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Es war einmal - Ich erinnere mich!

H
Ich erinnere mich.

Es war ein Sommerabend, angenehme Temperaturen, die Sonne war noch nicht ganz untergegangen.
Wir Kinder spielten noch draußen, alle meine Freunde waren da, um sich gleich zu verabschieden. Meine Mutter packte unsere Sachen, meine Tante und meine Oma halfen mit. Tränen liefen, immer und immer wieder, was ist wichtig? Was nehmen wir mit? Was lassen wir hier?
Das ganze Leben, reduziert und eingepackt in einem Koffer.

Onkel versuchte alles in den Kofferraum seines alten Seat Ibiza zu kriegen. Jemand muss diese Tasche gleich auf dem Schoß halten.
Ich nehme sie! rief meine Mutter.

Im Sommer von 1989, genau genommen im Juli, waren in Griechenland schon Sommerferien. Wir spielten gerade draußen. Die üblichen sehr kurzen shorts, die kleinen Ärmellose Shirts und Sandalen halfen gegen die Hitze anzukommen. Aber an diesem Abend war es sehr angenehm. Das weiß ich noch.
Irgendwie realisierten wir nicht, was gleich wirklich passieren wird. Was das zu bedeuten hat, nicht nur für einen Moment oder kurzen Zeitraum, sondern für immer.
Es fühlte sich an wie ein großes Abenteuer, wie eine Klassenfahrt, auf die ich mich vor den Ferien gefreut habe. Mein bester Freund Dimi sagte zu mir,
jetzt kannst du ohne Ende Bananen essen, die waren in Griechenland sehr teuer,
meine Mama sagt, die sind dort sehr günstig.

Ich erinnere mich, wie meine Oma weinte. Sie saß auf einem kleinen Sessel neben der Eingangstür. Einer nach dem anderen umarmten wir uns. Ich weinte nicht, die Aufregung und Vorfreude war sehr groß. Die Sehnsucht nach sieben Monaten, nach so vielen Monaten endlich meinen Vater wiederzusehen.

Sofia kommt, wir verpassen den Reisebus los. rief mein Onkel und ich sprintete über die Veranda ins Auto auf den Rücksitz.

Beim Wegfahren drehte ich mich um und sah durch die Heckscheibe alle meine Freunde, die sich mitten auf der Straße stellten und mir zum Abschied winken.
Wer hätte gedacht, dass das der Anfang eines ganz neuen Lebens sein wird.

Wir fahren nach Deutschland!

Fortsetzung folgt…

30.01.2023 09:47 • x 30 #1


H
Es ist schon dunkel. So viele Menschen laufen umher, Koffer in der einen und Kinder in der anderen Hand suchen nach dem richtigen Reisebus, der sie zu ihrem Zielort führen soll.

Zwei Busfahrer nehmen unsere Taschen und werfen sie in den Stauraum.
Es war Zeit Abschied zu nehmen. Meine Cousine, damals gerade mal sechs Jahre alt weinte. Sie stieg sogar zusammen mit dem Busfahrer ein und verabschiedete sich nochmal von uns. Hinterher nahm sie der Fahrer an die Hand und übergab sie meiner Tante. Es war der 09.07.1989. Es war dunkel, weiß nicht mehr wie spät, aber unsere Reise begann endlich.

Es wurde langsam hell. Wir machten halt auf einer Raststätte und ich saß am Fenster.
Mama, ich muss mal… rief ich.
Ich auch, rief meine Schwester und wir suchten die Toiletten. Naja, Toiletten würde ich das jetzt nicht nennen. Porzellan mit einem Loch im Boden. Der Gestank war furchtbar.
Was sprechen die für eine Sprache? Wo sind wir?
In Jugoslawien, sagte meine Mutter.

Ich erinnere mich, dass die Fahrt durch Jugoslawien sich für mich wie eine Ewigkeit anfühlte. Irgendwie hatte ich es in meinem Verstand so eingespeichert, dass nach jedem Halt ein neues Land sein wird, wo wir uns befinden. Ich hatte aber keine Ahnung wie viele.
Wo sind wir jetzt?
Immer noch in Jugoslawien Herakles, das ist ein sehr großes Land.
Ohhhhj, und wann sind wir in Deutschland?
Das dauert noch, setz dich jetzt hin.
Die Fahrt dauerte bis 12.07.1989 am Nachmittag.

