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Es war einmal - Ich erinnere mich!

H
Zitat von Heizlok:
Jetzt weiß ich warum es in den 2000-ern im Bergischen Dreieck bei meinem besten Kumpel nur Altbier gab, der Grieche und seine Freunde haben alles ...

Vermutlich

22.02.2023 09:35 • x 1 #91


H
Ich erinnere mich, wie die Zeit verging, Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr.
Meine alten Kontakte brach ich ab, keine Dr., Alk. nur im normalen Rahmen und Unternehmungen ohne Nadine fanden immer seltener statt. Trotzdem behielt ich immer noch meine kleine Wohnung, als Sicherheit sozusagen eine kleine Hintertür, um nicht wieder von vorne anzufangen, falls etwas passiert.

Dasselbe galt auch für mein Auto. Mittlerweile hatte ich einen Mitsubishi Eclipse, einen Sportcoupe und Blickfänger.
Hinten hatte er nur zwei Notsitze, aber ich war so ein Idiot, ich wollte einfach nicht einsehen, dass dieser Wagen für einen Pampersbomber weichen muss. Dass die wilden Zeiten nun vorbei sind. Ich habe in meinem jungen Alter schon genug erlebt, genug gesehen, es reicht. Irgendwie wollte das immer noch nicht in meinen Schädel rein.

Ich erinnere mich an einen Samstagabend im Dezember 2003. Nadine und ich liegen gemütlich auf der Couch, die große spielt in ihrem Zimmer und die Kleine steht an der Seite vom Wohnzimmertisch und ist am malen auf einem Blatt Papier. Plötzlich springt Nadine auf und sagt erschrocken:
Oh mein Gott, ich glaube das Kind hat Mumms.
Ich hatte keine Ahnung, was das ist, drehte mich um und die kleine hatte eine Tennisball große Schwellung an der rechten Seite ihres Halses. Sie griff zum Hörer und rief ihre Schwester an, damit sie vorbeikommt, um auf die große aufzupassen. Sie wohnte praktisch nebenan. Die ganze Familie wohnte in der Umgebung. Währenddessen schnappte ich mir das Kind und ging mit ihr ins Krankenhaus in die Notaufnahme.
Es war ein Abszess, der sich gebildet hat, und er war vereitert. Eine OP musste gemacht werden und ein 10 tägiger Krankenhausaufenthalt war vonnöten.

Ich erinnere mich, wie ich an dem Tag nach der OP in den Aufwachraum ging und meine kleine 2-jährige Tochter da lag, umgeben von Schläuchen und Geräten, die Töne machten. Die Kleine lag fast seitlich, dabei atmete sie einmal schwer auf und ein raues, tiefes Geräusch kam aus ihrem Mund. Mein Herz blieb fast stehen. Ich hatte solche Angst, Angst, mein Kind zu verlieren. Sie so zu sehen, nichts tun zu können. So gerne würde ich allen Schmerz und Leid auf mich nehmen.

Ich muss sie absichern dachte ich. Damit meinte ich Nadine und die Mädels.
Noch am selben Abend fuhr ich nach Hause, davor holte ich die Große ab.
Ist Wolfgang in der Garage? fragte ich Nadines Mutter.
Ja, er müsste drüben sein, muss du mal gucken.
Ich ging mit meiner Tochter zusammen in Richtung Garage.
Wenn du möchtest, kannst du noch ein wenig Fahrrad fahren. Ich muss noch kurz mit dem Opa reden.
Die große düste los und holte ihr Fahrrad, gleichzeitig sah mich Wolfgang und rief:
Willst du ein B.?
Ja, auf jeden Fall.
Wie ist die OP verlaufen? fragte er.
Die Ärzte haben gesagt, es ist alles gut verlaufen, sie wird wieder. Pass auf, ich möchte dir etwas sagen und auch wenn du was dagegen hast, akzeptiere es einfach okay?
Wolfgang hielt für einen Moment inne, und fragte mich dann, was los sei.
Ich werde Nadine heiraten!

