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Frau mit Bindungsangst nimmt Abstand - wie verhalten?

T
Zitat von silberpfeil:
Dann ist das Leid wirklich noch nicht groß genug. Aber irgendwann werden solche Menschen diesen Punkt auch erreichen. Und dann quält sie die Frage Warum habe ich nicht früher was unternommen dagegen?

Nicht alle. Manche brechen einfach, auch das habe ich mit erlebt. Manche fangen sich und ich dankbar und glücklich, dass ich es angegangen bin. Was sie dann quält oder nicht, ist nicht deine Baustelle.

Falls sie nochmal an dich herantreten sollte:

Alles andere als: Ich möchte wieder gesund sein, für mich, für mein Leben und für eine Möglichkeit auf ein UNS solltest du nicht akzeptieren. Biete ihr Unterstützung an, aber bis zu einer Grenze, die du selbst definierst. Schau und horche in dich rein, was du wann brauchst. Distanziere dich auch, wenn du merkst, es geht dir mit einigen Dingen nicht gut. Und ja, manchmal musst die sie weinen lassen können und es mit ansehen, ohne einzugreifen.

04.04.2022 15:18 • x 1 #16


silberpfeil
Zitat von Begonie:
Widerspricht sich das nicht? Du verspürst keinen Wunsch nach Kontaktaufnahme. Ist doch gut, macht das Leben in diesem Fall für Dich leichter. Und ...

Es widerspricht sich tatsächlich. Ich habe gerade irgendwie keinen Drang dazu mich zu melden, aber ich vermisse sie trotzdem. Es ist komisch zu beschreiben, aber das empfinde ich tief in mir gerade.

Natürlich bin ich nicht für sie zuständig. Das empfinde ich auch nicht so. Ich hab es ihr mehrmals empfohlen, mehr kann ich auch nicht machen als das. Es tut mir halt auch weh, weil ich sie glücklich sehen will - unabhängig von unserem Beziehungsstatus. Ich werde ja auch nichts mehr unternehmen in der Richtung. Du hast schon Recht, sie hat sich das selbst so ausgesucht und ich respektiere das auch.

04.04.2022 15:19 • #17


A


Frau mit Bindungsangst nimmt Abstand - wie verhalten?

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Charla
Zitat von silberpfeil:
irgendwie triggert mich diese ganze Situation extrem. Ich kenn das von mir auch überhaupt nicht.

Sie hat deinen wunden Punkt getroffen, deshalb fühlst du dich so und du kannst sogar dankbar dafür sein weil du dich jetzt darum kümmern kannst und davon frei wirst.

Weil ich davon überzeugt bin, dass nichts zufällig ist, kann das der Sinn eurer Begegnung gewesen sein.

Menschen wie sie werden Energievampire genannt, wir fühlen uns nach der Begegnung weder erfrischt noch erfreut, sondern eher kraftlos und schwach, müde und erschöpft.

04.04.2022 15:22 • x 1 #18


B
Zitat von WillyWichtig:
Ist ja leider der Klassiker, die Kombination.

So ist es, denn jeder braucht einen geeigneten Partner um die unbewussten Ängste auszuleben.
Der aktive Bindungsvermeider geht aktiv vor und hat meist ein hübsches Repertoire an bindungsschwächenden und -schädigenden Verhaltensweisen auf Lager. Und der passive spielt den leidenden Part, der alles hinnimmt, alles nachsieht und im Zweifelsfall noch selbst Schuld ist. Wäre ich so und so, dann ... Wenn ich mir nur genug Mühe gebe, viel Geduld und Nachsicht aufbringe und immer genau die richtige Portion an Zuwendung und Abgrenzung anwende, dann ... werde ich belohnt und wir werden endlich eine wundervolle Beziehung haben.

Eigentlich logisch, dass damit keiner glücklich wird. Das Leiden aber ist dem passiven Bindungsvermeider, der ja angeblich sich nichts mehr wünscht als eine harmonische und symbiotische Beziehung, gewiss. Er kommt von hinten. Ich will so gerne eine schöne Beziehung haben, aber dann suche ich mir kategorisch Partner, mit denen es nicht möglich ist. Entweder weil sie ihren Freiheitstrip auf meine Kosten ausleben oder sie sind zu jung, zu alt oder gar noch anderweitig gebunden. Ergo will der passive vordergründig eine Beziehung, sucht sich aber hintergründig Partner, mit denen die Aussichten gering sind. Warum? Sie leiden selbst unter der Krankheit, leben sie aber anders aus.