Endlich sind wir da!

Fortsetzung folgt…

30.01.2023 10:06 • x 14 #2


A


Es war einmal - Ich erinnere mich!

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H
Köln Hauptbahnhof!

Wir stiegen alle aus. Mein Tshirt hatte ich vor Aufregung dermaßen lang gezogen dass man es auch als Nachthemd benützen könnte.

Wo ist Papa? fragte ich und schaute mich ständig um.
Der kommt gleich, warte doch erstmal.
Es dauerte ewig, jedenfalls fühlte es sich für mich so an.
Herakles, lauf mal schnell dort drüben in den Bahnhof rein, vielleicht ist dein Vater da drin und sucht nach uns. Sagte sie.

In den Bahnhof reingelaufen, machte ich erstmal eine Vollbremsung. Eine Gruppe von Menschen, die zum Teil auf den Boden saßen, B. tranken und riesige Hunde bei sich hatten. Die Haare gefärbt und mit komischen Frisuren. Alle waren schwarz gekleidet und einer hatte einen Ghettoblaster, wo Rockmusik ertönte.
Ich bekam Angst und lief sofort wieder raus zu meiner Mutter.
Das war meine erste Begegnung mit Punks.
Mama, da drin sind Verbrecher und die haben große Hunde.

Plötzlich sah ich meinen Vater quer über den Bahnhof ankommen. Neben ihm ging ein mir fremder Mann. Mein Vater blieb stehen, ging mitten auf dem Bahnhof in die Knie und öffnete seine Arme. Ich rannte auf ihn zu und sprang in seinen Armen. Er warf mich hoch und küsste mich. Endlich. Nach sieben Monaten konnte ich wieder in seine Arme. Endlich sind wir in Deutschland angekommen.

Fortsetzung folgt…

30.01.2023 10:22 • x 16 #3


H
Die Fahrt nach Solingen war spannend.
Ich erinnere mich, wie beeindruckend das für mich war. Die ganzen Bergischen Häuser, die grünen Läden, und es waren so wenig Menschen auf der Straße. Nicht so wie in Thessaloniki. Was uns auffiel war, dass niemand hupte. Die Ampel sprang auf gelb, dann auf grün, und dann fuhr man los. In Griechenland wurde man schon für sein Dasein verflucht noch bevor die Ampel auf Geld schlug. Sehr geduldig diese Deutschen, bravo, sagte meine Mutter.

Solingen!
Wie heißt dieses Dorf? fragte ich meinen Vater. Ich dachte, wenn hier so wenig Menschen und Geschäfte sind, muss es ein Dorf sein. Ich verglich jede Stadt mit Thessaloniki, hatte ja keine Ahnung. Auch in Griechenland haben wir Kleinstädte, aber in dem Alter war ich noch nicht viel rumgekommen.

Ich erinnere mich an unsere Wohnung. Sie war fast leer, und für meine Begriffe riesig.
Über 100qm und nur zwei Zimmer.
Die Küche war zusammengewürfelt aus allem möglichen, ein uraltes Schlafzimmer vom Sperrmüll, das Wohnzimmer hatte nur ein Klappsessel, ebenfalls vom Sperrmüll.
Das Wohnzimmer war riesig. Über 30qm. Weiß ich aber erst mit dem älter werden. Damals war es für mich nur riesig.

Am selben Nachmittag bekam mein Vater mit wie Nachbarn wieder Sperrmüll raustrugen. Wie gesagt, das war noch am ersten Tag. Abends rief er dann sein Freund an, der uns vom Bahnhof abholte und er kam vorbei. Wir fingen an Sachen und Möbel hochzuschleppen.
Eine 3er Couch, einen alten Wohnzimmertisch, einen uralten Teppich den meine Mutter nach Alter Methode reinigte und eine ebenfalls alte Schuhkommode, die wir als Esstisch umfunktioniert hatten. Was jetzt fehlte, waren Stühle.

Ich erinnere mich, wie mein Vater am nächsten Tag nach der Arbeit heim kam. Er trug in jeder Hand zwei Eimer.
Was ist das? fragte meine Mutter
Fürs erste unsere Stühle.

Mein Vater ging zu den Imbiss der sich direkt gegenüber befand und fragte nach leeren Joghurteimer. Diese brachte er dann heim. So saßen wir gemeinsam auf vier leere Joghurteimer um einer alten Schuhkommode und aßen zusammen zu Mittag. Der Tisch hatte auch eine Tischdecke, war sehr klein beziehungsweise rechteckig, aber ich weiß noch dass wir gelacht haben und glücklich waren.