Fortsetzung folgt…

23.02.2023 02:04 • x 15 #92


A


Es war einmal - Ich erinnere mich!

x 3


Gorch_Fock
Wieder sehr spannend erzählt und geschrieben, Herakles. Gerne mehr aus Deinem Leben. Und wie immer auch ein tolles Zeitdokument.
Wohnungen, die man quasi sofort anmieten konnte und auch wenn der grüne Mannschaftswagen vor der Tür nicht schön war, ein Rechtsstaat mit den notwendigen Kapazitäten zur Strafverfolgung. Die Polizeipräsenz in der Öffentlichkeit war - und das wird Herakles als sportlicher Fahrer sicher bestätigen können - in den 90ern noch signifikant höher als heute.

23.02.2023 05:24 • x 8 #93


H
@Gorch_Fock Danke

23.02.2023 05:36 • x 1 #94


K
Herakles war die Mutter von Nadine nun freundlicher zu dir gewesen?
Hattet ihr euch mal ausgesprochen?

Hast du es geschafft und wenn ja wie, der Mutter zu verzeihen, dir das erste Kind vorenthalten zu haben?

Natürlich bestehe ich nicht auf die Beantwortung der Fragen. Nur wenn du magst und sich das für dich gut anfühlt.

Ich bin nur wenige Jahre älter als du und kann mich an ähnliche Geschichten noch gut erinnern.
Wie verzweifelt die Väter waren. Einer war damals ein guter Kumpel von mir gewesen.
Wir verloren uns erst aus den Augen, als wir in unseren 30ern waren.

Er hatte es nie überwunden, dass er keinen Kontakt zu seiner Kleinen haben durfte. War unfähig gewesen sich neu zu verlieben oder sich gar eine Familie aufzubauen. Sein Ersatz wurde der Job.

23.02.2023 07:10 • x 6 #95


H
@Karenberg Ja, tatsächlich war es so. Ich erzähle es im Laufe der Geschichte. Sie wurde schwer krank.

Guten Morgen erstmal

23.02.2023 07:32 • x 3 #96


K
Zitat von Herakles:
Guten Morgen erstmal

Guten Morgen
Zitat von Herakles:
Ich erzähle es im Laufe der Geschichte.


Freu mich drauf.

23.02.2023 07:46 • x 1 #97


H
Der Dezember 2003 brachte nicht nur gute und erfreuliche Neuigkeiten mit sich, wie zum Beispiel die bevorstehende Hochzeit von Nadine und mir. Nachdem ich es meinem Schwiegervater sagte, mussten auch meine Eltern davon erfahren.

Genau an diesem Vormittag flog meine Mutter nach Griechenland. Aber aus keinem erfreulichen Anlass. Ihre Mutter, meine Großmutter, die so geweint hat, als wir 1989 aufbrachen, um nach Deutschland auszuwandern, lag im Sterben. Am nächsten Tag, genau ein Tag nach der OP und als ich beschloss Nadine zu heiraten, starb sie. Sie hat meine Mutter noch einmal gesehen, meine Mutter sie und dann hat sie ihre Augen für immer verschlossen und ist zu meinen Großvater gegangen.

Ich erinnere mich, was für ein riesiges Machoschwein ich gewesen bin. Mein Pflichtbewusstsein dass plötzlich da war in allen Ehren, aber hatte ich da nicht noch jemanden vergessen zu fragen, ob sie überhaupt will? Genau, Nadine!

Einen Tag später ging ich nach der Arbeit zu meinen Vater der momentan alleine war und wollte mit ihm sprechen bezüglich meiner angehenden Hochzeit. Wir setzten uns zusammen an den Tisch und er berichtete mir, dass meine Großmutter Tod war, ich wusste nicht, wie ich mich fühlen soll. Auf der einen Trauer um den Tod meiner Oma, Freude über mein Glück, Angst um meine Tochter.

