Lieber @KäptnNemo!
Nach längerem Überlegen habe ich nun beschlossen, mich hier anzumelden um dir hier in deinem Thread zu schreiben. Ich habe wirklich lange nachgedacht, ob ich hier etwas schreiben soll. Es wirkt mit Sicherheit sehr merkwürdig, da hier noch nie etwas geschrieben habe, kein eigenes Thema habe und mich nun tatsächlich extra dafür angemeldet habe. Aber du und dein Thema gehen mir seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf und daher wollte ich es nun wagen.
Ich möchte vorneweg noch kurz etwas erklären:
Ich habe alle deine Beiträge in diesem Thread gelesen (allerdings nach ein paar Seiten kaum noch Beiträge von anderen Mitgliedern, da der Faden eine gewisse Eigendynamik entwickelt hat, die mich sehr erschreckt hat). Außerdem habe ich auch nur diesen Thread von dir gelesen, auch wenn du nach eigener Aussage schon vorher hier unterwegs warst. Ich selbst habe dieses Forum vor ein paar Wochen gefunden und habe still ein paar Themen gelesen und bin dadurch vor einer Woche auch auf dein Thema gestoßen. Daher hätte ich auch gar nicht früher irgend etwas zu deinem Thema schreiben können.
Ich kenne dich nicht, habe beim Lesen dieses Threads aber ein paar Parallelen entdeckt, die ich von mir so kenne. Zum Beispiel:
- Grübeln, im Gedankenkarussell seine Runden zu drehen bis einem schlecht wird
- Entscheidungen hinterfragen, die man bereits getroffen hat (weil man die „richtige“ Entscheidung treffen will und nur das Beste will)
- Nachts nicht schlafen können, obwohl man todmüde ist
- Dinge am liebsten mit sich selbst auszumachen
- Sich schuldig fühlen obwohl man es nicht ist
- Sich für Dinge verantwortlich zu fühlen für die man nicht verantwortlich ist
- Ungeduldig sein, sich selbst Druck machen
- Sich nicht sicher fühlen aufgrund der Dinge die du erlebt hast (hattest du irgendwo mal angedeutet. Verzeih mir, wenn ich es doch falsch in Erinnerung habe).
Warum schreibe ich dir jetzt?
Ich wollte dir in erster Linie sagen, dass du ein ganz wundervoller Mensch bist. Was du erlebt hast, hat kein Mensch verdient. Ich konnte es teilweise gar nicht fassen und es hat mich unendlich traurig gemacht. Aber du hast es durchgestanden und ich bin wahnsinnig beeindruckt von dir und deiner mentalen Stärke (ja, die hast du. Ich glaube nicht, dass es viele Menschen gibt, die das so durchgestanden hätten ohne zusammenzubrechen). Sei stolz auf dich! Du hast meinen allergrößten Respekt, wie du diese Situation gemeistert hast und vor allem, dass du das Wohl deiner Tochter immer in den Vordergrund gestellt hast. Du hast in meinen Augen alles getan, was dir möglich war um ihr zu helfen durch diese Situation zu kommen. Mit ihr reden (ganz wichtig meiner Meinung nach), ihr Sicherheit geben, ihr Möglichkeiten zu geben Dinge zu verarbeiten (sei es durch einen Psychologen oder das Tagebuch) usw.
Ich bin bei der ziemlich üblen Scheidung meiner Eltern ein wenig unter die Räder geraten und hätte mir damals gewünscht, dass vielleicht nur ab und zu mal einer so gedacht hätte, wie du es die ganze Zeit über getan hast. Ich kann aber auch dazu sagen, dass ich nach der Scheidung meiner Eltern bei meinem Vater gelebt habe und heute, nachdem diese ganze Nummer schon lange durch ist, weiß, dass mein Vater immer für mich da sein wird. Er ist (neben meinem Ehemann) der wichtigste Mensch in meinem Legen. Du hast deiner Tochter dieses Gefühl schon von Anfang an gegeben und das ist meiner Meinung nach eins der wertvollsten Dinge, die man seinen Kindern mitgeben kann. Wie gesagt, ich finde du bist ein toller Vater!
Eine Sache möchte ich nun doch noch ansprechen, weil ich dir damit helfen will. Ich hoffe, dass ich damit nicht ein neues Gedankenkarussell bei dir anstoße oder dich in neue Grübeleien stürze. Das würde mir sehr leid tun und soll auch nicht meine Absicht sein. Außerdem verstehe ich auch, dass du da nun einen Haken dran machen willst und das alles hinter dir lassen willst. Es ist nur allzu verständlich.