Fortsetzung folgt…

30.01.2023 11:03 • x 17 #4


H
Im Nachhinein betrachtet war die Reise nach Deutschland wie ein Buch mit unendlich vielen leeren Blatt Papier, die sich mit der Zeit fühlten. Mit viel Freude und Glück, vielen sorgen und Trauer. Aber am Ende habe ich gelernt, dass nach jedem Sturm sich durch die Wolken wieder Sonnenstrahlen durchsetzen. Man muss nur Geduld haben, Hoffnung und Zuversicht.

Als mein Vater im Januar 1989 nach Deutschland kam, war seine Absicht eine feste Arbeitsstelle zu finden, ein Dach über dem Kopf für uns alle, und mich, meine Mutter und meine Schwester hierher zu holen. Er wollte für uns ein besseres Leben ohne finanzielle Sorgen. Er wollte nicht, dass meine Mutter jemals wieder Milch mit Wasser verdünnt, um uns Kinder zu versorgen.

Er schlenderte eines Sonntags durch die Fußgängerzone, den Kopf gesenkt und hörte Stimmen, die sich auf griechisch unterhielten. Er drehte sich um und sah, dass er sich vor einem italienischen Café befand. Durch die großen Glasfenster und Türen sah er mehrere Männer, die um einen Tisch herum saßen und sich über Politik unterhielten. Den Mut zusammengefasst ging er rein. Alles war voller Qualm, die Heizungen aufgedreht, Gläser, Tassen und Geschirr Geräusche kamen von überall.
Kalimera, sagte mein Vater, entschuldigt, ich bin kürzlich erst aus Griechenland gekommen und suche Arbeit. Kennt einer von euch jemanden, wo ich mich vorstellen kann?
Ein Mann stand auf und bat meinen Vater Platz zu nehmen.
Ich erinnere mich, wie mein Vater erzählte, das war das erste Mal in seinem Leben, als er einen Cappuccino getrunken hatte.

Die Männer arbeiteten offenbar alle in derselben Fabrik. Es war eine alte Gießerei mit sehr vielen Angestellten und die suchten tatsächlich Personal. Was für ein Glück.
Sie erklärten ihm, welchen Bus er an welcher Station nehmen müsse, bis wohin er fahren soll, und wie er sich beim Pförtner melden und was er sagen soll. So kam es auch am nächsten Tag zu.

Hallo, ich suchen Arbeit, sagte mein Vater zum Pförtner.
Wann können Sie anfangen?
Jetzt.
Dann kommen sie rein.

Und so unterschrieb mein Vater seinen Vertrag und fing am nächsten Tag seinen Job in der Gießerei an.

Fortsetzung folgt…

30.01.2023 11:40 • x 17 #5


H
Die Sommerferien dauerten noch an, und ich erinnere mich, dass es an diesen im Jahr 1989, ein ebenfalls sehr schöner Sommer war.

Ich spielte draußen in der Fußgängerzone, hüpfte von einem Rechteckstein auf den anderen und versuchte dabei die Balance zu halten. Mich klopfte jemand hinten auf den Rücken und als ich mich umdrehte stand dieser junge da. Unter seinem rechten Arm hielt er einen Fußball. Er lächelte mich an und fragte mich, ob ich mit ihm zusammen spielen möchte.
Ich schüttelte den Kopf und zeigte ihm, dass ich kein Wort verstehe von dem er spricht und hob meine Hände hoch zur Seite, um ihn das zu verdeutlichen. Das verstand er sofort, somit zeigte er auf seinen Ball und nickte lächelnd. Das tat ich auch und so, lernte ich meinen ersten besten Freund kennen. Sein Name war Mirko.

Mirko kam mit seiner Familie ein Jahr zuvor aus Italien. Sein Deutsch war gut nach einem Jahr Schule hier in Deutschland. Das hat mir bis zu meiner Einschulung sehr geholfen. Er lebte mit seiner Schwester -die zur besten Freundin meiner Schwester wurde- genau über uns auf der vierten Etage.
Ich erinnere mich, wie ich mich einige Zeit später im Alter von ca. 12 Jahren in sie verliebt hatte, und meinen allerersten Liebeskummer erlitt, weil sie meine Liebe nicht erwidert hatte.

