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Es war einmal - Ich erinnere mich!

H
Ich erinnere mich an den Herbst Ende Oktober 1993.
Meine Freunde und ich hatten einen Treffpunkt, an dem wir uns täglich trafen. Dieser war immer im selben Park. Jeden Tag und zu verschiedenen Zeiten kamen wir dort zusammen. Wir brauchten uns nicht anrufen, entweder waren wir da oder eben nicht.

An diesem Abend erinnere ich mich sehr genau. Es war ungefähr 18 Uhr, wir saßen wie üblich auf den Reifenschaukeln und unterhielten uns. Mein ständiger Begleiter war der Walkman und ich muss ehrlich zugeben, ich war ein ziemlicher Aufreißer geworden. Obwohl ich im Vergleich zu meinen anderen kumpels viel kleiner war, konnte ich die Mädels irgendwie immer beeindrucken. Die meisten von den Jungs waren auch gar nicht so weit. Ich war mit meinen 15 Jahren relativ früh dran sagen wir mal.

Ich erinnere mich, dass es an diesen Abend sehr windig war. Ich hatte mir mit meinem Geld aus dem Schülerpraktikum als Gas und Wasserinstallateur eine Schwarze Lederjacke und ein paar andere Klamotten gekauft. Es war Samstag und ich war gut angezogen. Blaue Jeans, Schwarzweisse Reebok's und schwarzen Levis pullover.
Wir waren alle da, was so nicht immer vorkommt. Alle, bis auf Sandra.

Ich glaube, Sandra kommt heute nicht, sagte ein Kumpel, sollen wir weiterziehen? Ich zuckte mit den Schultern und schaute nach links. Dort befand sich der Eingang und somit der Weg in den Park.

Ist sie das? fragte ich und streckte mich nach oben, um ein besseren Blick zu haben.
Ja, das ist sie, sagt mein Kumpel, aber wer die, die dabei ist?
Keine Ahnung, kenn ich nicht!

Das Mädel hatte blonde Haare, eine schwarze Windbreaker Jacke, schwarze Jeans und schwarze Turnschuhe. Durch ihr blasses Gesicht könnte sie als Grufti durchgehen, wären da nicht die blonde Haare.

Hi, ich bin der Herakles, wer bist du?
Nadine.
Und wie alt bist du Nadine?
14, und du?
Ich bin 15.

Ich erinnere mich sehr genau an meine erste Begegnung mit Nadine.
Aber ob und wie es weitergegangen ist, oder weiter bestand hat, tja, das meine lieben, ist eine ganz andere Liebesgeschichte und ein ganz anderes Kapitel in meinem Leben, dass ich euch vielleicht, irgendwann mal erzählen werde.

Ende

31.01.2023 06:25 • x 27 #16


M
Total schön️hätte noch mehr aus deiner Kindheit lesen wollen. Danke dafür

31.01.2023 15:13 • x 3 #17


A


Es war einmal - Ich erinnere mich!

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H
Nachwort

Die Erinnerungen aus meiner Kindheit, die geprägt waren mit schönen und schlechten Momenten, der Umzug nach Deutschland, die Hürden und aber auch die Hilfe die uns entgegen stellte, haben mich zu der Überzeugung gebracht, dass ich ohne diese heute mit meinen 44 Jahren, nicht der Mann wäre der ich jetzt bin.

Ich habe diese Zeilen geschrieben, um zu zeigen, was für ein Mann mein Vater tatsächlich war. Natürlich hat er auch sehr viele Fehler in seinem Leben gemacht, die Einfluss auf die ganze Familie hatten. Schlechte Entscheidungen getroffen, sich daneben benommen und auch oft egoistisch gehandelt.

Genau aus diesem Grund habe ich diese Zeilen geschrieben, weil wir Menschen oft dazu neigen, uns nur an das schlechte zu erinnern und das Gute nur als nebenbei, oder selbstverständlich zu betrachten.

Ich habe mir bewusst diese Erinnerungen wieder hervorgerufen, um meinen Respekt und meine Anerkennung für meinen Vater zu zeigen. Ein Mann, der trotz seiner ganzen Fehler und Macken fast immer als allererstes an seine Frau und seine Kinder dachte. Und so wie wir alle, war auch er ein Mensch mit all seinen Facetten.