Und weil die beiden ihre Defizite so wunderbar aneinander ausleben können und sich aufreiben können, finden sie gerne zusammen. Wunsch und Wirklichkeit kollidieren miteinander.

Daher sollte man, anstatt den Partner analysieren zu wollen, lieber sich selbst in den Blick nehmen und sich fragen: warum hänge ich mich an so einen Menschen? Bindungsängste? Woher kommen sie, was habe ich erlebt, wie sehen meine bisherigen Beziehungen aus oder hatte ich bisher keine?
Geheime Lust am Leiden durch die unbewusste Verknüpfung, dass lieben auch leiden bedeutet, weil Liebe ohne Leiden keine Liebe ist?
Unbewusste Neigung sich selbst unterzuordnen und sich selbst nicht zu sehen, weil die ganze Zuwendung dem Partner gilt, der mir das verwehrt, was ich gerne hätte? Ergo mangelnder Selbstschutz? Was könnte dafür die Ursache sein?

Damit ist jedem mehr geholfen als sich unsinnige Gedanken über den abtrünnigen Partner zu machen und diese zu pflegen. Aber die Beschäftigung mit dem Gegenüber ist eben viel einfacher als vor der eigenen Haustüre zu kehren. Damit vermeidet man die unbequeme Konfrontation mit den eigenen Dämonen.

04.04.2022 15:25 • x 4 #19


silberpfeil
Zitat von Charla:
Sie hat deinen wunden Punkt getroffen, deshalb fühlst du dich so und du kannst sogar dankbar dafür sein weil du dich jetzt darum kümmern kannst ...

Geschwächt fühle ich mich gerade eigentlich nicht. Ich fühle mich so als wäre der ganze Druck einfach weg und ich kann mal durchatmen. Aber das sagt wohl auch schon alles darüber aus..

04.04.2022 15:33 • x 1 #20


B
Zitat von silberpfeil:
Es tut mir halt auch weh, weil ich sie glücklich sehen will - unabhängig von unserem Beziehungsstatus. Ich werde ja auch nichts mehr unternehmen in der Richtung. Du hast schon Recht, sie hat sich das selbst so ausgesucht und ich respektiere das auch.


Zu seinem Glück kann man niemanden zwingen.
Weißt Du, was eine Therapie für sie bedeuten würde? Eine Konfrontation mit Kindheitserfahrungen und Gefühlen, die sie empfunden hat. Ich glaube, sie weiß das sehr gut, dass sie das völlig durchrütteln würde und da geht sie lieber den einfachen Weg und lässt die Dinge ruhen.

Ich hatte auch einen Partner mit dieser Störung. Es war rückblickend eine Vorstufe zur Hölle und hat mich gebeutelt, dass ich mich selbst schon verloren hatte, weil sich alles nur noch um den Partner und die Probleme damit drehte. Mein eigenes Leben hatte ich irgendwie vergessen, alles war null und nichtig, nur er und die problematische Beziehung beschäftigten mich ständig. Das ist hochgradig ungesund, warf aber ein bezeichnendes Licht auf meine eigenen Probleme und Verhaltensmuster.

Ich war damals nach der Trennung zweimal bei einem Therapeuten. Da erlebte ich einiges was durchaus erhellend war. Und es ging auf einmal um mich und der Expartner war überhaupt kein Thema. Er war unwichtig, weil er nur ein Werkzeug meines Unterbewusstseins war, ein Adressat für MEINE inneren Ängste und Muster.