Papa, ich muss dir etwas sagen. Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, aber ich kann es nicht geheim halten.
Ihr alle wart gegen unsere Beziehung, ohne uns je gesagt zu haben warum. Nie habt ihr mir einen vernünftigen Grund gegeben, sie hat euch nichts getan.
Ich werde Nadine im kommenden Jahr heiraten. Entweder ihr seid dabei, oder ich werde euch für immer verlassen. Ich liebe diese Frau, und ich will sie heiraten.

Mein Vater schaute mich für einen Moment an und legte dann seine Gabel neben seinen Teller. Nachdem er aufgestanden ist um sich ein Wasser zu holen, sagte er:
Ok, nachdem du gegessen hast, fährst du nach Hause. Ich werde es deiner Mutter sagen.

Wie gesagt, ich war der unromantischste Typ, den ich selbst je gesehen habe. So was von selbstüberschätzt, ja schon fast Arrogant kann man sagen, dass ich dachte, Nadine würde ja sagen, 100%. Schämen tue ich mich wenn ich zurückdenke und kann nicht aufhören mit dem Kopf zu schütteln.

Ich erinnere mich, wie wir aus dem Krankenhaus zusammen mit meiner Tochter nach Hause fuhren. Zuhause hatte ich alles vorbereitet und die Große wartete mit meiner Schwiegermutter bei uns.
Als wir ankamen, machte Nadine im Schlafzimmer die Klamotten zurecht und ich ging von hinten auf sie zu.

Ahm, ich habe mit deinem Vater geredet.
Worüber? fragte sie mich.
Über uns, und dass ich dich heiraten will.
Nadine schaute mich mit großen Augen an. Sie erinnerte sich, dass das Thema Heiraten schon mal beiläufig aufkam und ich sagte, ich werde niemals heiraten.
Ich denke, du willst niemals heiraten.
Ja, aber jetzt will ich es. Ich liebe dich und ich finde wir sollten heiraten.

Nicht dass ich zufällig einen Ring besorgt hätte, auf die Knie gefallen, mir etwas besonderes auszudenken. Ach, wo denkt ihr hin?

Was ist mit deinen Eltern? fragte sie mich.
Die wissen es.
Okay, dann lass uns heiraten. Wann denn überhaupt?
Man merkte, wie Nadine kämpfte, um nicht loszuheulen. Heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob es Freudentränen waren. Vielleicht eher, weil sie sich so einen Esel wie mich hat aufbinden lassen.

Mein Vater berichtete meiner Mutter über die Neuigkeiten und sie freute sich, obwohl gerade ihre eigene verstorben ist.
Zurück aus Griechenland, kam sie mit vollen Taschen. Klamotten für die Kinder, oh mein Gott. Aber warum nicht schon vorher? Warum mussten so viele Jahre vergehen? Sei es drum, das ist Vergangenheit. dachte ich mir.

Ich erinnere mich, dass danach alles sehr schnell ging. Ich kündigte meine Wohnung und zog zu Nadine, wir machten beim Standesamt einen Termin für Juni aus, und der Bürokratie Krieg begann, mit viel lauferei zwischen griechischen und deutschen Behörden, hin und her Übersetzungen und eine Menge mehr.

Achja, Schatz….?!sagte sie
Ja, was denn?
Was ist eigentlich mit dem Auto? Willst du den Coupe behalten?

Fortsetzung folgt…

25.02.2023 03:04 • x 16 #98


H
Der Tag unserer Hochzeit am 09.06.2004, war nicht nur für uns etwas Besonderes. Unsere Hochzeitsfeier, die drei Tage später stattfand, begann mit einem Ereignis, das für das komplette griechische Volk in Erinnerung bleiben würde. Griechenland schrieb in diesem Sommer Geschichte und ganz Europa fiebert mit.

Am 12.06.2004, saßen bei mir im Wohnzimmer meine Frau, mein Trauzeuge, mein Schwager und ich. Wir sind alle fertig angezogen, um zu unserer Hochzeitsfeier zu fahren. Aber es ging noch nicht, wir mussten noch auf etwas warten. Der Schlusspfiff!