Nun gingen die Sommerferien zu Ende, ich meine, es war Anfang September. Unsere Gesundheitsgrunduntersuchung hatte auch schon stattgefunden. Wie ein Schimpanse wurde ich nach Läuse durchsucht. Zum Glück wurde nichts gefunden. Die Einschulung kann beginnen.

Zu dieser Zeit gab es keine explizite Deutschkurse die man absolvieren müsste. Das System lief anders ab.
Man wurde in eine Klasse mit mehr als 25 Schülern eingeworfen, die absolut kein Deutsch können. Dort wurde auch Mathe und Englisch gemacht. Aber in den meisten Stunden war Deutsch das Unterrichtsfach. Ca. eineinhalb Jahre verbrachte ich dort, lernte sehr schnell die Sprache und gewann neue Freunde und Spielkameraden. Mein bester Freund ging leider auf einer anderen Schule, keine Ahnung warum meine Eltern mich bei dieser anmeldeten. Wahrscheinlich aufgrund von Empfehlungen von Bekannten.

Fortsetzung folgt…

30.01.2023 13:16 • x 12 #6


H
Meine Mutter ist und war immer eine sehr starke Frau. Im zarten Kindesalter und nach der Vollendung der fünften Klasse, musste sie die Schule abbrechen und arbeiten gehen. Der LKW von meinem Großvater musste abbezahlt werden, somit arbeiteten fast alle Familienmitglieder für die Familie. Alle, bis auf meine Großmutter. Sie sorgte für den Haushalt und dafür, dass eine warme Mahlzeit auf den Tisch kam.
Meine Mutter begann bei einem namhaften Unterwäsche-Unternehmen in der Näherei zu arbeiten und dort lernte sie später meinen Vater kennen.

Mein Vater hatte es noch schlimmer getroffen. Im Alter von zwölf Jahren trennten sich meine Großeltern und ließen sich scheiden. Da ging er in die sechste Klasse. Nach der Trennung ging sein jüngerer Bruder zu meiner Oma. Mein Opa, der bereits eine neue Frau kennengelernt hatte und eine neue Familie gründen wollte, nahm meinen Vater nicht auf. So flüchtete er und lebte die ersten Jahre auf der Straße, bis er mit 16 seine erste eigene Wohnung bezog. Er ging von Job zu Job. Fast täglich hatte er einen neuen.

Als er 18 Jahre alt war und eines Nachmittags spazieren ging, kam er an dieser Unterwäsche-Fabrik vorbei. Die Produktion war im Souterrain, durch die großen vergitterten Fenster konnte man von draußen die Arbeiterinnen sehen, die pausenlos nähten. Meine Mutter war zu diesen Zeitpunkt 14 Jahre alt, und da begann eine Liebesgeschichte, die vier Jahre geheim blieb. Tag für Tag holte mein Vater meine Mutter von der Arbeit ab und brachte sie 300 Meter weiter zum Hügel, wo sie hinauflaufen musste, um nach Hause zu gehen. Tag für Tag, bis sie vom Cousin meiner Mutter beim Knutschen in einer dunklen Ecke erwischt wurden.
Das war der Anfang unserer Familie!

Fortsetzung folgt…

30.01.2023 13:51 • x 12 #7


H
Im Dezember 1989, nachdem meine Mutter eine Vollzeitstelle als Putzfrau bei Karstadt ergattern konnte, kaufte mein Vater ein neues Auto. Sein Traum. Ein nagelneuer Audi 80, direkt von einem Audi Händler.
Ein deutsches Auto, darauf war er sehr stolz.

Ich erinnere mich an den Abend, als er mit dem Auto nach Hause kam, uns Kinder und meine Mutter, die nur einen Morgenmantel über ihr Nachthemd anhatte, schnappte und eine erste Spritztour durch die Stadt machte.
Papa, kannst du auf die Autobahn fahren, bitte…bettelte ich ihn an.
Nein, ich weiß nicht wie ich dann zurückfinden soll.
Es war für ihn ein Stich ins Herz als eines nachts an der Tür klingelte und die Polizei sagte, dass jemand in sein geliebtes Auto reingefahren war. Der Audi war nun Totalschaden. Der nächste allerdings begleitete uns 18 Jahre, und wir machten viele Urlaube damit in Griechenland.

