Ich fahre mal mit meiner Geschichte fort.
Ich war lange Zeit einsam gewesen, schon krankhaft einsam. Über 10 Jahre keine wirkliche Beziehung geführt. Dabei sehe ich nicht mal schlecht aus. Aber es war meine Art, die mich in diese gefühlte Verdammnis zwang. Durch mein Philosphiestudium habe ich mich selbst ins absolute Abseits katapultiert. Wenn man alles hinterfragt, an der Welt, den Mitmenschen und sich selbst, was bleibt dann übrig? Nur Fragen, und also Unsicherheit. Unsicherheit ist aber für einen Mann, der eine Frau kennenlernen will, nicht unbedingt förderlich. Es fehlt Souveränität.
An der Einsamkeit habe ich zunehmend gelitten, und egal was ich versucht habe, ich kam nicht mehr aus ihr heraus, kam nicht mehr aus mir selbst heraus. Es war wie ein Fluch. Wie die Einsamkeit zunahm, wurde die Sehnsucht größer. Es entstand ein Teufelskreis, denn lernt man jemanden kennen, muss man sich schliesslich auch zurückhalten können und normal sein. Sie bemerkten schnell, dass ich nicht für voll genommen werden konnte, die Abfuhren verschlimmerten die Isolation natürlich nur.
Der jahrelange, keineswegs geradlinige Weg führte schliesslich zu oben begonnener Geschichte. Hier hatte ich mich schon gut gewandelt, ich war kein Vergleich mehr zu früheren Jahren, hatte mich stark verändert. Aber immer noch, keine Beziehung und einsam. Und dann, wie oben erwähnt, beschwörte Sie mich schon fast, ich müsse die ganze Zeit mit ihr joggen. Und es gibt ein Foto, vor dem Start, auf dem sie mich mit kokettem Blick anschaut. Irgendetwas war plötzlich in Sie gefahren, und ich merkte es. In meiner chronischen Einsamkeit war ihre Anhänglichkeit und Zuwendung natürlich etwas sehr schönes, und ich war bereit mich darauf einzulassen, in der Hoffnung, dass es mit dem Alleinesein endlich ein Ende haben würde. Ich fragte sie mal, was Sie denn damals so getrieben hat, den privaten Kontakt mit mir zu suchen. Sie konnte es nicht benennen, Ich weiß nicht, irgendetwas war da...
Wir trafen uns also an einem Samstagabend im Kino. Nachtzug nach Lissabon interessierte uns beide. Bevor der Film anfing unterhielten wir uns über die unangenehmen Entwicklungen in unserem Unternehmen, schliesslich fragte ich Sie, ob Sie nach dem Film schon was vorhabe. Die Erinnerung wie sie antwortete werde ich wohl nicht mehr vergessen. Mit gespitzten Lippen und leicht hochgezogenen Schultern in ihrem rötlichem Jäckchen, den Kopf mir zugewandt und mich aus ihren blauen Augen unverwandt anschauend, ließ Sie ein längergezogenes Nöö vernehmen, wobei Sie sich leicht zur Seite neigte und kaum merklich langsam den Kopf schüttelte. Ihre Art signalisierte bereits, dass Sie gerne noch was danach mit mir unternehmen würde, noch bevor ich die Frage gestellt hatte.
Ich will ehrlich sein und dem besseren Verständnis wegen alles darlegen, was zwischen uns eine Rolle gespielt hat, mag Sie oder ich auch in einem moralisch verwerflichem Licht erscheinen. Denn Sie sagte mir schon früh, Sie habe einen Freund. Der wohnte und arbeitete im angrenzenden Ausland. Es stellte sich schnell heraus, dass es mit ihm nicht mehr gut lief. Wegen letzterem und meiner verzweifelten Einsamkeit überschritt ich diese Grenze - bei aller Stutzigkeit über die Situation und dem Licht, das dieser Sachverhalt jetzt auf ihre Person warf - bewusst, die ich früher bei anderen Frauen immer gewahrt hatte. Nun sollte es mir egal, sollte ich einmal nicht die Moralapostel sein, die ich früher immer spielte, zumal Sie auf mich zuging, wie keine andere in Jahren zuvor. Warum, weiß ich bis heute nicht so recht, aber ich gestehe, ich machte mir Hoffnung, obwohl ich Sie von nun ab auch als gefährlich einstufte.
Nach dem Film waren wir noch etwas trinken und eine Kleinigkeit essen. Sie packte ziemlich schnell private Dinge aus, die man jemandem, den man kaum kennt, normalerweise nicht sofort erzählt. Ich weiß aber kaum noch, über was wir uns unterhielten, aber eine Sache sollte die Erinnerung an diesen Abend beherrschen.