Das Eröffnungsspiel bei der Fußball Europameisterschaft, Portugal gegen Griechenland!
Alle Gäste warteten und als Griechenland dann dieses Spiel mit 2:1 gewann, fuhren wir los. Durch das gehupe der Fans, fiel unseres wegen der Hochzeit nicht auf.

Ich erinnere mich, dass alle meine guten Freunde bei meiner Hochzeit anwesend waren. An einem Bild, das gemacht wurde, und somit in Erinnerung blieb.
Wir saßen alle an einer langen Tafel, ich war in der Mitte. Alle im schwarzen Anzug, weißem Hemd, Krawatte. Alle eine Zigarre in den Mund, andere hielten sie in der Hand, manche sahen auf dem Bild so aus, als würden sie sich fröhlich unterhalten, andere lachen einfach nur.
Ich habe meine Arme links und rechts weit ausgestreckt, die Zigare im Mund und grinse. Mein Kopf ist nach hinten gestreckt, als würde ich mir die Decke anschauen, doch meine Augen sind geschlossen.
Es war eine sehr schöne Feier.

Ich erinnere mich, als zwei Wochen später Otto Rehhagel die griechische Nationalmannschaft ins Finale geführt hat, mit keiner geringeren Mannschaft wie Portugal. Eröffnungsspiel gleich Endspiel.

Ich erinnere mich, wie Nadine und ich im Wohnzimmer getobt haben, als wir gewannen, wir sprangen und jubelten.
Ich nahm meinen Helm, warf meine griechische Frage um den Hals, stieg auf mein Motorrad und fuhr hupend in die Innenstadt, wo 1000de Menschen, Griechen, Portugiesen und Deutsche feierten. Die ganze Nacht über.

Ich erinnere mich außerdem dass ich meinen Coupe verkauft und einen Kombi gekauft hatte. Als Ausgleich schuf ich mir ein Motorrad an, eine Suzuki GSX-R, scharfes Ding muss ich sagen. Es war eine schöne, aber auch kurze Zeit.

Ich erinnere mich an unsere anschließenden Urlaub in Griechenland. Nadine wollte unbedingt Kirchlich heiraten, aber es gab da ein Problem. Sie ist nicht getauft. Also, ab nach Griechenland in den Urlaub und dort machen wir alles zusammen. Meine Schwiegereltern waren eingeladen, aber nur mein Schwiegervater kam mit. Meine Schwiegermutter wurde schwer MS krank, hatte Epilepsie mit ständigen Anfällen und zwei Schlaganfälle bereits hinter sich. Somit blieb sie hier.

Haben die überhaupt so ein großes Becken für Erwachsene?fragte ich meine Tante.
Das weiß ich nicht, wir müssen erstmal einen Priester finden. Ich weiß nicht wie das läuft wenn sich eine 25jährige taufen lässt.

Tatsächlich gibt es große Becken, und wer den Film My big fat Greek Wedding kennt, das ist praktisch meine Familie.

Der Sommer verging und mein Schwiegervater, der bei uns wohnte, hat unseren Urlaub bewusst durchtrieben. Er meckerte über alles und jeden, war ständig betrunken, zog über alles, aber auch wirklich alles und jeden her und hatte nie, nie ein gutes Wort rausgelassen. In der kompletten Zeit nicht. Nadine und ich waren stinksauer und froh das er nach zwei Wochen endlich wieder nach Deutschland zurückflog und wir somit die letzten zwei gemeinsam verbringen konnten.

Pass auf, es reicht mir. Ich weiß das ist dein Vater. Aber wenn wir zurück sind, möchte ich ihn nach diesem nicht mehr sehen. Du kannst machen was du willst. Er kann auch zu uns kommen, ich will nur nicht dabei sein.