So vergingen die Jahre. Meine Schwester und ich hatten viele Freunde gefunden, haben uns integriert und beherrschten die Sprache perfekt.

Jeden Sommer machten wir unseren Urlaub in Griechenland. Meine Eltern arbeiteten das ganze Jahr durch, ohne sich einen einzigen Tag krankzuschreiben und nahmen ihren kompletten Jahresurlaub von sechs Wochen in den Sommerferien. Damals war das noch möglich.

Ich erinnere mich, wie wir am letzten Schultag von der Schule kamen, mein Vater das Auto schon längst beladen hatte und wir direkt ins Auto sprangen, um 2300 km quer durch Europa zu fahren.

Ich erinnere mich, wie aufgeregt wir waren. Wie meine Mutter Essen und Trinken für die Reise gepackt hatte und meinen Vater ständig am Reden hielt, damit er nicht müde wird.

Man erwartete uns immer mit Anspannung. Meine Tante, mein Onkel, meine Cousine und Großeltern liefen die Veranda auf und ab und hielten nach uns Ausschau. Es gab keine Handys, womit wir hätten kurz anrufen können.

Es war eine Zeit, wo wir uns mit vier Mann an der Gelben Telefonzelle stellten, mehrere 5 Mark Stücken in der Hand hielten, um mit meinen Großeltern und Tante/Onkel zu telefonieren. Einer nach dem anderen kam dran und erzählte über das aufregende neue Leben hier in der neuen Heimat. Und mit Spannung und Neugier hörte man am anderen Ende zu.

Ich erinnere mich auch an die Zeit, wo jede Woche ein Brief mit mehreren Seiten verschickt worden ist, handschriftlich natürlich, und jedesmal so einer sehnsüchtig erwartet wurde.
Es war eine sehr schöne Zeit.

Fortsetzung folgt…

30.01.2023 14:31 • x 14 #8


H
Ich erinnere mich, dass sie in den ersten drei Jahren drei Jobs hatten. Es war undenkbar für meine Eltern, Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe zu beantragen. Selbst das Kindergeld hatten sie abgelehnt.
Für meine Kinder sorge ich selbst. Das braucht niemand anders tun… sagte mein Vater.

Morgens um halb vier standen sie gemeinsam auf und gingen dann eine Kneipe bei uns in der ehemaligen Passage, nach Ladenschluss putzen. Im Anschluss fuhr mein Vater in die Gießerei und meine Mutter zu Karstadt.
Am Abend um 22:00 Uhr, fuhren sie wieder gemeinsam zu einer griechischen Imbissbude, und putzen und reinigen alles bis 24 Uhr.
Der Mann und Besitzer des Ladens hieß Leonidas. Wie seine Frau hieß weiß ich leider nicht mehr. Das Paar wollte meine Eltern helfen auf die Beine zu kommen und vergab ihnen diesen Job für 10 Mark die Stunde. So, hatten ie auch als paar mehr Zeit, und Taten auch was gutes.

Bei Leonidas verdiente ich auch mein erstes Taschengeld, indem ich Pizzakartons hinten in der Küche faltete. Ich war 13 Jahre alt und bekam ganze 10 Mark für ein paar Stunden am Abend.

Ich weiß. Viele werden sagen, was für ein Ausbeuter. Aber ich bin ihm dankbar. Durch seine Hilfe schaffte ich mein erstes Geld zu verdienen, lernte was Arbeit bedeutet und dass es hart ist, 10 Mark zu verdienen. Er gab mir meine geliebte Currywurst zu essen, so viel ich will.

Am Ende des Abends kam ich nach Hause und mein Vater war stolz auf mich. Stolz, dass sein Sohn so selbstständig ist, und dass er freiwillig und ohne dass er gefragt wird, Leonidas bittet, ihm einen Job zu geben. So war es.
Darf ich auch für dich arbeiten?fragte ich ihn.
Möchtest du Pizzakartons fallen?fragte er mich.
OK!
Ich war so glücklich.

Arbeit und Fleiß ist das, was einen Mann am Leben hält, sagte mir immer mein Vater. Faulheit bringt ihn um. Tja, er hatte nicht ganz so Unrecht. Er war bis fast zum Schluss am arbeiten, selbst wo er in Rente war. Als er damit aufhörte, erkrankte er und starb. Aber dazu erzähle ich ein anderes mal was.