Ich fragte ihn ob Bindungängste heilbar seien. Er sagte, jedenfalls nicht auf eine hemdsärmelige Methode. Wir machen jetzt 10 Sitzungen und alles ist gut. So funktioniert das nicht, weil der Patient in Beziehung zu seinen Erfahrungen, Erlebnissen, Gefühlen aus der Kindheit kommen müsste. Das ist hart und wird daher lieber vermieden. Sofern der Bindungsängstler keinen quälenden Leidensdruck empfindet, hat er auch kein Verlangen danach, sich damit zu befassen. Er macht einfach weiter und landet irgendwann beim nächsten Partner, wo alles wieder von vorne beginnt. Der aktive leidet ja kaum und schlängelt sich eben so durchs Leben. Ach, der passte wieder nicht? Nun ja, ab in die Freiheit und dann zum nächsten Partner.

Schau Dich selbst an, das ist wichtiger und zielführender. Vielleicht würde auch Dir mit Deinem Aufopferungswillen ein Therapeut ganz gut tun?

04.04.2022 15:50 • x 2 #21


silberpfeil
Zitat von Begonie:
Zu seinem Glück kann man niemanden zwingen. Weißt Du, was eine Therapie für sie bedeuten würde? Eine Konfrontation mit Kindheitserfahrungen und ...

Ich bin schon länger in Therapie, eigentlich schon jahrelang und konfrontiere mich auch jedes Mal mit meinen Ängsten.

04.04.2022 15:54 • x 1 #22


B
Zitat von silberpfeil:
ch fühle mich so als wäre der ganze Druck einfach weg und ich kann mal durchatmen. Aber das sagt wohl auch schon alles darüber aus..

Ja, das sagt aus, dass Du das Erlebte als Ballast empunden hast, was Du gar nicht gemerkt hast, als Du drin gesteckt hast.
Du kannst durchatmen! Heißt, das Erlebte hat Dir bildlich gesprochen die Luft abgedrückt und Dich stärker belastet als Du glaubtest.

Ich sage nur: Energieräuber.
Die brauchen aber auch ein geeignetes Gegenüber das entsprechend leidenswillig und leidensfähig ist.
Ich fühlte mich in der Beziehung oft wie ein Hindernisläufer, der vom Partner angetrieben wird. Los, lauf noch ne Runde und dann noch eine? Was Du bist müde? Gilt nicht, weiter geht's! In den Wassergraben gefallen? Aufstehen und weiter laufen! Ich fühlte mich getrieben, aber ich hätte die Beziehung nicht lösen können, was wiederum ein bezeichnendes Licht auf mich warf.

Und als die Ablösung endlich geschafft war, wurde mir erst bewusst, was ich alles auf mich genommen hatte, um das Unmögliche mögich zu machen. Und es stellte sich eine große Erleichterung ein dass dieser Mensch in meinem Leben keine Rolle mehr spielte und auch keinen Platz mehr gehabt hätte.

04.04.2022 16:00 • x 2 #23


B
Zitat von silberpfeil:
Ich bin schon länger in Therapie, eigentlich schon jahrelang und konfrontiere mich auch jedes Mal mit meinen Ängsten.

Die Du offenbar immer noch nicht im Griff hast. Schade, weil Du Dir damit Dein Leben unnötig schwer machst.
Es hilft, sich diese Dinge bewusst zu machen, denn auf der bewussten Ebene richten sie weniger Schaden an als wenn sie aus dem Unterbewusstsein wirken. Auf der bewussten Ebene kann man mit den Ängsten leichter umgehen. Man kann sie sozusagen zuminest ein wenig zähmen.
Spricht auch für die Aussage meines Therapeuten, der sagte, dass eine letztendliche Heilung meist nicht möglich ist und oft nur Besserungen erzielt werden. Es ist jedenfalls langwierig und erfordert viel Ausdauer und die unbedingte Bereitschaft des Patienten sich sich selbst zu stellen.
Falls Kindheitserfahrungen zum Selbstschutz so verdrängt werden, dass sie praktisch vergessen sind und kein Zugang mehr möglich ist, ist manchmal nichts mehr zu machen und der Therapeut kann nur Schadensbegrenzung betreiben.