In der Nacht, als wir aus dem Flughafen zurückkamen, nahm ich den Schlüssel von der Garage, die er mir als Reserve hinterlegt hatte, und warf ihn in seinen Briefkasten. Dann war erstmal fast zwei Jahre Funkstille zwischen uns. Er hat in meinem Leben zu viel angerichtet, dafür reichen die Zeilen hier nicht aus, um alles niederzuschreiben.

Mir reichte es einfach, genug!

Fortsetzung folgt…

25.02.2023 03:55 • x 15 #99


H
Ich erinnere mich, wie wir vom Urlaub im Sommer 2005 zurückkamen und uns ernsthaft überlegten, noch ein drittes Kind zu zeugen. Wir waren sehr glücklich, sind zusammen in eine neue und größere Wohnung gezogen, und ich konnte uns mit einen zwar kleinen Gehalt, trotzdem durchdringen.
Mit dem Geld was wir auf unserer Hochzeit gesammelt haben, konnten wir uns einen schönen Jahreswagen kaufen. Das Motorrad war bereits verkauft und ich wurde sesshaft.
Was meinst du, sollen wir es wagen? fragte sie mich.
Vielleicht kriegen wir dieses Mal einen Jungen hin. sagte ich und wir fingen an zu lachen.
Wenige Zeit später war es so weit und Nadine wurde schwanger.

Ich erinnere mich an einen Morgen, an dem Nadine zum Arzt musste. Es ging um die Schwangerschaft.
Ich war auf der Arbeit und sie rief mich im Anschluss an.
Und, erzähl. Was hat der Arzt gesagt, geht es euch gut?
Ja,...den beiden geht's gut.antwortete sie und ich hatte es nicht direkt geschnallt also:
Gut, wenn es euch beiden gut geht, geht es mir auch.
Nee, nee, uns dreien meinst du.
Ich habe es immer noch nicht begriffen.
Ich verstehe nicht, was meinst du damit?
Es sind Zwillinge!

Ich erinnere mich, dass ich direkt hoch in die Kantine ging und für den nächsten morgen vier große Tabletts mit belegten Brötchen bestellte, für das komplette Lager. So ein Glück kann ich nicht haben. Aber eine Frage beschäftigte mich doch.
Was ist, wenn es beide Mädchen sind?

Die Schwangerschaft war anstrengend. Nadine hatte viele Probleme und wir mussten oft ins Krankenhaus. Ihre wehen begannen schon im 6ten Monat, sie hatte Wassereinlagerungen in den Beinen, sehr viele Schmerzen und wir hatten Angst, die Zwillinge zu verlieren.
Irgendwann erfuhren wir, dass es Junge und Mädchen werden. Ich gebe zu, ich war sehr beruhigt. Aber die Kleine wollte und wollte sich nicht drehen, somit wurde anstatt eine normale Geburt ein Kaiserschnitt durchgeführt.

Ich erinnere mich an die Zeit, als die Zwillinge auf die Welt kamen. Es war eine organisatorische Meisterleistung mit vier kleinen Kindern alles zu regeln und zu managen. Es gab aber ein Riesenproblem, oder besser gesagt, eine Menge Riesenprobleme.

Im Auto passten wir nicht mehr alle rein, wir brauchten zwei Betten, zwei Maxicosi, ein Zwillingskinderwagen, also alles doppelt. Wie soll ich das machen? Die Wohnung ist dann jetzt auch zu klein, denn mit Zwillingen haben wir nicht gerechnet.
Mit einem Gehalt von 1400 Euro Nettoeinkommen, eine sechsköpfige Familie zu ernähren, war ein Ding der Unmöglichkeit. Heute sage ich, das hattest du dir selbst so ausgesucht Herakles, also musstest du so oder so dadurch.

