Zitat von Grätchen:Ich sehe nicht, dass sie mein Bestes wollten und dabei nur ein paar Fehler gemacht haben, wie jeder Mensch
Zitat von Grätchen:trotzdem sehe ich keine Anstrengung hinter ihren Taten
Ich wollte es so nicht verstanden wissen, dass Deine oder irgendjemandes Eltern lediglich ein paar Fehler gemacht hätten. Mein Vater hat viele Jahre eine Schreckensherrschaft gelebt. Das ist nicht lediglich mal ein Fehler. Das ist ein ganz schrecklich ausgelebtes dauerhaftes Muster, das je nach Herausforderungen in seinem Leben stark oder etwas milder zutage tritt.
Ich wollte es so verstanden wissen, dass die Eltern nach ihrem Vermögen gehandelt haben. Das mag bei dem Einen sein, dass er lediglich mal nicht so optimal reagiert und bei der Anderen, dass sie aufgrund der eigenen Biografie, des eigenen Erlebens und der seelischen Verletzungen einfach nicht anders handeln konnte, als sie es tut. Mein Vater konnte sein Bild von sich selbst nicht anders aufrecht erhalten als über willkürliche Machtausübung und Herabwürdigung anderer. Das finde ich nicht toll. Das koche ich nicht runter. Aber dennoch konnte er es nicht anders. Was ich aber kann, ist zu erkennen, wann ich ähnlich handele, wann mich etwas triggert, und was ich tun muss, um selber nicht so zu sein wie etwas, das ich zutiefst verabscheue.
Du verstehst Dich selber als Freak. Was Du von Deinen Eltern erwartest, ist besser gewesen zu sein, als sie in der Lage waren zu sein. Das darfst Du erwarten. Das darf jedes Kind erwarten. Kinder sollen Urvertrauen erfahren und eine wundervolle Kindheit. Es ist legitim und es steht allen Kindern zu.
Aber die Realität ist leider eine andere. Vermutlich vermochten Deine Eltern nicht, es zu geben. Vielleicht fehlten ihnen Handlungsalternativen oder es war ihnen nicht wichtig (sie vermochten nicht, andere Prioritäten zu setzen). Vielleicht waren sie grausam (sie konnten es vermutlich nicht anders). Du kannst in Deiner Wahrnehmung doch auch nichts anderes sein als Freak. Wenn es so einfach wäre, die eigenen Muster und Verhaltensweisen sein zu lassen, hätten Deine Eltern es vermocht und Du würdest vermögen, in Deiner eigenen Wahrnehmung kein Freak zu sein. Du wärst viel besser (wobei das relativ ist), als Du bist. Aber Du bist eben nur so gut, wie Du eben sein kannst. Das ist und sollte Dir gut genug sein. Denn mehr kann niemand von Dir erwarten und mehr solltest Du selbst auch nicht von Dir erwarten. Verzeih Dir selbst, dass Du nicht anders bist und arbeite beharrlich daran, anders zu werden, wenn es Dir wichtig ist.
Ein wichtiger Punkt ist m.E. auch, dass es zu Zeiten unserer Eltern alles andere als selbstverständlich war, sich professionelle Hilfe für die Seele zu holen. Ich gehe davon aus, dass den meisten von ihnen bewusst war oder ist, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, aber es gab nichts, was sie dagegen tun konnten. Uns dagegen stehen alle Möglichkeiten in dieser Hinsicht offen und ich möchte es als mittlerweile gesellschaftlich anerkannt (erschreckenderweise fast schon zum guten Ton gehörend) bezeichnen, dass man sich unter Zuhilfenahme von Fachleuten nicht nur um seinen Körper sondern auch um seine Psyche kümmert.
Zudem darf man m.E. auch nicht übersehen, grausame Menschen, ungeduldige Menschen, Choleriker, Gewalttäter usw. sind keine glücklichen Menschen. Sie versuchen, sich Geltung zu verschaffen, aber die Triumphe halten allenfalls kurz an. Deine Eltern werden keine glücklichen Menschen sein. Wie sollen sie da Kinder glücklich machen können, wenn sie es nicht mal für sich selbst vermögen?
Ich rede das nicht gut. Ich versuche nur, Verhalten zu verstehen, um es zu meinem eigenen Nutzen besser einordnen zu können.
Du scheinst noch voller Erwartungen und enttäuschter Erwartungen zu sein. Erwartungen an Deine Eltern, die sie gar nicht erfüllen konnten. So sehr Eltern sich auch bemühen, Geschwisterkinder werden immer unterschiedlich behandelt. Manche trifft es härter als andere. Unter uns sind sicher viele, die es härter getroffen hat. Mein Bruder, das Nesthäkchen hat in Teilen auch vollkommen andere Erinnerungen an unsere Kindheit als ich.
Mein Vater zum Beispiel stellt immer mal wieder in den Raum, dass er während seiner Ehe ein weiteres Kind mit einer anderen Frau gezeugt hat. Er brüstet sich quasi damit. Ich finde dieses Verhalten empörend. Denn weder mein Bruder noch ich haben Interesse daran, diese Geschichte weiter zu verfolgen, aber eines ist klar: es demütigt meine Mutter. Falls etwas daran ist, verletzt es sie immer und immer wieder, aber ihn kümmert das offenbar nicht. Er merkt es nicht oder er macht es absichtlich. Er kann es einfach nicht anders. Was er daneben nicht erkennt: falls es diese Gegebenheit in seinem Leben wirklich gab, ist es seine verdammte Pflicht, dazu zu stehen. Was macht er? Er brüstet sich, ohne sonst irgendetwas zu tun. Er kann es nicht anders. Er denkt, es macht ihn größer oder für ihn fühlt es sich so an. Aber in Wirklichkeit macht es ihn nur klein. Mir tut es für ihn weh, dass er so ist.
Dein Vater konnte es nicht anders, als so zu Dir zu grausam zu sein. Falls er nicht anders sein wollte, ist auch das ein Ergebnis seiner eigenen Erfahrungen. Es gilt, das anzuerkennen, was nicht gleichbedeutend ist damit, es gut zu heißen. Er ist in Bezug auf Dich ein armes Würstchen, aber er ist es bestimmt nicht, weil er es so wollte, sondern weil er es nicht anders konnte. Bevor Du das nicht anerkennen kannst, wirst Du vermutlich immer in der Vorwurfshaltung bleiben und Dich als Freak fühlen. Wenn Du aber siehst, was
war und es betrachten und wieder an seinen Platz zurück legen kannst, zurück in die Vergangenheit, dann hast Du eine Chance, aus dem selbstempfundenen Freakdasein auszusteigen oder es zu mindern und zu sehen, dass es eben nicht mehr ist und Du jetzt die Verantwortung für Dein Wohlbefinden selber übernehmen kannst. Du hast dann die Chance zu sehen und zu fühlen, was Du selber alles schon erreicht hast auf dem Weg, der Mensch zu sein, der Du sein möchtest.