Kurzfassung für den ungeduldigen Leser: M (19) ohne jegliche Erfahrung mit dem anderen Geschlecht wird anonym von Schulkameradin angeschrieben, er denkt sich lieber die als gar keine, verliebt sich dann doch, wird nach zwei Monaten per eMail abserviert, leidet wie noch nie, kommt einen weiteren Monat mit ihr zusammen, sie meldet sich eine Woche nicht, er lernt über das Internet ein etwas naives aber sehr nettes Mädel kennen, verlässt wegen selbigem seine erste Freundin und - bereut. Seit einer Woche totale Kontaktsperre zur Ex und Hadern mit dem Schicksal.
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Es gibt Tage, an denen scheint sich alles gegen einen verschworen zu haben - das Wetter, Autos, Jobs, Frauen, Kinder, Hunde, Kollegen, einfach alles.
Meine gescheiterte Beziehung ist nur eine weitere Variante der schon hundertfach hier beschriebenen, aber das soll mich nicht davon abhalten, sie hier zum Besten zu geben. Die Besonderheit an meinen Erlebnissen, es war gleich die erste Beziehung überhaupt, mit 19. Die Geschehnisse liegen etwa zwei Monate zurück und kratzten teilweise regelrecht an mir als Persönlichkeit. Es fällt mir nicht leicht, diese Erlebnisse aufzuschreiben, desöfteren musste ich eine kurze Pause einlegen und tief durchatmen, u.a., weil mir auch viele, viele Fehler meinerseits, ja geradezu bösartiges Fehlverhalten erst im Nachhinein klar wurde. Mir wurde sehr oft vorgeworfen, mich hinter zynischen Formulierungen zu verstecken bzw. über meine eigenen Gefühle sehr distanziert zu schreiben. Ich bitte recht herzlich, darüber hinwegzusehen. Manche werden sich vielleicht über ero. Details echáuffieren, ich gebe jedoch zu bedenken, wie wichtig und prägend diese Erfahrungen für einen jungen Menschen sind. Deshalb, und nur deshalb, habe ich sie notiert.
Wenn Interesse besteht, erzähle ich gerne, wie es weiterging und was Ihr mir raten würdet. Sollte niemand reagieren, spare ich mir die wirklich nervenaufreibende Tipperei.
Genug der Vorrede, hier Teil 1 meiner traurigen Geschichte.
Ende März, zwei Monate nach dem schriftlichen Abitur. Die Abiturienten haben den gröbsten Teil ihrer Schullaufbahn hinter sich, alles wird lockerer angegangen, ausgiebig gefeiert, getrunken, viele Ausschweifungen bis hin zu einer Gruppens.-Party. Aber wie an jeder öffentlichen Schule gibt es so einen Haufen etwas verkopfter Outsider, die zu kaum einer Party eingeladen werden. Nicht, weil sie (ich) besonders unansehnlich wären, sondern weil sie gewisse Schwierigkeiten haben, sich in sozialen Kleingruppen zurechtzufinden, das Schweigen dem Reden vorziehen, Auseinandersetzungen scheuen, immer zehn Minuten zu spät schlagfertig sind, usw. Da stehe ich also mit meinen 19 Jahren, im wahrsten Sinne des Wortes ungeküsst und mit nur sehr bescheidenen Party-Erlebnissen gewappnet, den Kopf voller Filme Literatur, und überlege, was schiefgelaufen ist. Meine Zeit vertreibe ich mir mit Schundromanen und dem Internet. Ich trage mich fast täglich ins Forum einer Band aus dem Dunstkreis meiner Schule ein, protze und prahle, zoffe mich im Spaß mit anderen, alles sehr lustig, die Leute kennen mich auch vom Sehen.