04.04.2022 16:08 • #24


silberpfeil
Ich habe überhaupt keine Bindungsangst oder irgendwas in dieser Richtung. Ich bin wegen anderen Dingen in Therapie. Ich stehe mit beiden Beinen im Leben und meine vorherigen Beziehungen haben jahrelang angedauert. Vorher bin ich nie in Berührung bin sowas gekommen und ich habe auch nicht danach gesucht, auch nicht unterbewusst. Meine freundschaftlichen Beziehungen dauern seit der Kindheit an. Ich denke nicht, dass ich ein Problem mit Nähe habe. Hätte mein Arzt auch sicherlich schon gemerkt, da ich dort immer offen und ehrlich bin.

04.04.2022 16:12 • #25


alleswirdbesser
Zitat von silberpfeil:
aber ich weiß auch nicht so recht, was ich nun tun soll

Am besten komplett abhaken und weiter leben. Oder willst du ein ewiges Drama? Das ist keine kleine Episode denke ich, sondern ein immerwährendes Muster. Geburtstag von Mama, Geburtstag von Papa, Geburtstag von ihr, Weihnachten, Ostern, Stress, Ärger.... Vermutlich wirst dann andauernd abserviert, sogar nach S.. Wenn sie nichts dagegen tut, wird sich nichts ändern.

04.04.2022 16:24 • x 2 #26


Charla
Zitat von Begonie:
Weißt Du, was eine Therapie für sie bedeuten würde? Eine Konfrontation mit Kindheitserfahrungen und Gefühlen, die sie empfunden hat.

Ich war vielen Menschen die traumatisiert wurden begegnet, sie haben einfach nicht das Werkzeug an die Hand bekommen um ein gutes, frohes Leben zu führen und konnten nicht genügend Resilienz aufbauen um Krisen gut bewältigen zu können, ihnen fehlte es aufgrund fehlender Fürsorge und Missbrauch meist an Eigenliebe, Wertschätzung und Selbstbewusstsein, dafür lebten sie mit Angst, Schuld und Scham.

Dennoch waren wenige bemüht ihr Leben zu ändern, auch wenn sie zitternd, wie benommen, kurzatmig, mit wackeligen Beinen aus den Therapiestunden kamen, je früher ihre Traumata stattfanden, je weniger Chance bestand, dass sie sich davon erholen konnten.

Aber sie haben es zumindest versucht, auch wenn sie es als lebenslangen Prozess sahen weil jeder Mensch, jeder Situation anders ist und erneut triggern kann.

Deshalb haben die Menschen, die es versuchen meinen höchsten Respekt und sie haben sich ihr Leben nicht so ausgesucht, es wurde ihnen angetan und sie konnten damit noch nicht umgehen, es hat ihre Entwicklung gestört und ist in Hirnregionen abgespeichert, zu denen wir im Erwachsenenleben keinen bewussten Zugang mehr haben, deshalb scheitern meiner Meinung nach auch die meisten Therapien weil sie nicht lehren wie dahinzukommen ist, nur reden hilft da nicht viel, es braucht andere Werkzeuge um dahin zu kommen.

Angst ist nicht gleich Angst, Gefühle von Panik sind mit Todesangst vergleichbar und die muss ausgehalten werden wenn die Erinnerungen wieder hochkommen. Nicht jeder hat den Mut diesen zu begegnen.

Für Menschen, die diese Person lieben ist es unerträglich das lange auszuhalten, sie müssen sich retten um nicht mit unterzugehen.

04.04.2022 16:31 • x 2 #27


B
Zitat von Charla:
Deshalb haben die Menschen, die es versuchen meinen höchsten Respekt und sie haben sich ihr Leben nicht so ausgesucht, es wurde ihnen angetan und sie konnten damit noch nicht umgehen, es hat ihre Entwicklung gestört und ist in Hirnregionen abgespeichert, zu denen wir im Erwachsenenleben keinen bewussten Zugang mehr haben, deshalb scheitern meiner Meinung nach auch die meisten Therapien weil sie nicht lehren wie dahinzukommen ist, nur reden hilft da nicht viel, es braucht andere Werkzeuge um dahin zu kommen.


Du kennst Dich damit offenbar gut aus. Es deckt sich damit, was ich als absoluter Laie weiß. Ich weiß auch, dass diese Menschen durchaus Opfer sind. Sie sind beschädigt, weil sie beschädigt wurden.

