Ich weiß gar nicht genau, ob ich Hilfe suche oder das einfach auch alles mal aufschreiben muss.
Meine sehr lange Trauergeschichte kann vermutlich ohnehin niemand nachvollziehen, weil ich mich zu sehr verrannt habe.
Als ich 16 war, hatte ich meine erste richtige Beziehung mit einem Mädchen aus einer Parallelklasse. Es war das erste Mal, dass ich mich so richtige habe fallen lassen und wir haben alle die Sachen gemacht, die so eine erste Beziehung besonders machen. Den ersten S., das erste Mal Ich liebe dich sagen.
Die ersten Monate waren zuckersüß, leider habe ich irgendwann angefangen alles zu versauen. Ich war zu der Zeit sehr unsicher und habe das mit Prahlerei und schlechtem Verhalten übertüncht. Habe unter anderem eine andere geküsst und hab sie wirklich nicht gut behandelt. Die Beziehung lief noch ein paar Monate weiter, bis sich zwischen einem meiner damaligen Kumpel und ihr etwas anbahnte. Ich war mir ihrer Liebe einfach zu sicher und hab sie so am Ende verloren. Die beiden waren nach einer kurzen Übergangsphase zusammen und ich war am Boden zerstört. Ich war zu nichts mehr in der Lage und musste (weil wir den gleichen Freundeskreis hatten) die beiden zusammen sehen. Ich musste so noch ein Schuljahr überstehen, wonach sich unsere Wege endgültig trennten.
Das ist alles inzwischen 18 Jahre her.
Ich habe bis heute keinen Kontakt mehr zu jemandem von damals und bin selbst in einer langen und glücklichen Beziehung.
Trotzdem kriege ich diese Frau nicht aus meinem Kopf, bis heute checke ich regelmäßig ihre Social-Media-Accounts und auch wenn es Phasen gibt, in denen ich kaum an sie denke, falle ich nach eine paar Monaten immer wieder zurück. Es ist nicht mal, dass ich sie zurückwill, es ist fast eher so, dass ich mich so sehr dafür schäme, wie ich damals war, dass ich es irgendwie wiedergutmachen will (was natürlich nicht möglich ist) oder eben ihr einfach zeigen will, dass ich heute anders bin. Was im Endeffekt weder ihr noch mir etwas bringt. Und sie wird es vor allem sicher gar nicht interessieren. Warum sollte es auch?
Ich komme einfach nicht aus diesem Gedanken-Karussell heraus. Entweder ich ertrinke ich Schuldgefühlen und der Trauer des verlassen worden seins oder ich ersticke die Erinnerungen durch Träumereien, wie ich damals alles anders gemacht hätte oder erfinde Vorstellungen von fiktiven Klassentreffen, bei denen wir uns noch einmal richtig aussprechen.
Es gibt diesen Song von Tocotronic Ich möchte irgendwas für dich sein und für mich trifft es das vermutlich am besten. Ich will nicht nur dieser Idiot sein, an den sie ihre erste Liebe verschwendet hat.
Ich weiß, es lässt sich nichts mehr daran ändern und ich habe mich durch diese Beziehung und den Schmerz definitiv verändert.
Ich bin erfolgreich im Beruf, habe einen stabilen Freundeskreis und lebe mit meiner Freundin (seit 12 Jahren) zusammen.
Und ich bin mir ziemlich sicher, dass all das nicht so passiert wäre, wenn mich diese Erfahrung nicht auch angetrieben hätte, mich zu verändern und mehr aus mir zu machen.
Und hier kommt vielleicht noch ein zweiter Knackpunkt. Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob ich nicht unterbewusst versuche mein Leben so zu leben, dass sie (falls sich mich mal googelt oder auf Social-Media sucht) sieht, dass ich heute anders bin. Wenn man eine Denkfigur des Psychoanalytikers Jacques Lacan verwenden möchte, ist sie so etwas wie mein Großer Anderer eine Art innere Überwachungsinstanz, die wir uns einbilden (das macht eigentlich jeder, aber nicht so). Ich weiß natürlich, dass das völlig verrückt ist, aber ich kann es nicht ändern und ja ich bin nebenbei auch psychotherapeutischer Behandlung.
Ich weiß auch, dass ich mir eigentlich nur selber verzeihen muss, aber ich kann einfach nicht. Das Ganze ist inzwischen so sehr in meine Identität übergegangen, dass ich nicht weiß, wie viel Ich ohne diese Sache noch übrig ist.
Sie scheint, soweit man das aus der Ferne beurteilen kann, übrigens auch in einer glücklichen Beziehung so sein, was mich ehrlich freut. Ich scheine dagegen ein Gefangener meiner Erinnerungen zu bleiben und bis ans Ende bei jedem Gedanken an sie die Tränen zurückhalten müssen.
09.12.2022 14:29 •
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