Zitat von Grätchen:Der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Ich versuche ja, Verständnis zu haben und zu verzeihen, dass meine Eltern auch nur Menschen sind, die Fehler machen und sicher geglaubt haben, das Richtige zu tun. Sie haben das weiter gegeben, was sie selbst gelernt haben. Auf gewisse Art und Weise verstehe ich das.
Aber was nützt mir das Wissen? Welche Konsequenzen soll man daraus ziehen?
Das ist extrem schwierig.
Der Punkt ist der, Du darfst wütend sein, Du darfst enttäuscht sein und vor allem Du darfst (für den Rest Deines Lebens) wollen und wünschen, daß es anders gewesen wäre.
Das ist wichtig.
Wenn Du oder Du und externe Hilfe, es Dir lange genug erlauben, Du lange genug durch diesen Schmerz hindurch gehst, es nicht einfach nur wegwischst und behauptest, es geht schon und ihnen, denen, anderen gerecht wirst, kommst Du irgendwann in den Wald voller Wut, der nach dem Schmerz kommt. Aus diesem herauszufinden, gelingt Dir durch Ermüdung (irgendwann ist man es leid, sauer auf die eigenen Eltern zu sein, wenn richtig gemacht und richtig geleitet) und eben durch Verzeihen.
Wie aber kann nach all den Verletzungen, dem Schmerz, den Mustern, den Gräben, Verzeihen aussehen?
Für mich gab es nur einen Weg, Verständnis, auch genannt Empathie oder Liebe.
Irgendwann an irgendeinem Tag, spürst doch noch immer jede Verletzung und hoffentlich die Wut und das kleine Kind in Dir, was sich so sehr windet und sehnt, nach dem Lob, der Anerkennung, der Liebe und gleichzeitig spürst Du, daß Du nicht mehr fünf, sieben oder 13 Jahre alt bist und Du spürst auch, daß es keinen Unterschied macht, denn egal, was Du tust, es wird sich nicht ändern.
Du spürst die Trauer als Erwachsene, die etwas anderes ist als die Verzweiflung einer siebenjährigen, weil Du nach Hause gehen kannst, in Deine Wohnung und egal, ob Du auf Diät bist oder auch nicht, Du das Geld hast, dir einen Liter der besten Eiscreme oder ein kilo der besten Pasta zu kaufen. Du setzt Dich in Deiner Wohnung, auf Dein Sofa und futterst oder trinkst 5 Liter des besten Weins, Du heulst, ABER Du wirst nie wieder so verzweifelt und ausgeliefert sein, wie Du es damals warst.
Und es sind deine Eltern. Du brichst den Kontakt vielleicht ab, nur um ihn hin und wieder wieder aufzunehmen, immer in der Hoffnung, daß sich irgendetwas ändert. Du kommst 20mal an den Punkt des Triumphs oder der Verzweiflung, weil sich etwas ändern müsste und es doch nicht tut. Und trotzdem wirst Du nie wieder so verzweifelt sein, wie als Kind. Nicht so.
Du bist verzweifelt.
aber nicht mehr hilflos und das ist extrem viel wert. Am Anfang ist das nicht genug, aber irgendwann, an irgendeiner Stelle, wenn Du nicht aufgibst, kommst Du an den Punkt, an dem Du selbst (!) akzeptierst, wie unpackbar gemein und sche**e das war und du fragst Dich nicht mehr einfach nur, warum Du es nicht wert warst, daß sie dich nicht besser behandelt haben, sondern Du fragst dich ganz allgemein, warum die das nicht konnten.
Und dann ist es das erste mal, daß Du siehst, daß sie nicht weiter geben können, was sie selbst nicht gelernt haben. Und Du siehst zum ersten Mal, wie bei einem Puzzle, was Du versuchst zusammenzusetzen, dessen Bild Du aber nicht kennst, daß Du haufenweise blaue Stücke hast und manche sind der Horizont (Zukunft) und andere der Ozean (Vergangenheit).
Und dann fängst Du an zu begreifen, daß die Er-Lösung im Verstehen und im Verziehen liegt. Jedes Mal, wenn Du selbst einen Fehler machst, wie es Menschen nun mal tun, und du lernst, daß davon als Erwachsene nicht die Welt untergeht, Du Dir aber verzeihen musst, lernst Du auch Deinen Eltern zu verzeihen.
Die Wut, etwas lernen zu müssen, um endlich etwas zu verändern, die bleibt, denn es wäre nicht Deine Aufgabe gewesen es zu lernen sondern deren, aber auf einmal bist 30 oder 40 plus und auf einmal bist Du selbst, wie sie jedenfalls in deren Position, es sei denn, Du veränderst.
Niemand kann ungeschehen machen, was Dir oder mir gefehlt hat und es ist richtig darüber traurig und wütend zu sein. Wenn das aber der Grund ist, warum Du und ich nicht liebend, emphatisch und würdevoll sind, würden wir dann nicht nur wiederholen, was wir denen vorwerfen?
Wollen wir uns wirklich auf ein, ich habe das aber so gelernt zurückziehen, obwohl wir wissen, wie weh es uns getan hat?