Bei meinem Ex. wäre wohl nicht mehr viel zu machen. Erstens, er fühlt ja wenig, also auch keinen Leidensdruck. Zweitens, er weiß zwar, dass er beschädigt ist, aber er will sich nicht damit konfrontieren. Es käme womöglich einem Kontrollverlust gleich und damit kann er nicht umgehen. Also muss er weiter mit seinem Programm leben. Er hat nach mir ein halbes Jahr später wieder eine Beziehung gehabt. Möglicherweise sogar geheiratet, denn er trug mal am rechten Ringfinger einen goldenen Ring. Sah nach Ehering aus, aber Genaues weiß ich nicht. Ich weiß , mit wem er zusammen war oder ist, aber mehr auch nicht. Es interessiert mich auch nicht mehr.
Und drittens, er hat keine Erinnerungen an seine Kindheit. Nichts, es ist alles weg. Er erinnert sich an die Zeit als er ungefähr 12 war.Schulanfang, Erstkommunion, einschneidende Erlebnisse, ob positiv oder negativ, es ist nichts mehr da.

Aber ich konnte mir schon einiges zusammenreimen. Vernachlässigt vom Vater, der sich selbst nicht mochte und offenbar nie in der Lage war, eine tiefere Verbindung zu Menschen aufzubauen und somit natürlich auch nicht in der Familie. Der Sohn, der Erstgeborene wurde eher abgewertet. Der Vater war nie stolz auf seinen Sohn und ich glaube, diesen Schmerz hat mein Ex. nie verwunden und aufgelöst. Es störte sein Selbstbild und es störte die Beziehungsmöglichkeiten. Denn der tief verankerte Wunsch nach Nähe und Akzeptanz ließ sich nicht mit seinem Unabhängigkeitsstreben vereinbaren. Zwei Kräfte, die entgegen gesetzt wirken und der Freiheitswille siegt in der Regel, weil die empfundene Freiheit auch als Selbstbestimmtheit empfunden wird. Es ist die persönliche Schutzzone, die sie nicht dauerhaft verlassen können.

Ich könnte mir vorstellen, dass er sogar geprügelt wurde. Es würde ins Bild passen, er hat was geprügeltes an sich. Die Mutter bekam eineinhalb Jahre nach seiner Geburt Zwillinge. Man kann sich gut vorstellen, dass sie überfordert war, zumal Kinder und Haushalt ja Frauensache waren und der Vater nur fürs Geldverdienen da war. Und der Erstgeborene erlebte vermutlich erstmals Einsamkeitsgefühle und Verlassenheit in einem Alter, in dem er meilenweit davon entfernt war, das mit Hilfe des Verstandes verstehen zu können. Das spricht für die Hirnregionen, die Du angesprochen hast.

Und ich? Kam auch nicht unbeschadet durch die Kindheit. Der vergötterte Vater ging arbeiten und blieb mir in der Kindheit oft etwas fern. Ich empfand es so. Und meine Mutter dressierte mich. Tu dies, aber nicht jenes. Früh erfuhr ich , dass Leistung ein gutes Mittel ist, um Liebe und Bestätigung zu ernten. Und noch früher erlernte ich, die Stimmung meiner Mutter auszuloten, der ich ausgesetzt war. Einen Tag schien die Sonne und alles war leicht, den anderen war sie unzufrieden mit sich und ihrem Leben und das bekam ich ab. Höchste Vorsicht war geboten, dass möglichst nichts ihre schlechte Befindlichkeit noch verstärkte.
Ich war kein mutiges Kind, eher zurückgezogen, schüchtern und oft ängstlich. Klarer Fall. Und ich lernte früh, dass meine Befindlichkeiten nicht zählten und keine Beachtung fanden. Mein Kummerkasten war mein Pinguin, ein Stofftier, dem ich alle Kümmernisse anvertraute.
Die Liebe und Zuwendung der Mutter war zu wenig beständig und oft von Leistung abhängig. Irgendwie führte das wohl zur Gefahr einer Selbstaufgabe in Beziehungen und genau das lebte ich dann nach. Ständig bemüht, alles zu tun, zu gefallen ohne Rücksicht auf mich selbst. Leiden war normal, denn Liebe geht nicht ohne Leiden.