Am 25.03.2002 bekomme ich die erste eMail von E., „Fragen an F.“. Sie behauptet, mich nur über das Forum zu kennen und einfach wissen zu wollen, was für ein Mensch sich hinter diesen bunten Einträgen verstecke. Wir schreiben uns von nun an bis zu viermal täglich, es sind gerade Ferien, und wir schreiben wirklich mit Ausdauer, 1000 Wörter sind die Regel. Währenddessen wird mir immer mehr bewusst, dass die blonde Versuchung aus meinem Englischkurs für mich kleines Würstchen wohl auf ewig unerreichbar bleiben wird. Nach drei, vier Wochen exzessiven eMailens fasse ich mir ein Herz und frage meine eMail-Bekanntschaft, ob wir uns beim nächsten Konzert der Band nicht vielleicht sehen. Sie ziert sich, keine Zeit, vielleicht, vielleicht doch nicht. Wohl eher nicht, nein. Ich sage einem Kumpel ab und erscheine alleine auf dem Konzert. Niemand kommt. Ich trinke mir aus Frust einen an. Ich muss eine ziemlich jämmerliche Figur abgegeben haben, wie ich so mit Zig. und B. allein am Rand des Fest-Betriebs herumschlich. Ein paar Tage später rückt sie mit der Sprache raus, weshalb sie nicht erschienen sei, ich würde sie kennen. Sie säße im Englisch-Kurs schräg vor mir, sie sei E. ! Ein kleines, leicht dickliches Mauerblümchen mit rotgefärbten Haaren, vom Äußerlichen das genaue Gegenteil zum blonden Gift eine Bank weiter vorne. Mittlerweile hatte die Schule wieder angefangen. Am Tag nach der Lüftung des Geheimnisses hatten wir eine Englischstunde. Sie wusste durch die eMails, dass ich eigentlich für das blonde Gift schwärme, wen ich weswegen nicht leiden kann, wer mal mit wem herumgemacht hat, wer Dro. nimmt und viele andere Intimitäten, die mir gute Kumpels eben im Laufe der Zeit so anvertraut hatten. Sie hatte eine Innensicht des schlaksigen Blondschopfs eine Reihe hinter ihr. Was war ich vor Beginn dieser Stunde nervös. Ich muss drei Zig. hintereinander geraucht und zwei Minuten zuspätgekommen sein. Und dann sah ich sie. Sie hatte versucht, sich schönzumachen, sich ins beste Licht zu rücken. Sie hatte die Nägel ihrer dicken Finger schwarz angemalt und schrecklich kitschigen, viel zu großen Lapislazuli-Schmuck an ihre massiven Ohren gehängt, die Haare hochgesteckt und dadurch unglücklicherweise ihre dicken Backen betont. Sie sah furchtbar aus. Ich empfand keine Verachtung, sie tat mir einfach nur sehr, sehr leid. Sie konnte doch im Grunde nichts für ihr Äußeres. Ich wäre gerne in Tränen ausgebrochen, hätte ihr gesagt, wie liebenswert und aufrichtig ich es finde, wie bewundernswert, dass sie es trotz allem versucht hat. Wir sprachen in der Schule kein Wort miteinander. Die Gelegenheit ergab sich nicht. Wir schämten uns auf die eine oder andere Weise beide füreinander.
Ein paar Stunden später hatte mein berechnender Verstand die Oberhand gewonnen. Ich dachte mir, besser die als gar keine. Wir schrieben uns weiterhin täglich, trennten aber Schule und Privatleben, behielten das, was sich zwischen uns aufbaute, für uns. Ich lud mich zu ihr nach hause ein. Jede neue Stufe unserer Beziehung wurde von in erster Linie von mir in Angriff genommen. Sie hatte ein mit viel Liebe und Sorgfalt eingerichtetes, individuelles Zimmer. E. hatte einige großflächige, selbstgemalte Bilder an den Wänden hängen. Sie war ein so kindlicher, naiver, gutherziger Mensch. Mit ihren 19 Jahren war sie ebenfalls noch ungeküsst, hatte noch nie einen richtigen Rausch gehabt – hatte auf gewisse Art und Weise genau wie ich einen entscheidenden Teil des Heranwachsens ausgelassen. Sie malte also, zeichnete, fotografierte. Ihre Fotos waren wirklich gut, sie hatte einfach ein Gespür für Räume Perspektiven. Nur ihre Bilder, die gefielen mir überhaupt nicht. Kunst ist immer subjektiv, aber ihre Arbeiten mochten vielleicht technisch gut sein, nur fehlten ihren Bildern die großen Emotionen, diese große emotionale Spannung, die ein Meisterwerk ausmacht, war einfach nicht zu erkennen. Selbstredend sagte ich ihr das nicht einfach so frei von der Leber weg, behielt meine kritischen Betrachtungen für mich, weshalb ich mich aber auch nicht zu schämen brauche. Der Prozess der zwischenmenschlichen Annäherung, der Flirt an sich, basiert auf Verstellung und Täuschung. Jeder Beteiligte weiß, dass sich sein Gegenüber ins beste Licht zu rücken versucht, so sind nun einmal die Spielregeln.