Ich habe gelernt, dass das Leben, ja das komplette Leben ein einziger Kompromiss ist. Ein Kompromiss mit anderen Menschen, Tiere, Natur. Alles, was wir tun, hat Auswirkungen auf andere. Vollkommen egal ob es um die Reise nach Deutschland geht, oder meine erste Begegnung mit Nadine.

Ich bin davon überzeugt, und das ist meine ganz eigene Überzeugung, dass wenn der Mensch stirbt, nie ganz weggeht. Ich glaube, die größte Angst wäre für mich, vergessen zu werden. Vergessen zu werden stellt einen Gedanken der Einsamkeit und des Verloren seins für mich dar.

Vater, diese Zeilen, Texte, waren/sind für dich gewidmet. Ich bin mir sicher, dass du sie liest und dass deine Seele endlich Ruhe findet.

Ich erinnere mich, als ich am Samstag, den 28.01.2023 und einen Tag nach dem Tod meines Vaters zu meiner Mutter gefahren bin. Ich spürte die ganze Zeit seine Präsenz. Sei es von mir unterbewusst oder eingebildet, konnte ich es fühlen, dass er da war.
Ich setzte mich an seinem Platz an der Ecke von der Couch, wo auch die kleine Kuhle von ihm ist. Beim Hinsetzen überkam mich ein ganz besonderer Schauer am Rücken. Er zog sich hoch bis über meinen Nacken und es fühlte sich an, als wären wir für einen kurzen Moment eins.
Ein paar Tränen schossen sofort aus meinen Augen und ich musste auf sein Bild neben der Kantilla schauen. Für eine Sekunde bekam ich Schnappatmung und da wusste ich: Du bist hier…

01.02.2023 09:52 • x 32 #18


Sentimentalo
Danke Herakles, du hast uns eine wunderbare Geschichte erzählt!

Davon wie wir werden was wir sind, was uns prägt. Wir hoffen natürlich alle, dass auch etwas von uns in dieser Welt bleibt....

04.02.2023 08:12 • x 7 #19


H
Zitat von Sentimentalo:
Danke Herakles, du hast uns eine wunderbare Geschichte erzählt!

Vielen Dank. Das Schreiben tut mir gut und sobald es mir besser geht, werde ich weiterschreiben.

04.02.2023 12:40 • x 7 #20


H
Hey, weisst du noch damals…?

Der Winter 1993 war sehr kalt.
Ich erinnere mich, dass die Weihnachtsferien begonnen hatten und wir ständig nach einem Ort suchten, um uns aufzuwärmen.
Ich konnte Nadine immer noch nicht für mich gewinnen und so langsam fing ich an zu verzweifeln. Immerhin versuchte ich es bereits seit zwei Monaten.

Das neue Amtsgericht und dessen Bau, den die Stadt zu dieser Zeit errichtete, war in vollem Gange und von außen schon fast fertig. Bauzäune, Schotter, Paletten mit Pflastersteinen waren innerhalb des Zauns überall verteilt.
Mit ein paar meinen Freunden suchten wir uns einen Weg durch den Zaun und gingen zur Eingangstür. Natürlich war sie von außen verschlossen, aber das Fenster daneben auf Kipp. Wir schafften es, es zu öffnen, gingen hinein und öffneten die Tür, so dass die komplette Clique rein konnte.
Mein erster Hausfriedensbruch hat somit stattgefunden.

Ich erinnere mich, dass wir immer etwa 10-15 Leute waren. Das Gebäude innen war warm, allerdings noch im Rohbau. Überall lagen Kabel und Baustellen Zeug herum, Heizungen liefen, aber Strom war natürlich nicht vorhanden.
Wir teilten uns auf in zwei Gruppen und spielten Verstecken, was für unser Alter nur in so einem riesigen und dunklen Gebäude Spaß machen konnte.
Ich ergriff die Chance und wählte Nadine in meine Gruppe. Im Keller des Hauses befanden sich die Arrestzellen und lange Rede kurzer Sinn, dort nutzte ich die Chance Nadine in eine dunkle Ecke zu ziehen und, naja, den Rest, könnt ihr euch ja denken. Ab diesem Moment waren wir zusammen.

