Liebe Aua-Liese,
hier schreibt dir jemand, der die Goldmedaille in der Disziplin 'Festhalten'
hat.
Um mich auf einen Mann zu beschränken, mit dem ich das durch habe: Jahrelang habe ich geglaubt, dass ich nur wieder glücklich werden kann, wenn das Leben, Karma oder meinetwegen Gott ihm mal so einen richtigen Dämpfer verpasst. Es war unerträglich für mich, mitanzusehen, wie gut es ihm ging, finanziell, gesellschaftlich und gesundheitlich, während ich ein Häufchen Elend war, das ganz bei null anfangen musste und eigentlich kein Leben mehr hatte - während er sich fast allabendlich mit Freunden traf, war es für mich schon ein Erfolg, wenn ich rechtzeitig meine Briefpost erledigt habe.
Ganz schlimme Zeiten waren das.
Und ich konnte eben nicht einfach den Kontakt abbrechen und einen Haken hinter machen. Nach vorne schauen ging einfach nicht, weil mein Blick ja festgestellt war in seine Richtung!
Was vor
mir lag, interessierte mich ganz einfach nicht. Ich war festgebissen, Kiefersperre, meine Erlösung sah ich darin, dass er, genau wie ich, auf die Schn... fällt.
Und das passierte eben nicht. Im Gegenteil - es wurde immer besser für ihn und immer schlechter für mich. Ich fühlte mich vom Schicksal verraten.
Zitat von Aua-Liese: er war tatsächlich ganz freundlich und sanft, weil es ihm gut geht. Mir nicht.
Die Lernaufgabe ist, so glaube ich es mittlerweile: Es sich gutgehen lassen, unabhängig von ihm. Dass es einem egal wird, ob er weiß, wie es einem geht.
Solange man sich gut fühlen will, um es
ihm zu zeigen, wie gut es einem (wieder) geht, damit
er sich darüber ärgert, solange geht es einem nicht gut.
Kann es auch gar nicht, weil die Hoffnung darauf, dass jemand sich ärgert, nichts Gutes ist.
Aber wie gesagt - ich konnte das jahrelang nicht akzeptieren. Bzw. nicht vollständig.
Es war immer vom Gefühl her so bei 90 Prozent Akzeptanz. Es müssen aber 100 Prozent sein. Weil die fehlenden 10 Prozent einem alles regelmäßig kaputt machen.
Zitat von Aua-Liese: Meine Güte, hätte ich ihn doch nie getroffen.
Ja, das habe ich mir auch oft gewünscht. Und ihm auch. Hab oft gedacht, dass er meine Liebe überhaupt nicht verdient hat.
Das war aber auch so ein beschränktes Denken- wir alle wissen ja, dass Liebe ein Geschenk ist und man das ganz freiwillig gibt. Und überhaupt, die Sonne scheint über Gerechte und Ungerechte.
Versuche, die Begegnung mit ihm als Teil deines Lebens zu akzeptieren. Wenn du Jahre später zurück blickst und auf dich, wie es dir geht und was für ein Mensch du bist, dann wirst du es ganz klar sehen, wofür diese Erfahrung war.
(Ausgenommen Gewaltbeziehungen, da ist nichts Gutes dran, das ist ja selbstverständlich.)
So blöd das klingt, aber was du jetzt wegen ihm durchmachst, ist dein Weg hin zu dir.
Du wirst ankommen, wenn nicht heute, dann morgen und wenn nicht morgen, dann eines Tages.
Zitat von Aua-Liese: Mit 51 Jahren habe ich das Gefühl es wird nie wieder gut, das war's und fühle mich so alt und aussortiert.
Ja, das gehört dazu und du kannst da jetzt nur versuchen, durch dieses Dorngestrüpp durchzukommen.
Jeder neue Tag, an dem du atmend aufwachst, ist aber der Beweis, dass du nicht aussortiert wurdest. Und, dass du aus einem ganz bestimmten Grund hier auf dieser Welt, in diesem Leben bist.
Niemals dürfen wir uns von einem anderen Menschen aussortieren lassen. Das sind einfach nur andere Mitmenschen, die ihrerseits genug eigene Probleme hatten, haben und haben werden. Unabhängig von einem selbst.
Jeder muss für sich selbst seinen Platz auf dieser Welt finden, da ist niemand, der einen an die Hand nimmt und einem zeigt, wo der ist. Leider. Oder nicht leider? Eher 'zum Glück '?
Zitat von Aua-Liese: Wie habt ihr raus gefunden aus diesem Tal?
In Wirklichkeit war es all die Jahre kein Kampf gegen ihn, auch wenn ich das stets so empfunden habe. Was hatte ich einen Groll auf ihn.
Aber im Grunde war es ein Kampf, den ich, mit seiner Unterstützung, gegen mich selbst führte. Gegen mein Weiterkommen, mein Glücklichwerden. Paradox, weil ich ja eigentlich wollte, dass es mir wieder gutgeht. Ich wollte aus dem Tal heraus. Aber die 10% in mir wollten im sicheren Tal sitzen bleiben.
Somit habe ich eigentlich gar nichts Besonderes gemacht. Ich kann nur rückblickend sagen, dass es wohl kein einzelner Aha- Moment war, sondern eine Art Metamorphose.
Irgendwann merkt man, dass es wieder gut ist. So ein bisschen wie nach einer Krankheit. Auf einmal stellt man fest, dass der elende Dauerschnupfen weg ist.
Und dann kann man sich nicht mehr erklären, warum man noch vor einiger Zeit geschluchzt hat, weil es dem Ex so gut ging und man selbst so litt. Aber damals hatte es eben seine Berechtigung. Sämtliche Seinszustände, Gefühle, Abgründe oder Stimmungen haben ihre Berechtigung in den jeweiligen Zeiten. Davon bin ich überzeugt.
Es wird der Tag kommen, an dem du bereit dazu bist, loszulassen. Es ist kein Tal, aus dem du ächzend herausklettern musst unter enormer Kraftanstrengung. Es ist eine Tür, die dir solange offensteht, bis du eines Tages hindurchgehst. Du bist jederzeit willkommen und es ist vollkommen in Ordnung, jetzt noch nicht zu können. Nimm dir die Zeit, die du für deinen Weg zur Tür brauchst. Du kannst nichts falsch machen. Du bist gut so, wie du bist. Immer.