Bei den ganzen Dingen, die dir passiert sind (und vor allem in einem so kurzen Zeitraum), kann ich mir kaum vorstellen, dass du da emotional alles verarbeiten konntest. Ich habe das jetzt so verstanden, dass du eine Therapie machst. Das finde ich sehr gut und ich denke, das ist auch notwendig. Viele Dinge, die du aktuell beschrieben hast (Schlafstörungen, Panikattacken, Grübelzwänge) bedürfen meiner Meinung nach professioneller Hilfe. Und es ist auch wichtig, dass du da auf dich schaust und dich mit den Dingen auseinander setzt. Denn im Endeffekt kannst du auch nicht für deine Tochter da sein, wenn du selbst irgendwann zusammenklappst. Bitte mach dir da jetzt aber keinen Druck. Es geht nur in dem Rahmen, den du selbst als für angemessen hältst und den du in Form einer Therapie auch mittragen kannst. So wie du es angedeutet hast, gibt es bei dir ja ein paar Baustellen. Nicht nur die Erlebnisse der letzten Monate, auch das was da früher in Bezug auf deine Eltern gewesen ist. Du hattest ja damals anscheinend auch schon einmal eine Therapie begonnen (hatte ich so irgendwo rausgelesen), diese dann aber nicht beendet.
Ich möchte dir nur aus eigener Erfahrung einen Rat mit auf den Weg geben. Dein Umzug wird ja über kurz oder lang passieren und ich hatte das auch so verstanden, dass es dann etwas weiter weg sein wird. Ich denke, dass ist nun, nachdem alles ausgestanden ist, auch das Beste für dich und deine Tochter. Es wird dir dann mit Sicherheit auch besser gehen, wenn du nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich das Geschehene hinter dir lassen kannst.
Aber.. und da kommt das große Aber. Diese ganzen Emotionen und Dinge, die passiert sind, sie sind nicht weg. Du wirst sie vielleicht nicht mehr so direkt spüren wegen der räumlichen und zeitlichen Distanz, aber sie gehören zu dir und sie werden mit dir mitgehen. Wenn du dir also nach dem Umzug ein schönes und neues Leben aufgebaut hast, und das wünsche ich dir wirklich von ganzem Herzen, dann vergiss bitte nicht die Therapie an neuer Stelle fortzuführen oder vielleicht nach einer Pause wieder anzufangen. Ansonsten kann es gut möglich sein, dass dir das alles irgendwann wieder um die Ohren fliegt. Mir ist es nämlich leider genau so ergangen. Ich habe nach einem Umzug (der aus heutiger Sicht das Beste war, das mir damals passieren konnte) auch meine laufende Therapie nicht fortgeführt. Es ging mir ja auf einmal viel besser (von gut möchte ich gar nicht reden, denn davon war ich damals noch weit entfernt). Also habe ich erst mal ein paar Jahre „alleine“ weitergemacht. Habe mich dann daran erinnert, was mein damaliger Therapeut gesagt hat („das hier ist noch nicht vorbei“) und habe mir einen neuen Therapeuten gesucht. Mit diesem kam ich aber menschlich überhaupt nicht zurecht, wodurch eine Therapie bei ihm keinen Sinn gemacht hätte. Also habe ich das dann wieder nicht weiterverfolgt. Außerdem ging es mir ja auch schon sehr viel besser und ich dachte mir, ich brauche wahrscheinlich auch gar keine Therapie mehr. Einige Jahre später ist mir der ganze Mist dann inklusive Nervenzusammenbruch um die Ohren geflogen. Das heißt nicht, dass das bei dir auch so sein muss. Ich möchte wie gesagt nur darauf hinweisen, dass du deine Baustellen mitnimmst, egal wohin du gehst.
Es gibt dazu auch ein schönes Bild, warum mir das damals so passiert ist. Da ich das Bild nicht hochladen kann, möchte ich versuchen es zu erklären. Stell dir vor du stehst im Wasser und hast einen großen Wasserball (also ein Ball, der mit Luft gefüllt ist) und drückst diesen mit beiden Armen unter Wasser. Das gelingt dir eine Zeit lang ganz gut. Aber irgendwann (und da ist jeder Mensch eben anders), werden deine Arme müde werden und dann fliegt dir dieser Ball mit voller Wucht zurück ins Gesicht. Gefühle und Emotionen lassen sich halt leider nicht unterdrücken oder wegschieben und ich habe in deinen letzten Posts auch wieder gelesen, dass du versuchst, Dinge wegzudrücken oder zu ignorieren. Daher meine Sorge, das dies auch bei dir irgendwann so passieren könnte. Das wäre sehr schade.