Wir verbrachten fast die kompletten Winterferien auf diese Art und Weise. An jedem Abend gingen wir in das Gebäude, teilten uns in zwei Gruppen und liefen in verschiedene Richtungen. Eben nur fast die kompletten Winterferien, bis wir eines Tages die Blaulichter mit mehreren Einsatzwagen auf der Hauptverkehrsstrasse sahen und die Polizeibeamten mit Taschenlampen auf den Haupteingang steuerten. Wir ergriffen sofort die Flucht, vom Hintereingang raus durch den dunklen Park.
Ich erinnere mich, wie ich hingefallen bin und mir dabei den Knöchel verstauchte. Meine beiden Freunde, Johann und Markus schnappten mich und schleppten mich die Wiese entlang weiter, bis zum Kellereingang eines Hauses, wo einer von uns wohnte. Dort verbrachten wir fast die ganze Nacht. Natürlich sind wir nie wieder in das Gebäude reingegangen. Nach diesem Abend wurde ein Security eingestellt.

Fortsetzung folgt…

09.02.2023 06:04 • x 11 #21


H
Hey, weisst du noch damals…?

Die Zeit mit Nadine damals war einfach klasse. Wir genossen jeden Moment den wir gemeinsam verbringen konnten und waren bis über beide Ohren verliebt.

Ich erinnere mich, dass ihre Eltern zwar geschieden, aber trotzdem sich wieder zusammengefunden haben, wenn man das so sagen darf. Die waren beide nicht so gut auf mich zu sprechen, was für mich damals nicht zu erklären war. Später erfuhr ich dass es aufgrund meiner Nationalität war, leider.

Der Sommer von 1994 war durch ein traumatisches Erlebnis befallen.
An diesem Abend fuhren zwei meiner besten Freunde und ich nach Köln. Wie das in dem Alter so ist, wollten wir ein wenig feiern und dampf ablassen.
Irgendwann, mitten in der Nacht, fuhren wir zum Fühlinger See und gingen auf die Brücke. Einer meiner Freunde setzte sich auf das Brückengeländer, um sich im Anschluss eine zu rauchen. Dabei verlor er das Gleichgewicht und fiel hinunter. Wir eilten hin und hörten nur das aufplatschen im Wasser. Es war dunkel, sehr dunkel und ständig riefen wir seinen Namen.
Nichts kam zurück. Außer unsere Rufe nach ihm und nach Hilfe, war es Toten still.

Ertrinken ist ein stiller Tod. Während der Ertrinkende versucht nach Hilfe zu schreien, füllen sich seine Lungen immer mehr und mehr mit Wasser.
Mein Freund konnte nicht schwimmen, das wusste ich nicht. Ein paar Tage später fand man seine Leiche.

Ich erinnere mich, dass es viele Jahre gedauert hat, bis ich einigermaßen darüber hinweg kam. Sehr lange gab ich mir die Schuld, ich hätte hinterherspringen müssen, ihn vielleicht nicht aufs Geländer lassen sollen.

Bei der Beerdigung waren wir alle da. Wir alle nahmen Abschied, Abschied von einem Jungen, der so liebenswert war, ein toller Sohn, Bruder und Freund.
Abschied, von einem Kind!

Fortsetzung folgt…

11.02.2023 08:36 • x 12 #22


H
Hey, weisst du noch damals…?


Ich erinnere mich, dass Nadine und ich, trotz der Gegenspiele ihrer Eltern, keine Sekunde verloren haben, um uns zu sehen. Wir nutzten jede Sekunde aus und es ging unsere clique langsam auf die Nerven. Egal wo wir waren, verschwanden wir ständig für eine Zeit. Wir konnten einfach die Finger nicht voneinander lassen.
Leider, und das passiert oft wenn Kinder nicht vernünftig aufgeklärt werden, hatten wir sehr oft nicht verhütet und es kam wie es kommen musste.