Ich habe es so einigermaßen im Griff und kann jetzt sogar konstant in einer Beziehung leben. Aber das setzte eben auch voraus, dass ich mich mit meinen Erfahrungen auseinander setzen musste. Manche Tränen floßen da, aber ich wusste auch, so kann es nicht ewig weiter gehen. Ich muss Ordnung schaffen, die Sache mit meiner Mutter klären, auch wenn sie schon lange tot ist. Ich verstehe sie heute besser.

Sie war selbst traumatisiert. Flüchtlingskind aus dem Sudetenland. Kriegserfahrungen, gewaltsame Vertreibung, Ungewissheit und die grausame Erfahrung, einem höheren Schicksal ausgeliefert zu sein, hinterließen bei ihr tiefe Spuren. Sie stand sich oft selbst im Weg und ihre permanente Unzufriedenheit habe ich auch unbewusst übernommen.
Davon kann ich mich heute gut distanzieren. Ich muss nicht alles behalten, was man mir aufgehalst hat. Es ist auch meine Entscheidung welche Lebensqualität ich habe.
Ich schätze mich als leichteren Fall ein. Ich habe Zugang dazu, Kindheitserfahrungen sind präsent und zugänglich und ich bin kein Opfer von Missbrauch oder Gewalterfahrungen. Wobei es natürlich auch psychische Gewalt gibt, der ich wohl schon etwas ausgesetzt war. Und sofern man Ohrfeigen aufgrund innerer Wut, die aber nicht von mir ausgelöst wurde, als normal ansieht. Damals nicht ungewöhnlich, heute sieht man das anders. Ich fühlte immer, dass ich nur die Zielscheibe ihres eigenen Unvermögens war, weil ich eben da war ... und wehrlos war. Kind eben und abhängig, mit einem immensen Wunsch nach Gemeinsamkeit, nach Vertrautheit, die ich immer da suchte, wo ich sie nicht fand.

Dass ich heute damit leben kann, heißt nicht, dass alles aufgelöst ist. Es bleibt was übrig, aber ich kann damit umgehen. Ich kann mich auf mich verlassen, denn ich musste das ja auch immer tun.

04.04.2022 17:07 • x 2 #28


B
Hallo, Charla, darf ich Dich fragen, was Du beruflich machst? Es liest sich spannend, wenn auch nicht einfach.

04.04.2022 17:18 • x 1 #29


Charla
Ich hatte vor langer Zeit viele Jahre in einem KH, dort in der Notaufnahme, psychiatrische Ambulanz gearbeitet und kümmerte mich überwiegend um Notfälle. Es war nicht immer leicht weil es manchmal schwer fiel sich abzugrenzen.

Es geht ja überwiegend darum mit seinen Themen so umzugehen, das das Leben nicht mehr so sehr davon überschattet und einengend , sondern mit mehr Leichtigkeit gelebt werden kann.

Jeder Mensch hat seine Prägung im Guten wie im Schlechten und jeder ist anders.

Vielleicht hast du in ihm Gleichheiten gefunden, was ihn für dich zunächst anziehend machte, weil es dir vertraut war, mit viel Glück hättet ihr mit- und aneinander heilen können weil ihr ähnliche Erfahrungen gemacht und ähnliches vermisst habt?

Es geht ja auch um Manipulation, emotionalen Missbrauch, Erpressung damit das Kind das macht, was gewollt ist, u.v.m. es ist ja ohne Macht den Eltern/Erziehern ausgeliefert.

Einiges kann auch allein verarbeitet werden, wenn gut auf sich geachtet wird und die Schäden nicht so gravierend sind und/oder auch eine andere, nahestehende Person als Stellvertreter vorhanden ist, es kann sogar ein Haustier sein, dem man seine Kindersorgen anvertrauen kann, denn der Mensch ist auf Selbstheilung programmiert.
Ich glaube wir alle haben mit unseren Eltern Erfahrungen gemacht, die nicht immer unserem Wohl galten, sie geben meist nur das weiter, was sie selbst erfahren haben.

04.04.2022 17:39 • x 1 #30


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