Fortsetzung folgt…

30.01.2023 16:52 • x 15 #9


Ema
Was für eine berührende Geschichte, Herakles!

Danke dafür!
Ich hoffe, es kommt noch mehr

30.01.2023 17:33 • x 7 #10


U
Hallo @Herakles,
ich lese mit Spannung deine Lebensgeschichte. Ich hoffe auf Fortsetzung. Vor allen Dingen die Beschreibung des Sommerurlaubs erinnert auch mich an meine Kindheit... So lange her.. Danke dir dafür...

30.01.2023 19:02 • x 6 #11


H
Der Winter von 1990-91 war mit großem Aufruhr versehen in unserer Familie. Mittlerweile hatten wir auch einen Festnetzanschluss und ein Telefon zuhause. So mussten wir nicht mehr nach draussen in die Kälte und uns den Hintern abfrieren beim Telefonieren.

Ich erinnere mich, wie mein Vater lautstark mit meinen Großvater (mütterlicherseits) telefonierte und den Satz aussprach: das kann ich nicht machen, wir sind doch selbst neu hier. Meine Mutter lief im Wohnzimmer auf und ab, ihre Hände hatte sie mal wie im Gebet vor die Brust, oder sie schlug sich die überm Kopf.

Mein Onkel (Bruder mütterlicherseits) war ein Nachzügler und somit nur 10 Jahre älter als ich. Er wurde als jüngster und einziger Sohn wie ein Prinz behandelt. Er hatte nie Konsequenzen erfahren und es kam wie es kommen musste.
Er geriet in die schiefe Bahn und im Alter von gerade mal 22 Jahren, steckte er so tief drin, dass mein Großvater keinen anderen Ausweg wusste als meinen Vater um Hilfe zu bitten.
Bitte Schwiegersohn, rette ihn. Nimm ihn zu dir nach Deutschland auf und zeige ihm den richtigen Weg des Lebens.

Vor meinen Augen spielt sich alles wie in Zeitlupe ab. Ich sehe wie meine Eltern sich darüber im Wohnzimmer streiten, wild gestikulieren, während ich auf dem frisch gereinigten Teppich sitze und mit meinen Autos spiele.

Ich erinnere mich, dass mein Vater wenig Zeit später mit meinem Onkel telefonierte und ihn fragte, ob er denn überhaupt vor hätte zu heiraten, eine Familie zu gründen.
Ja klar. antwortete er.

Der Freund meines Vaters war mittlerweile involviert. In einem griechischen Café trafen sie sich eines Sonntag morgens und mein Vater ließ seinen Kummer bei ihm raus.
Mach dir keine Sorgen. Ich kenne eine Familie in Köln. Dessen Tochter möchte gerne heiraten, geht aber selten aus und lernt niemanden kennen. Sie ist auch im Alter deines Schwagers. Wenn du möchtest, kann ich sie fragen und wenn sie ja sagt, könntest deine Frau und du da mal vorbeifahren.
Gesagt, getan, nahm alles seinen Lauf. Die Frau, die heute übrigens meine Tante ist, willigte ein, aber natürlich wollte sie ihn sehen, ob er ihr auch vom Optischen gefällt.
Im darauffolgenden Sommer 1991, machten wir unseren Urlaub in Griechenland.

Ich erinnere mich, wie mein Vater mit mir zu einem Elektrofachhandel fuhr und dort eine sehr teure Sony Videokamera kaufte. 1800 DM. Verdammt viel Geld zu dieser Zeit. Mit dieser Kamera machten wir im Sommer viele Videos von meinem Onkel, meine Großeltern und natürlich auch von unserem gemeinsamen Urlaub. Für die nächsten Jahre wurde diese Kamera mein ständiger Begleiter. Mein Vater hatte sie fast nie zur Hand.

Mein Onkel kam kurz darauf nach Deutschland, lernte sie kennen und sie verliebten sich tatsächlich. Kurz darauf wurde verlobt, geheiratet und heute haben die beiden vier tolle Kinder. Drei Jungs und ein Mädchen. Der älteste hat sich während seines Studiums selbstständig gemacht. Er gründete ein heute sehr erfolgreiches Werbeunternehmen, das bis heute ständig wächst. Man kann also sagen, gerade nochmal gut gegangen.

