Lieber Ratsuchender,
ist sie nicht sehr früh eine Beziehung mit Dir eingegangen? Und fiel sie aus dem Elternhaus nicht gleich in das nächste Nest, das Du ihr geboten hast?
Du hast doch mal erwähnt, dass sie gleich nach der Ausbildung mit Dir zusammen gezogen ist.? Dann Traum von Happy Family, Haus, zwei Kinder und eigentlich hätte alles passen können, aber es war nicht von Dauer.
Ich denke, sie ist nie selbstständig geworden. Erst wohnte sie daheim, war unter der Obhut der Eltern, dann hattet Ihr eine gemeinsame Wohnung und sie trat von einem Nest ins andere.
Wer sie selbst ist, wie sie leben will und was sie kann oder nicht kann, weiß sie nicht. Sie lebte nach einem vorgefertigten Programm, von dem sie nicht weiß, ob es ihr Programm ist oder ob sie fremdgesteuert so lebt, weil man das eben so macht. So mit Freund, Zusammenziehen, Heirat, Kinder, Haus ...
Sie hat es nicht gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen. Sie weiß nicht, was es heißt, in eine andere Stadt zu ziehen und dort allein zu sein und einen Freundeskreis aufbauen zu müssen. Sie konnte sich nie ausprobieren, denn wer ein Schema F lebt, der macht keine Experimente.
Erst regelten die Eltern ihr Leben, dann kamst Du und nahmst die Sache in die Hand. Du hast doch auch den Haushalt weitgehend geschmissen, weil sie auch das nicht schaffte oder schaffen wollte.
Du hast ihr alles abgenommen und alles in die Hand genommen und sie hatte es bequem. So bequem, dass sie sich langweilte, weil alles berechenbar war. Die Konsequenzen kennst Du, ihre Flucht in die virtuelle Welt.
Sie hat sich nie beweisen müssen, sie hatte keine Krisen zu bestehen, sie hat keine Ahnung wie es ist, allein zu leben und sich um alles selbst zu kümmern.
Sie wurde nie selbstständig, weil immer Jemand da war, der ihr sämtliche Alltagssorgen abnahm und sich kümmerte. Sie ist faul und verzogen. Sie hat keine Disziplin, sie kann sich selbst nicht steuern, sie begreift nichts, sie wabert so ziellos vor sich hin und dachte sich, ein kümmernder Mann, ein fürsorglicher Vater nimmt alles hin, sieht alles nach und nimmt ihr weiterhin alles ab.
Sie muss jetzt sehr viel lernen und ihr Leben allein auf die Reihe bringen, es organisieren, das Alleinsein aushalten, denn das Netz ist zwar eine Ablenkung, bietet aber wenig menschliche Wärme und Nähe. Sie ist überfordert, weil sie keine Ahnung hat, wie das nun alles gehen soll und sie sieht, dass Du ihr abhanden kamst.
Sie hat keine Ahnung, wer sie ist und was sie will. Aber sie weiß, dass sie Angst hat vor dem was kommt.
Du hast Dir Deine Zukunft schon halbwegs gebaut, das Wohnungsproblem gelöst, ein Auto besorgt, das Zusammenspiel von Beruf und Kindern gelöst und obendrein eine Freundin gefunden. Und was tat sie in der Zeit? Nichts, hing weiter vor dem PC rum und rannte anderen Männern hinterher, von denen sie keiner will.
Ich kann verstehen, wie sie jetzt drauf ist. Zerfressen von Neid, Eifersucht und Ängsten. Aber es ist auch eine Chance für sie. Erstmals ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, zu gestalten und zu begreifen, dass sie allein ihr Leben regeln muss und dass nicht ständig Irgendwer bereit steht, der ihr sagt, wie das alles geht.
Sie hat jetzt eine Chance, Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit zu lernen. Ob sie es schafft, kann ich nicht sagen, denn sie ist innerlich fragil und instabil. Sie musste ja nie Stärke beweisen und Selbstständigkeit lernen. Ich hoffe, es ist nicht zu spät für sie. 'Sie muss jetzt das lernen, was andere mit 20 lernen.
Sie wurde nie richtig erwachsen, sie hat wenig Einsicht in ihr Verhalten, sie verdrängt und wenn sie Angst hat, rennt sie weg oder schlägt um sich. Reife ist ihr nicht gegeben. Wie hätte sie das auch werden sollen? Sie ist auf dem Stand eines Kindes, so kommt es mir vor. Sie weiß nicht, dass Handlungen auch Konsequenzen haben, dass man nicht nur nach dem Lustprinzip leben kann und dass Flucht ins Netz keine Lösung ist. Sie hat sich verrannt.
Es wird Zeit, dass sie es lernt und endlich erwachsen wird. Die Kinder wären bei Dir besser aufgehoben, aber sie bleiben Dir auch, wenn sie bei ihr bleiben. Geh Du Deinen Weg weiter und grenze Dich ab. Was sie tut oder nicht tut, liegt nicht in Deiner Verantwortung, es sei denn, es geht an den Kindern aus.
Lebe Dein Leben und sie soll ihres leben. Es wird ihr nicht gefallen, es eröffnet aber auch ihr neue Möglichkeiten, die sie wahrscheinlich nicht sehen und wahrnehmen wird. Das ist aber allein ihr Problem.
Sieh es als Chance für sie, endlich das Leben in ihre Hände zu nehmen. Was sie daraus macht, ist ihre Sache. Wenn sie scheitert, hat sie es sich selbst zuzuschreiben.
Und sieh es auch als Chance für Dich, Dich aus einer Umklammerung zu lösen, die Dir nicht mehr gut tat und tut.
Du darfst Verantwortung auch mal delegieren. Ihren Weg hat sie freiwillig gewählt, ob sie ihn als falsch erkennt und umkehrt, ist nicht mehr Deine Sache. Deine Sache sind Dein Leben und Eure Kinder.
Sieh das als getrennte Welten an und ich schätze, es wird dann leichter. Durch die Kinder bleibt ihr ohnehin noch verbunden, aber dieses Band ist auch genug.
Sie hatte bei Dir Chancen, jede Menge, sie hat sie nicht genützt. Ihre Wünsche waren stärker und denen ordnete sie alles unter.
Ihre Sache, ihr Ding, aber nicht, unsere Sache, unser Ding.
Als Kümmerer warst Du gut genug, als Lebenspartner standest Du im Abseits.
Heilsam, wenn sie erstmals auf eigenen Beinen stehen muss. Was sie daraus macht, ist aber nicht mehr Dein Problem.
Begonie
25.05.2020 17:32 •
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