Ich habe in meiner Therapie gelernt, diesen Ball (der eben gefüllt ist mit meinen ganzen Emotionen und Dingen, mit denen ich mich nicht beschäftigen will /wollte oder auch nicht konnte) in die Hand zu nehmen und ihn mir anzusehen. Er hat seine Daseinsberechtigung. Damit verliert er auf Dauer auch seine Wucht und fliegt mir nicht mehr unkontrolliert um die Ohren. Hoffe man kann einigermaßen verstehen, was ich damit sagen will.
Ich möchte noch einmal betonen, dass du dir da jetzt keinen Druck machen sollst und bloß nicht denkst, du „musst“ da jetzt irgendetwas tun. Ich wollte dir nur den Rat für die Zukunft geben, dass du deine Baustellen nicht aus den Augen verlierst wenn es dir wieder besser geht. Du hast es einfach verdient, dass es dir auf lange Sicht gut geht und du glücklich bist und dein Leben wieder in die eigene Hand nehmen kannst (damit meine ich jetzt, dass keine psychischen Probleme dein Leben lenken).
Dazu möchte ich noch etwas anderes sagen, auch weil du geschrieben hast, du weißt nicht welche Therapieform da jetzt die passende ist. Ich weiß nicht genau was du damit meinst, aber (und das ist jetzt eine reine Vermutung meinerseits und kann auch total falsch sein): Wenn es bei dir unterschiedliche Störungsbilder gibt, dann brauchst du vielleicht auch einfach unterschiedliche Therapieformen um deine Probleme zu lösen. Sprich: Grübelzwänge (wenn es tatsächlich Zwänge sind) bedürfen eher einer Verhaltenstherapie, falls (und nur falls) dieser Übergriff von damals bei dir ein Trauma ausgelöst haben sollte (wie hier irgendwo im Thread ja auch schon mal vermutet wurde), dann bedarf es diesbezüglich auch einer anderen Herangehensweise.
Wichtig ist hier in jedem Fall, zu schauen was dein Störungsbild ist (wurde ja vielleicht auch schon im Rahmen der Therapie festgestellt) und dann auch einen Therapeuten zu finden, der sich mit diesem Störungsbild auskennt und Erfahrung damit hat. Sonst bringt es leider auch nichts. Ich möchte dazu noch sagen, dass ich kein Psychologe bin, sondern diejenige, die auf der anderen Seite des Stuhls gesessen hat.
Ich habe auch ein Buch zum Thema Grübeln, speziell auch dieses Gedankenkarussell, was mir sehr gut geholfen hat, die Mechanismen zu verstehen, die dahinter stehen und wie man da rauskommt. Wenn es dich interessiert, dann kann ich dir Titel und Autor per PN schicken. Ich weiß nicht ob ich das hier öffentlich schreiben darf, da ich natürlich auch keine Werbung machen will. Ich habe es damals als Therapiebegleitung gehabt und es hat mir geholfen. Du kannst ja auch gerne deinen Therapeuten fragen, ob dieses Buch im Moment für dich Sinn macht. Wenn es nichts dir dich ist, nichts für ungut! Wollte dir mit dem Vorschlag nur helfen.
Ok, jetzt habe ich wirklich viel geschrieben. Ich hoffe, es war halbwegs plausibel und ich hoffe sehr, ich habe dich da jetzt nicht mit irgendetwas getriggert. Im Endeffekt wollte ich dir nur sagen, dass ich sehr großen Respekt davor habe, wie du das alles gehandhabt hast, dass du ein toller Mensch bist und dass du es verdient hast, jetzt glücklich zu sein und wieder gesund zu werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich dir auch noch ganz herzlich zu deiner Partnerschaft mit @Endlich gratulieren. Es hat mich sehr gefreut, das zu lesen. Beim Durchlesen dieses Threads hatte ich so den Eindruck, dass sie dir sehr gut getan hat und ich hatte insgeheim tatsächlich auch schon fast gehofft, dass sich da etwas entwickelt. Ich wünsche euch alles erdenklich Gute für die Zukunft!
P.S. Ich mag deinen Benutzernamen. Ich nehme an du hast ihn wegen Jules Verne gewählt, aber beim Lesen dieses Threads habe ich oft an den Film Findet Nemo gedacht, wo der Vater auf der Suche nach Nemo sich allerlei Gefahren im Meer stellt, vom ängstlichen Vater zum mutigen Helden avanciert und über sich selbst hinaus wächst, um sein Kind wiederzufinden.
Außerdem find ich dein Profilbild echt stark!