Seit 6 Wochen ist mein Leben, so wie es war, vorbei. Ich habe das Bedürfnis, aufzuschreiben, was mir passiert ist. Ich weiß gar nicht genau, was ich mir davon erhoffe - ich habe aber beim Querlesen im Forum schnell gemerkt, wie sehr sich die Geschichten ähneln und man merkt, dass man in diesem unsäglichen Schmerz nicht alleine ist. Auch, wenn man wohl immer denkt, die eigene Liebe und Geschichte ist größer, einzigartiger und das Aus unendlich viel schmerzhafter als bei allen anderen. Ich fürchte, es wird lang.
Ich bin 33 Jahre alt, wir waren bald 9 Jahren zusammen, seit fast 3 Jahren verheiratet. Kennengelernt haben wir uns im Studium. Wir haben beide was Künstlerisches studiert, was er zu seinem Beruf gemacht hat, ich nicht. Er ist kein normaler Typ und das ist nicht nur meine Einschätzung. Kreativ, extrovertiert, ein Geschichtenerzähler, gestaltet Situationen und macht aus jedem Moment was Besonderes. Im Job wird er bewundert und ist sehr talentiert. Ich habe ihn 9 Jahre lang immer dafür bewundert, was er kann. Er sieht sehr gut aus, ist charmant und immer der Mittelpunkt des Geschehens. Die Kehrseite: Er ist ein extremer Typ, manchmal auffällig, nicht immer der Situation angepasst, nicht jeder findet ihn toll, sondern eher nervig, er reißt wohl das Gespräch oft an sich. Wie gesagt, ich fand ihn immer einfach nur toll. Habe das zwar wahrgenommen, dass andere ihn ambivalent sahen, das aber irgendwie nie nachvollziehen können. Für mich war er der Märchenprinz. Andere halten ihn für einen Narzissten.
Ich bin vom Wesen her ein abhängiger Mensch, von ihm war ich es wohl von Anfang an. Ich hatte schon als Teenager mit Depressionen zu kämpfen und war schon immer auf seine verzweifelte Art unglücklich verliebt. Ich weiß nicht, woher das kommt (vermute, da spielt was Transgenerationales mit, meine Mutter hat eine ähnliche Geschichte erlebt und ist nie wieder glücklich geworden), aber ich habe mein Glück immer in der Zweisamkeit gesucht. Ganz am Anfang, als wir uns gerade kennengelernt hatten, als wir nur hin- und hergeschrieben haben, hat er sich plötzlich eine Woche nicht gemeldet. Das hat mich ungelogen in eine depressive Phase gestürzt. Zu einem Zeitpunkt, als wir noch gar nicht zusammen waren. Als er dann geantwortet hatte, war das Gefühl weg, wie von Zauberhand. Und zwar im Großen und Ganzen die nächsten 9 Jahre.
Unsere Beziehung war immer intensiv. Er hat mir nach einem Monat einen Antrag gemacht. Von Anfang an war klar: Das ist die ganz große Liebe. Das war unser Narrativ, insbesondere er hat es immer nach außen getragen und nie in Zweifel gezogen. Wir hatten keine größere Krise. Ich bin extrem in seine Familie eingebunden (meine ist eher versprengt), wir haben während Corona dort quasi gelebt. Die letzten vier Jahre haben wir im selben Betrieb gearbeitet, wir hatten auch gemeinsame Projekte. Wir haben immer viel in die Zukunft reingeplant, vielleicht ein Tiny House, Kinder, eingebunden sein in das familiäre Umfeld. Unser Alltag war schön, wir haben unendlich viel geredet, gelacht, unternommen. Allerdings, und das merke ich jetzt in aller Härte, war er auch dominant, was Pläne, Urlaube, Freizeit angeht und ich habe das genossen. Darüber bin ich, was so etwas angeht, allerdings auch passiv geworden und fühle mich insbesondere auch deswegen jetzt wie amputiert. Ich habe leider sehr durch ihn gelebt. Sein spannender Job, viele Begegnungen, Reisen, alles durch seine begeisterten Augen, es war ein Traumleben für mich.
