion. So was kann man mit Übung verinnerlichen. Ich heilte, das spürte ich und das tat mir gut.
Heute bin ich ein wenig anders. Ich glaube und hoffe, weniger abhängig und mich selbst demontierend.
Das Gute an dieser Beziehung war, dass er, die miese Ratte mir unbewusst einen großen Dienst erwiesen hatte. Denn erst durch ihn erkannte und entlarvte ich viele meiner Mechanismen. Es war gut, dass er kam und es war besser, dass er ging, denn dadurch kam ich irgendwann bei mir an.
Jeder muss sich selbst helfen, das kann leider kein Anderer für einen tun. Auch ich hatte vieles falsch gemacht und war ein Opfer meiner inneren Defizite. Er auch. Wie es um ihn steht, weiß ich nicht und ehrlich gesagt will ich es auch nicht wissen.
Ab und an begegne ich ihm, im Abstand von Monaten und immer nur bei dienstlichen Anlässen. Da grüßen wir uns und gehen aneinander vorbei. Ein Kollege, den man halt kennt, aber zu einem persönlchen Wort reicht es nicht. Wir kennen einander zu gut ...
Letztlich war alles gut, wie es kam und ich fühle mich viel wohler mit mir als einige Jahrzehnte vorher. Das Getriebene, das ich oft verspürte, ist weg. Mit meinem Mann verbindet mich eine wohlige Vertrautheit und Gewissheit und wir haben oft viel Spaß zusammen, weil mich niemand so zum Lachen bringen kann wie er. Es ist einfach entspannt, was für ein Unterschied zu der Beziehung mit meinem Bindungsphobiker!