Also ... ich bin tatsächlich am 19. zu K. gefahren. Und auch wenn ich es keineswegs geschafft habe, gefasst zu bleiben, so war es doch in jeder Hinsicht richtig.
Seit ich mich im Juni 2015 von K. getrennt habe, waren Besuche bei ihm immer ein Gefühlsmischmasch. Wir gingen absolut freundschaftlich und herzlich miteinander um, aber mir schien es oft, als versuche er, um mich zu kämpfen und mich gleichzeitig möglichst distanziert zu behandeln.
Zudem hatte K. nach unserer Trennung seinen Kontakt zu meiner Verwandtschaft intensiviert, hinter meinem Rücken und besonders zu einer meiner Cousinen und deren Mann. Dummerweise waren meine Cousine und ich einander schon seit frühester Kindheit nie wirklich grün. So lange K. mit mir liiert war - immerhin 14 Jahre -, hätten meine Cousine und ihr Mann es nie geschafft, uns in Hamburg zu besuchen. Seit K. und ich aber auseinander sind, waren die beiden mehrfach bei ihm bzw. er bei ihnen, und sie hatten zu dritt reichlich Spaß und schöne Erlebnisse.
Aber immer schön klammheimlich. Die ganze Verwandtschaft wusste davon - nur nicht meine Eltern oder gar ich. Und das, obwohl die Mutter meiner Cousine (also meine Tante) und meine Mutter zueinander Schwestern und sehr miteinander verbunden sind.
Diese Heimlichtuerei ko**te mich an. Ich empfand das mir gegenüber als respektlos und unfair, und es kränkte mich, dass K. da mitspielte. Auch das war ein Grund für mich, nicht mehr mit ihm als Paar zusammenkommen zu wollen, denn wer mit meiner intriganten Cousine befreundet ist, der kann es nicht gleichzeitig auch mit mir sein.
Allerdings hatten K. und ich uns mal versprochen, in Notsituationen als Freunde zusammenzuhalten. Und eine Krebsdiagnose ist für mich eine solche Notsituation. Ich fühle mich ihm gegenüber im Wort und gleichzeitig schwer verunsichert. Denn die schönen Seiten seines Lebens teilte K. seit unserer Trennung mit anderen Leuten - aber im Notfall bin plötzlich wieder ich gefragt.
Doch darf ich jetzt so denken? Ist das fair? Bzw. was, wenn K. hofft, dass ich weich werde und zu ihm zurückkehre? Wie soll ich damit klarkommen, mein Leben nach seinem auszurichten - wohl wissend, dass ich damit nicht mehr nur unter seiner Fuchtel, sondern auch quasi hintenrum unter der Fuchtel meiner Cousine bin, die ich seit jeher am liebsten nur von hinten sehe?
Und dann die Erkrankung an sich: Darf ich K. gegenüber ängstlich und traurig sein? Darf ich optimistisch sein oder muss ich Zuversicht heucheln, obwohl ich Tag für Tag um ihn weine?
Und warum zur Hölle weine ich um einen Mann, der seine Erkrankung womöglich noch mal nutzt, um mir ein schlechtes Gewissen zu verursachen und mich als Kumpeline auszunutzen?
Oder ist vielleicht doch alles ganz anders?
K. jedenfalls war ziemlich erschrocken, als er mich sah. Denn anders als er, der ausgesprochen gesund und vital wirkt, sehe ich verweint und ausgemergelt und kein bisschen wie ein Trostspender aus.
Ebenso wie bei mir, wechselte auch bei ihm die Stimmung quasi im Minutentakt von Melanchie zu Optimismus, und ich wusste nie wirklich, was davon echt war und was vielleicht nur gespielt.
Gestern gründete ich eine WhatsApp-Gruppe aus K.s Sohn R., zwei Kumpelinen aus K.s Nachbarschaft und mir. R. und ich wohnen ja von K. mehrere Hundert km entfernt, aber die beiden Kumpelinen sind für ihn gut erreichbar und können schnelle Hilfe leisten, wenn er wieder zu Hause ist - so Sachen wie Einkaufen, Arztfahrten u. ä.
Am schlimmsten war die Nacht von gestern zu heute. Wir lagen wie früher in K.s Doppelbett und hielten uns bei den Händen. Ich versuchte, nicht zu weinen, und flüsterte: Es wird alles wieder gut, die OP wird klappen, ..., bis er mich anknurrte, dass ich endlich schlafen soll. - Ein Knurrer war er übrigens schon immer und gegenüber jedem. -
Heute morgen hat K. mir einen Fressbeutel gepackt und mir die Lebensmittel mitgegeben, die nicht bis zu seiner Entlassung aus dem Krankenhaus halten. Dann brachte ich ihn hin. Wir verabschiedeten uns so, als ginge es nur um einen Minimaleingriff. Aber wir wussten beide, dass wir uns vielleicht zum letzten Mal sehen. Und jeder wusste, dass der andere wusste, dass man selbst wusste ... Und jeder wusste, dass der andere sich bemühte, sich nichts anmerken zu lassen ...
Vorhin haben wir noch mal telefoniert und SMS geschickt. K. erzählte, dass sein Zimmergefährte ein ganz alter blinder Herr ist, der viel Stress macht. In seiner letzten SMS schrieb er: Musst nicht weinen, wird alles wieder gut. Danke für Deine Fürsorge. Und ich schrieb: Ich drücke dir ganz dolle die Daumen für morgen und freue mich auf die Erfolgsmeldung.
Und jetzt sitze ich hier, zittere vor Angst, und mir laufen die Tränen ...
22.02.2021 01:12 •
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