Ich erinnere mich an den Winter 1994.
Es lag Schnee an dem Tag und viele Busse waren ausgefallen. Es ist Dezember und Samstag Abend. Ich traf Nadine auf einem Spielplatz bei ihr in der Nähe.
Hi, du bist spät dran…
Die Busse fielen aus. Ich bin die Hälfte der Strecke zu Fuß gelaufen, um nicht zu erfrieren..
Ich muss mit dir reden, und dabei fing sie an zu weinen, ich bin schwanger.
Ich weiß nicht warum mich das wie ein Hammerschlag traf. Was hatte ich oder wir erwartet? Es war doch klar dass es irgendwann nicht gut ausgeht.

Ich erinnere mich und ich gestehe meinen Egoismus, den ich damals hatte, dass mein erster Gedanke war, Wie sage ich es meinen Eltern?
Nadine war zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt, ich war 16.
Was machen wir jetzt? Fragte ich und Nadine zuckte in diesen Moment mit den Schultern.

Ich erinnere mich wie ich sie im Anschluss in den Arm nahm, ihr ich liebe dich sagte und sie sich auf meine Schultern ausweinte. Ich weiß noch wieviel Angst ich in diesem Moment hatte, eine regelrechte Panik und dass 1000 Gedanken und Szenarien sich in meinen Kopf bildeten. Alle Szenarien, die sich möglicherweise abspielen könnten. Es kam allerdings mit der Zeit noch schlimmer, doch das erfährt ihr im Laufe meiner Geschichte.

Die erste die ich einweihte, war meine Schwester. Sie ist nur eineinhalb jahre älter als ich und ich hatte schon immer eine sehr gute Verbindung zu ihr. Bis heute ist diese ungebrochen. Meine Schwester ist für mich das liebste und engste Familienmitglied, mehr sogar als meine eigenen Eltern.
Meine Schwester war natürlich schockiert und fragte genauso wie ich, was wir jetzt machen sollen. Keine Ahnung, sagte ich zu ihr, meine Angst war riesengroß.
Wie soll ich mit 16, sie mit 15 so eine Verantwortung übernehmen.
Heute sage ich zu meinen alten ich,
Tja lieber Herakles, das hättest du dir früher überlegen müssen.

Es gibt ja das Sprichwort was ungefähr sagt, dass wer S. hat, muss auch mit der anschließenden Verantwortung und Konsequenzen umgehen können.
Heute und durch meine Erfahrungen die ich im Anschluss machen musste, die sich zum Teil sogar wiederholten und ich oft aus meinen Fehlern nicht direkt gelernt hatte sondern oft erst beim zweiten Anlauf, weiss ich für mich und das nahm ich im weiteren Leben nach Jahren als devise:

Jeder Schw…kann Kinder in die Welt setzen, aber nur ein Mann weiss, wie er seine Kinder erzieht!

Fortsetzung folgt…

11.02.2023 09:26 • x 16 #23


T
Vielen Dank für deine sehr spannende und bewegende Lebensgeschichte, @Herakles.
Und mein aufrichtiges Beileid zum Tod deines Vaters. Wenn ein Elternteil geht, verändert sich die Welt für immer. Auch ich hoffe, dass diejenigen, die gegangen sind auf irgendeine Weise noch bei uns sind. Ihre Liebe begleitet uns in jedem Fall ein Leben lang.

11.02.2023 11:31 • x 4 #24


M
Danke dafür Herakles,
Hat mich in meine Kinder/Jugendzeit zurückgeschleudert
Zwar von der anderen Seite aber ich habe soviel warme Erinnerungen-danke

11.02.2023 13:27 • x 3 #25


BrokenHeart
Zitat von Herakles:
Nadine war zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt, ich war 16.

Ist sie Deine jetzige Frau?

12.02.2023 02:31 • x 2 #26


H
Zitat von BrokenHeart:
Ist sie Deine jetzige Frau?

Ja

12.02.2023 02:32 • x 4 #27


BrokenHeart
Zitat von Herakles:
Ja

Respekt, Hut ab .....

12.02.2023 02:33 • x 5 #28


Amyontour
Lieber Herakles, ich habe Gänsehaut am ganzen Körper…
Vielen Dank

12.02.2023 04:06 • x 3 #29


M
Bin neugierig, wie es weiter geht

12.02.2023 09:55 • x 3 #30


A


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