Fortsetzung folgt…

31.01.2023 03:02 • x 11 #12


H
Wir bestreiten das Jahr 1992. Es ging zum Sommer zu und dieser war für mich etwas ganz besonderes. Mein größtes Idol war im Land und auf großer Deutschland Tour. Sein Name war, Michael Jackson!

Die Dangerous World Tour war in vollem gange und als nächste Station war Köln angesagt. Das ist es. Das ist meine Chance. Ich muss Onkel dazu bringen mit mir dorthin zu gehen.dachte ich mir.

Ich erinnere mich wie ich ihn überreden konnte, aber dann einen wirklich entscheidenden Fehler beging.
Am darauffolgenden Wochenende wurde auf MTV ein Michael Jackson Weekend ausgestrahlt. Von Samstag bis Sonntag gab es nur Musikvideos, Interviews, Reportagen und Filme. Der Film Moonwalker lief bestimmt drei Mal.
Es gab aber auch Konzertausschnitte und die haben meinen Onkel seine Meinung ändern lassen. Er sah, wie die Fans alle ins Stadion liefen, ohnmächtig wurden und sich fast zerdrückten. Aus Angst, dass mir etwas passiert, hat er dann nein gesagt.

Ich erinnere mich aber an diesem Wochenende sehr genau. Ich saß auf dem Boden vor dem Fernseher und einmal schaute ich mit meinen Augen nach links zur Vitrine neben mir. Im Spiegelbild sah ich hinter mir meine Mutter, meinen Vater, meinen Onkel und meine Schwester, die alle verteilt auf dem Sofa saßen.
Keiner von ihnen sah in den Fernseher. Sie schauten mich an. Alle vier schauten mich an und lächelten.

Ich erinnere mich, obwohl mein Vater das Monopol über die Fernbedienung und das Programm hatte, überließ er mir dieses Wochenende. Ich war glücklich und das wiederum machte ihn glücklich.

Fortsetzung folgt…

31.01.2023 03:31 • x 10 #13


H
Meine Kindheit in Griechenland in den 80er Jahren war nicht einfach. Sie war sehr anstrengend und mit viel Gewalt versehen.

Ich erinnere mich, wo meine Mutter mich verdroschen hat, weil ich im Hochsommer ein wildfremden Mann fragte, ob ich an seinem Eis *beep* darf. Das muss 1984 gewesen sein. Luxus kannte ich nur von Freunden, Kinder gut betuchter Eltern. Wir hatten kein Nutella oder Schokolade. Es gab nicht täglich Fleisch und Eis nur im Sommer. Wenn es hochkommt, dann hatte ich vielleicht fünf Eis in den drei Monaten der Sommerferien. Wir waren arm und konnten uns nicht viel leisten.

Fleischwurst oder Aufstrich gab es selten. Es gab meistens selbstgemachte Marmelade oder Senf aufs Brot.
Ich erinnere mich, dass wenn ich etwas Süßes haben wollte, eine Scheibe Brot schnitt, sie dann unter Wasser hielt und anschließend mit ordentlich Zucker überstreute. Zur Not löffelte ich den Zucker pur, wenn kein Brot da war.

Ich erinnere mich, dass besonders die Zeit, die knapp über sieben Monate als mein Vater nach Deutschland kam 1989 besonders schlimm war für mich. Aber auch für meine Mutter, die sehr damit zu kämpfen hatte, alles zu managen.
Meine Großeltern (väterlicherseits) haben uns komplett verlassen und im Stich gelassen. Meine Schwester und ich waren gewohnt Schlüsselkinder zu sein und so ständig alleine.

Die Gewalt war überall präsent.
Ich erinnere mich, wie ich oft von meinem Lehrer raus in den Schulhof geschickt wurde, um mir vom Baum der Bestrafung -wie ich ihn nannte- meinen Zweig selbst auszusuchen, mit dem er mich im Anschluss geschlagen hat.

Ich erinnere mich an den Verein, in dem ich angemeldet war. Es war akrobatische Sportgymnastik. Tägliches Training von 19-22 Uhr. Unsere Trainerin kam aus Russland und sollte den Sport in Griechenland populär machen.
Ich erinnere mich, wie Sie mich mit Gummischläuchen ausgepeitscht haben, mit harten Sandalen und Stöcken. Jeden Tag, fünf Jahre lang.

Ich erinnere mich an die griechischen Meisterschaften 1988, wo ich die Silbermedaille gewann und im Anschluss in der Umkleidekabine verprügelt wurde, weil ich kein Gold holte.