Wir unternahmen nie etwas zusammen. Wir trafen uns ausschließlich abends, entweder bei ihr oder bei mir, sahen vielleicht einen Film, redeten teilweise bis um halb zwei, fast immer nur am Wochenende. Beim vierten oder fünften Mal begleitete sie mich zur Straßenbahn. Ich nahm all meinen Mut zusammen und fragte sie unter größter Anspannung, ob wir uns zum Abschied nicht mal rein freundschaftlich umarmen wollen, sie lachte, wir umarmten uns, ich fuhr. Sie schrieb mir, dass sie diesen Moment sehr schön gefunden habe, mir blieb vor allem die Anspannung und die irrationale Furcht vor der möglichen Zurückweisung im Gedächtnis, ich teilte ihr dies auch mit, sie fasste das als abwertendes Urteil auf, war sehr ernüchtert und enttäuscht. Beim nächsten Abschiedsmoment teilte ich ihr mit, dass ich es lieber habe, wenn sie die Haare offen trägt. E. fasste das als Kritik an ihrer Person, nicht als Kompliment auf, verweigerte mir die Umarmung, wir gingen fast im Streit auseinander. So eine Ziege, dachte ich mir. Nach zwei, drei langen eMails mit einer Hand voll warmer Worte hatten sich die Gemüter wieder etwas beruhigt und wir saßen irgendwann, drei oder vier Wochen waren seit der Lüftung des Geheimnisses um ihrer Identität vergangen, bei ihr auf dem Sofa. Vor dem Losgehen hatte ich mir nicht wie sonst in Erwartung eines Kusses die Zähne geputzt, ich hatte heute sogar hemmungslos geraucht. Ich dachte mir, wenn wir bis heute nicht die Kurve gekriegt haben, bräuchte ich mir von dieser Frau sowieso nichts mehr zu erwarten. In einem Anfall von Tollkühnheit fragte ich sie, ob sie sich eine tiefergehende Beziehung zu mir vorstellen könne. Im Hintergrund lief Radiohead, das Kid A-Album, glaube ich. Sie saß einfach so neben mir, schwieg fast zehn Minuten. Niemand sprach. E. verschwand für die Länge von ein oder zwei Tracks im Badezimmer. Hier verwischt zum ersten Mal meine Erinnerung. Ich muss wohl heimgegangen sein. Beim nächsten Treffen nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte sie, ob wir nicht einmal enger zusammenrücken wollten. So legte ich also zum ersten Mal den Arm um ein Mädchen, das sich an mich kuschelte. Es war atemberaubend. Nie, nie werde ich den zarten Duft ihrer Haare vergessen. Beim leisesten Anflug von Schauma-Aroma egal wo, im Aufenthaltsraum eines Altenheims, in der U-Bahn, in meiner eigenen Dusche, muss ich auch heute noch jedes Mal an E. denken. Ihr rotes, rotes Haar... ich presste meinen Mund zärtlich auf ihren Kopf und unsere Münder berührten sich kurze Zeit später. Das war eindeutig der schönste Moment meines bisherigen Lebens, wenn ich mir das auch erst nach Monaten eingestehen konnte. Komisch, ich hätte nie gedacht, dass sich Küsse so warm und so... fleischlich anfühlen. Naja, die Sache mit der langsamen Annäherung ergab sich bei uns nicht, wir saugten ziemlich hemmungslos an unsern Zungen, ich griff ihr ins Oberteil und massierte etwas unbeholfen ihre Brust. In dem Moment, als ich ihr Oberteil beiseite schieben wollte, stieß sie mich recht unsanft zurück. Trotzdem war es ein unvergesslicher Abend. Gerade eben noch meint man, es sich bereits mit diesem Mädchen verscherzt zu haben, man denke nur an das lange Schweigen kurz oder einen Abend zuvor, nun hat man gerade seinen ersten Kuss erlebt und eine warme Frauenbrust befühlt. Ich fuhr nach hause, fühlte mich gut, zündete mir einige Zig. an. Es hatte sich wirklich etwas verändert in meinem Leben.
20.10.2002 16:39 •
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