Ich erinnere mich, als ich eines Tages auf Maria traf. Maria war die Frau eines griechischen und gut laufenden Restaurantbesitzers. Das komplette Haus, inklusive Lokal, gehörte Ihnen. Eine Dachgeschosswohnung wäre frei und wir könnten sie haben. Vier Zimmer, über zwei Etagen, und mir würde sie die Wohnung für 600 Euro inklusive Nebenkosten vermieten, damit wir auf die Beine kommen. Es war eine sehr nette Familie, die uns viel geholfen hat. Das Geld hatten sie nicht nötig, und die Wohnung könnte an jemand anderes für viel mehr vermietet werden.

Herakles, hast du schon mal gekellnert?
Nein, leider noch nicht.
Mein Mann sucht jemanden fürs Wochenende, Freitag bis Sonntag. Ihr würdet praktisch hier oben wohnen und du unten arbeiten. Falls Nadine Hilfe bräuchte, könntest du jederzeit hoch. sagte sie.
Das Geld könnte ich auf jeden Fall gut gebrauchen.
Ja, dann gehe du runter und sprich mit meinem Mann. Nadine und ich klären hier oben den Rest. Und so tat ich es auch.

Hallo, ich bin Herakles. Wir sind wegen der Wohnung oben zur Besichtigung da.
Ah, hallo Herakles, ich bin Giorgo, setz dich ruhig.

Und so begann ich meinen zweitjob als Kellner, ohne je einen freien Tag zu haben, meine Frau richtig zur Hand gehen zu können, sie zu entlasten, sie mich entlasten, an uns zu denken. Wir haben beide nur noch funktioniert.

Fortsetzung folgt…

25.02.2023 06:23 • x 17 #100


H
Ich erinnere mich, dass es uns mit der Zeit immer besser ging. Nadine hatte viele Freundschaften in der Nachbarschaft geschlossen und war mittlerweile super organisiert.
Ich wiederum bekam kaum etwas von den Kindern mit, war total überlastet, besonders als ich täglich anfing im Restaurant zu arbeiten.

Der Grund war, dass es, bevor es besser wurde, ging es uns noch weitaus schlimmer.
Ihr Bruder, den wir für einige Zeit bei uns aufnahmen, hatte uns in große Schwierigkeiten gebracht, an denen wir für viele Jahre zu knabbern hatten.

Er bestellte sich auf meines Frau Namen alles mögliche an elektrischen Geräten, sehr teuren Sachen, Schmuck und vieles mehr, ließ es bei uns morgens anliefern, -war ja keiner da- und verkaufte die Sachen bei An und Verkauf Läden, oder bei Kollegen und Bekannten.
Bis wir dahinter gekommen sind -er entwendete irgendwann den Briefkasten Schlüssel von Nadines Schlüsselbund und machte ihn nach- war es zu spät. Da war er verschwunden.

Es kamen Briefe, Rechnungen, Anwaltsschreiben, Gericht Vorladungen, Konto-Sperrungen, die wir uns nicht erklären konnten und wir um 10 Euro kämpfen mussten. Es war eine ganz schlimme Zeit und ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie ich deshalb oft Leergut weggebracht habe, um eine Packung billig Nudeln und Ketchup zu kaufen, damit die Kinder etwas zu essen hatten. Und wie oft ich damals nur Rinderbrühe getrunken habe, weil nicht viel da war. Aber ich kannte es aus meiner Kindheit, den Hunger, den Durst und ich wollte nicht, dass die Kinder dasselbe erfahren. Ich wollte nicht als Vater versagen, nicht als Ehemann, der zu nichts taugt und seiner Familie nichts bieten kann.
So ging ich morgens in die Firma bis nachmittags, dann zuhause umziehen und bis um Mitternacht ins Lokal. Jeden Tag!

Die Schulden, die er uns machte, waren mit Anwälten und allem drum und dran, bei über 30000 Euro. Insolvenz! Wurde uns geraten. Dafür war ich zu stolz, also zahlte ich jeden Cent ab. Heute denke ich anders darüber. Viel wäre uns erspart geblieben, viel früher hätten wir zu uns gefunden.