Meinem jahrelangen Alleinesein gemäß hatte ich kaum Erfahrung sammeln können, wie man sich Frauen gegenüber beim Kennenlernen gemäß verhält und wie man Gesagtes im Rückschluss auf die Person, die einem momentan gegenüber sitzt, deuten kann. Nachdem ich Sie und unser Beziehungssein in den folgenden Monaten näher kennengelernt hatte wusste ich ihre Geschichte, die Sie mir an diesem Abend erzählte, im Hinblick auf ihre Person, und vielleicht sogar generell in Hinsicht auf Rollenspielchen zwischen Männlein und Weiblein, eine Deutung zu verleihen. Sie wollte sich interessant machen.
Wir redeten über ihre Ausbildung. Sie hatte in einem Hotel gelernt. Ein Irrenhaus, wie Sie es nannte. Wo so gut wie jeder mal mit jedem in gewisser Hinsicht anbandelte, kreuz und quer. Der Oberaufseher des Irrenhauses Herr Hoteldirektor ging mit gutem Beispiel vorbildlich voran und schreckte nicht vor Anspielungen und Taten zurück, die die Grenze zur s.uellen Nötigung überschritten. Sie selbst hielt sich dort wohl verhältnismäßig einigermaßen zurück, da Sie in dem Betrieb ihren Freund kennengelernt hatte und bald mit ihm zusammen war, doch auch die eine oder andere Eskapade ereilte Sie. Sie suchte Bestätigung, denn ihr Freund behandelte Sie diese Zeit über sehr schlecht. Das gipfelte bei ihr persönlich in der s.uellen Erfahrung mit zwei Männern gleichzeitig, die gut über 15 Jahre älter waren.
Der Eine kam öfters zum Essen in das Restaurant des Hotels, wo Sie ihn bediente. So lernten sie sich kennen. Offensichtlich ein totales A rschloch, wie Sie von vornherein erkannte. Aber ein richtiger Mann, erfolgreich mehrere Restaurants führend, mit der Attraktivität des Karrieremenschen ausgestattet, der wusste was er wollte und es sich nahm, wie es für einen Gewinner typisch ist. Erfolg macht ja schon attraktiv, hatte Sie einmal zu mir gesagt und gab mir einen weiteren Einblick in ihre Person. Sie verliebte sich in ihn, hier hatte ich das erste Mal in meinem Leben wirklichen Liebeskummer, und ich meinte, wie Sie das so sagte, jetzt Jahre danach, immer noch eine Spur der Bewunderung für das A rschloch zu bemerken. Sie war verletzt, neugierig und offen, ihr Freund missachtete Sie und zog es vor mit den anderen Jungs, die Sie desöfteren mobbten, umherzuziehen. Also gingen Sie und Er aus und trafen zufällig den zweiten und es endete im Schlafzimmer ihres Angebeteten. Das Ganze wurde einmal wiederholt, in eben demselben Dreiergespann, danach noch vereinzelt s.ueller Kontakt zu ihrem Angehimmelten, der übrigens verheiratet war und ein Kind hatte.
Ich weiß nicht so genau, was es war, dass mich innerlich sprach- und fassungslos sowie neidisch werden ließ. Durstig lauschte ich gespannt ihrer Vergangenheit, die auf mich wie ein Tollhaus des Lebens wirkte, eine Lebendigkeit, die mir ein Jahrzehnt lang abhanden gekommen war. Ich hatte solche verantwortungslosen unmoralischen Spielereien immer verachtet, und doch zog es mich in einen Bann, besonders die Vorstellung, wie sie sich zu dritt vergnügten. Nicht, dass ich mir sowas immer schon gewünscht hatte, im Gegenteil, meine Art verbat dies immer und ließ es ein Unding für mich persönlich sein. Einmal bot sich mir selbst solch eine Gelegenheit, aber ich ging nicht darauf ein. Ich denke, es war einfach die Tatsache, dass ich schon Jahre nicht mehr wirklich gelebt hatte, mich mehr oder weniger von einem Tag zum anderen schleppte und mir die Welt, an der ich partizipieren könnte, abhanden gekommen war, wofür meine Persönlichkeit der Grund war. Neben dieser mir irgendwie zwanghaft auferlegten öden Entsagung, durch die ich gefühltermaßen lange das Leben verpasste, und meinem Eingekerkertsein in meiner eigenen Persönlichkeit konnte ihre Geschichte auf mich doch nur einen solch starken Eindruck machen, da sie das andere Extrem darstellte, das ich in gegenteiliger Weise war.
Was sie erzählte, war und ist für mich nicht das Erstrebenswerte, was für mich in concreto das Leben ausmacht und das ich mir in dieser Form wünschen würde, um Gottes willen. Es war lediglich das gegenteilige Extrem meiner selbst, das mit mir kollidierte und mir in direkter Konfrontation der Darstellung und Veranschaulichung durch Sie umso mehr das Gefühl gab, nicht zu leben. Hier wird die Erinnerung an das Buch Narziß und Goldmund wach, und auch ihre Worte brannten in meinem Herzen wie Feuer.
Wir lagen einmal auf dem Bett bei ihr zu Hause und schauten einander in die Augen. Mit ihren Augen in meinen forschend sagte Sie: Das wird dein Untergang sein.
13.02.2014 15:49 •
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