Aber ich kann mich an kein Lob erinnern als ich ein Jahr später in Athen die Goldmedaille verliehen bekam. Mein Vater war leider nicht dabei. Er war schon längst in Deutschland und drei Monate später kamen wir nach.

Fortsetzung folgt…

31.01.2023 04:29 • x 10 #14


H
Nach Abschluss dieses aufregenden Sommers und meines 14ten Geburtstags kam der Herbst und ich ging oft mit Freunden in einen Sozialen Treffpunkt für Jugendliche. Er nannte sich Haus der Jugend.

Ich erinnere mich, dass ab und zu dort am Wochenende Diskoabende gemacht wurden. Der Eintritt war ab 14 Jahren und kostete 4 DM. Wir mussten zwar um 22 Uhr wieder raus als 14 jährige, aber es war eine tolle Abwechslung und die ersten Schritte ins jugendliche Dasein.

Ich erinnere mich, dass ich nach einem solchen Abend die Disco um 22 Uhr verlassen hatte. Ich schlenderte so den Bürgersteig entlang in Richtung Heimat, als ich plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung einen heftigen und brutalen Fußtritt von der Seite ins Gesicht bekam.
Ich fiel rückwärts zu Boden und schlug mit meinem Hinterkopf auf den Bürgersteig auf. Mit meiner rechten Hand hielt ich in mein Gesicht und sah das viele Blut, dann kam ein weiter Tritt von links mit dem linken Fuß eines anderen Mannes. Es war so, als würde er gegen einen Fußball treten. Plötzlich kamen noch mehr und ich schützte nur noch meinen Kopf mit meinen Armen, drehte mich zur Seite und rollte mich zusammen.

Das reicht, lasst uns abhauen. hörte ich einen sagen.
Ich hörte sie weglaufen und ich raffte mich auf die Knie, den Körper nach vorne gebeugt, meine Hände auf den Asphalt und aus meinem Gesicht lief das Blut runter zum Boden. Dabei drehte ich meinen Kopf in die Richtung, in der sie wegliefen. Es waren vier Jugendliche, um die 18-20 Jahre alt. Sie bogen in die nächste Gasse, doch der letzte blieb kurz davor stehen und drehte sich zu mir um.
Ich erinnere mich wie er lachte, schaute mir in die Augen und zeigte mit den Finger auf mich. Ich kannte sie nicht. Weder ihn noch die anderen.
Aber wer hätte gedacht, dass das Stehenbleiben in diesem Moment, das sich umdrehen und sein Gesicht preisgeben, eine schicksalhafte Begegnung, vier Jahre danach haben würde. Er konnte nicht ahnen, dass er dafür vier Jahre danach mit fast gleicher Münze für seine Tat bezahlen würde.

Ich erinnere mich daran, wie ich versuchte aufzustehen. Mein Kopf und mein Gesicht waren mit Wunden übersät und ich konnte mein Gleichgewicht nicht mehr halten.

Ich erinnere mich daran, wie mein Vater in dieser Nacht, nachdem er mich so gesehen hat losfuhr und fast die ganze Nacht nach diesen Jugendlichen suchte. Leider erfolglos. Diese Nacht brachte mich dazu, im Alter von 14 Jahren mit Kampfsport zu beginnen.

Mein damaliger Kumpel, genauso alt wie ich, ging seit kurzem in einem Verein die Kickboxen unterrichteten. Also sprach ich ihn an und einen Tag später hatten die auch Training.

Ich erinnere mich an diese Sporthalle.
Bleib hier stehen und warte auf mich. Ich gehe mich eben umziehen. Da drüben, siehst den Mann dort? Das ist der Trainer.

Ich blieb also stehen, bis kurze Zeit später der Trainer auf mich zukam.
Chiao, ich bin Luciano und wer bist du?
Herakles. Ich bin mit Arkadius hier. Ich wollte mir das mal anschauen.
Willst du direkt mitmachen, hast du sportsachen mit?
Nein leider nicht. Ich habe auch keine Boxhandschuhe.
Zieh deine Schuhe und deine Socken aus und folge mir. Du bekommst alles von mir.
Und so begann ich in diesen Verein und blieb für die nächsten drei Jahre.

Fortsetzung folgt…

31.01.2023 05:55 • x 11 #15


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