Ich erinnere mich an einen Abend, es war Samstag und ich ging vom Lokal hoch nach Hause. Es müsste nach Mitternacht gewesen sein und ich wollte nur noch duschen, etwas Fernsehen und dann ab ins Bett. Ich weiß noch, wie ich ferngesehen habe und dass ich nur vorhatte, ihn auszuschalten, um ins Bett zu gehen. Mehr ist mir nicht in Erinnerung geblieben. Ich bin wohl zusammengebrochen und meine Frau fand mich morgens bewusstlos auf den Fußboden. RTW, ab ins Krankenhaus, zwei Nächte geblieben, Diagnose war Überlastung.
Ein Job muss weg. sagte meine Frau.
Und wie sollen wir das stemmen? fragte ich.
Wieso ziehen wir nicht ins Haus deiner Eltern? Die Dachgeschosswohnung ist frei, und da wird es bestimmt einfacher sein. So könnte ich auch etwas arbeiten.

Okay, dann kündige ich in der Firma. Der Gastronomie Job macht mir mehr Spaß.

Fortsetzung folgt…

26.02.2023 08:16 • x 14 #101


AlfN
@Herakles wow, toll geschrieben! Du solltest wirklich mal über ein Buch nachdenken...

26.02.2023 10:17 • x 6 #102


Emma14
Zitat von AlfN:
@Herakles wow, toll geschrieben! Du solltest wirklich mal über ein Buch nachdenken...

Könnte auch auch Drehbuch für eine spannende Serie sein.

26.02.2023 13:27 • x 6 #103


H
Ich erinnere mich an die Zeit des Umzugs. Es war sehr schwierig, denn zu dieser Zeit waren alle im Urlaub und ich hatte niemanden zu Hilfe. Mein Vater lag zu dem Zeitpunkt mit einem Bandscheibenvorfall flach und konnte somit nicht mit anpacken.

Da unser Auto, der Kombi, für sechs Personen nicht ausreichte, kauften wir uns einen Van. Es war ein schwarzer Ford Galaxy, ein 7 Sitzer. Der Vorteil war, dass man alle Sitze herausnehmen konnte und so eine riesige Ladefläche schaffte.

Der Umzug dauerte ungefähr drei Wochen. Jeden Tag fuhr ich Sachen und Möbel rüber zur neuen Wohnung, alles alleine, bis der letzte Tag kam und die Bude so aussah als wäre nichts weg.
Wo kommen die ganzen Klamotten her? Keller muss ich auch noch machen! dachte ich mir.

Ich erinnere mich dass ich mir einen Tag Urlaub nahm und morgens früh, so gegen acht anfing wieder Klamotten und Möbel zu transportieren. Die Sackkarre hatte nach diesen Umzug ihr letztes Lebenszeichen gelassen. Ich werde sie für immer vermissen.

Es war so circa 21 Uhr als mein Handy klingelte.
Herakles, wie geht's dir, Junge? Wir sind gerade in Solingen angekommen. Ich trage unsere Koffer in die Wohnung und danach wollte ich ein Frappé trinken gehen. Kommst du mit?
Mein Kumpel ist in diesem Augenblick aus Griechenland wieder zurückgekommen und war der Meinung ich wäre mit dem Umzug schon seit über zwei Wochen fertig.
Nein Mann. Ich bin immer noch beim Umzug dran. Ich bin total kaputt.
Wie jetzt? Ich baue die Sitze aus und komme zu dir.

Ich erinnere mich, dass er auch einen Van hatte. Mein Kumpel hatte 2300km Fahrt hinter sich und kam vorbei, um mir zu helfen. Bis um zwei in der Nacht hat es gedauert, aber wir haben alles, wirklich alles leer gemacht und transportiert.

Ich erinnere mich, dass es ab da nur noch bergauf ging. Ich baute den Dachboden selbständig aus, renovierte die Wohnung komplett, wir hatten einen riesigen Garten für uns, unsere Freunde und die Kinder, und wir hatten Hilfe. Hilfe, die sehr wichtig war, um Zeit auch für uns zu haben und zu genießen.

Ich erinnere mich an viele schöne Zeiten, den Abbau der Schulden, den Zusammenhalt, die fröhlichen Ostertage im Garten, viele Urlaube, die wir mit unserem Ford Galaxy gemacht haben.
Egal ob Griechenland oder Holland, die Nordsee oder einfach mal einen Tagesausflug. Wenn dieses Auto hätte sprechen können, oh mein Gott. Was würde es schimpfen und alles erzählen.

Fortsetzung folgt…

03.03.2023 07:23 • x 10 #104


H
Ich erinnere mich an den April 2013.
Nadine und ich beschlossen, uns einen Hund anzuschaffen. Da ich ein Boxer-Fan war und immer noch bin, schauten wir bei verschiedenen Züchter vorbei und da war er. Sein Name -er wurde vom Züchter gegeben- war Duster.

Ich will den, und zeigte mit dem Finger auf dem Foto, keinen anderen.
Sollen wir nicht noch schauen?
Nein Schatz, es muss Er sein, Er hat mich gerade ausgesucht.
Wir telefonierten mit der Züchterin und machten alles aus, zwecks Abholung und so weiter, Termin, Uhrzeit, alles war geplant. Nur das Schicksal hatte mit mir wie so oft in meinem leben, andere Pläne.
Ich habe manchmal das Gefühl, es seien alles Prüfungen. Ich wüsste gern, wie viele noch kommen, aber das werden wir wohl alle nie erfahren.

Ich erinnere mich an den Tag wo ich den Welpen abholen wollte und das Nadine und ich alles vorbereitet hatten. Wir waren sehr aufgeregt, ein unfassbar schönes Gefühl.
Mist, sagte ich als ich vor unser Auto stand das darf doch nicht wahr sein. Der Reifen ist platt.
Ich hatte keine Zeit den zu wechseln, also ging ich wieder ins Haus zu meinen Eltern, die im Erdgeschoss wohnten.
Papa, ich brauche dein Auto, mein Reifen ist platt.
Nimm, die Schlüssel sind auf der Kommode und der Fahrzeugschein im Handschuhfach.
Um unseren 10 wöchigen alten Duster abzuholen, mussten wir 240km fahren, also war Endspurt angesagt.

Ich erinnere mich, wie wir auf der Autobahn, ungefähr 100km von zuhause entfernt, das Auto an Leistung verlor und ich es gerade noch so schaffe auf einem Rastplatz, bevor es immer ausging. Der Audi A4 von meinem Vater erlitt einen Motorschaden und ging an diesem Tag für immer von uns.
Na toll. Und wie sollen wir jetzt den Hund holen oder wieder zurückkommen? fragte Nadine, die ziemlich genervt war.
Lass mich kurz nachdenken, mir fällt schon was ein.

Zuallererst rief ich die Züchterin an und sagte was passiert ist, aber ich werde auf jeden Fall den Hund abholen. Ich wusste nur noch nicht, wie. Im Anschluss rief ich den Pannendienst, um das Auto in die nächste Werkstatt zu fahren.
Ich habs, dachte ich mir.

Ich erinnere mich, wie ich meinen Kumpel anrief und ihm mein Problem schilderte.
Mach dir keine Sorgen Herakles. Ich komme zu dir auf den Rastplatz, fahre sofort los. Sag den Pannendienst, er solle warten, falls er vor mir da ist. Dann bringen wir das Auto weg und im Anschluss holen wir den Hund.

Gesagt, getan, kamen wir endlich an. Da war der Kleine zusammen mit seinen Geschwistern, seiner Mama und seinem Papa.

Ich erinnere mich, wie er zu uns nach Hause das allererste Mal hinher lief und alles beschnüffelte, schwanzwedelnd durch die ganze Wohnung. Und wie ich ihn um taufte, von Duster, auf Spike.

Fortsetzung folgt…

03.03.2023 07:23 • x 14 #105


A


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