Ich habe auf der anderen Seite viel Bodenhaftung in die Beziehung gebracht, er ist ohne mich ein Chaot gewesen, Finanzen, Behördendinge, Geburtstage, so was hat er einfach nicht hinbekommen. Seine Dokumente habe ich in mühsamer Kleinarbeit aus Tüten und Kisten in Ordner sortiert, als wir zusammengezogen sind. Er hat noch nie selber eine Steuererklärung gemacht. Er bezeichnet sich selbst als Hallodri, Haiopai, andere sagen, er sei ein Quatschkopf. Ich dachte immer, wir wären der perfekte Match. Er hat auch eine sehr häusliche Seite, kommt aus dem ländlichen Raum, ist irgendwie total tüchtig, was Handwerkliches angeht. Er ist wahnsinnig kommunikativ, mit ihm kann man stundenlang quatschen. Ich könnte für immer weiterschreiben. Jedenfalls waren wir wahnsinnig eng, aufeinander eingeschossen und ich habe wirklich geglaubt, uns könnte nichts auseinanderbringen. Da hat kein Blatt Papier zwischen gepasst. Wir waren symbiotisch. Unsere Hochzeit war ein magischer Tag, viele Gäste sagen, die schönste Hochzeit, auf der sie je waren.
Nach langen Überlegungen habe ich mir einen neuen Job gesucht, da mein bisheriger Job zwar spannend, aber nichts für die Ewigkeit war, da schlecht bezahlt und befristet. Der Gedanke: Ich suche was unbefristetes, besser bezahltes, in der Nähe seiner Familie. Dann könnten wir in einem Jahr versuchen, ein Kind zu bekommen. Er hat seinen festen Job ab Sommer auf Teilzeit reduziert und wollte dazu freiberuflich was aufbauen, sagte aber immer wieder, dass er sich aufs Hausmannsein freue, er würde mich jeden Tag bekochen etc. Das war alles wohlüberlegt, lange Pro-Contra-Listen, er hat NIE erwähnt, dass irgendwas nicht stimmt. NIE. Noch ein paar Tage, bevor der ganze *beep* losgegangen ist, hat er mir ewiglange Sprachnachrichten geschickt, wie sehr er sich auf unser Leben freut, wie er es kaum erwarten kann.
Als wir quasi schon im Umzug steckten (ich war seit zwei Monaten schon in der neuen Stadt, habe dort gearbeitet und im AirBnb gewohnt), wurde ich misstrauisch, als er gehäuft über eine Kollegin gesprochen hat. Ich kenne ihn ja nun mal sehr gut und habe ihn direkt gefragt Hast du dich verliebt? Er hat kurz gezögert und dann geantwortet Wäre das schlimm?, so im Sinne von Das kriegen wir schon hin. Er hat also was mit einer Frau angefangen (er sagt, es wäre bisher Knutscherei gewesen, aber wer weiß das schon).
Die nächsten drei Wochen waren eine absolute Katastrophe, die ich gar nicht richtig zusammenbekomme. Wir hatten einige lange Dramanächte mit langen Diskussionen, Weinen, Vorwürfen, im Prinzip ist aber alles nach und nach in sich zusammengebrochen. Aus Das bedeutet nichts wurde innerhalb kürzester Zeit Es ist ernst, dann Ich weiß nicht, ob ich so eine Art Beziehung wie mit dir überhaupt führen kann, Ich will keine Verantwortung für einen anderen Menschen (sprich: mich), Ich weiß gar nicht, was mich überhaupt an dich bindet. Später dann Ich will mich noch mal verlieben, ich will das andere Frauen mich bewundern, Das Leben ist kurz und das treibt mich von dir weg, Vielleicht will ich auch nach Berlin ziehen und tanzen gehen und schw*l werden!, Ich will gar keine Kinder, D. (seine Affäre) ist aus demselben Holz geschnitzt wie ich, sie bringt was zum Klingen in mir, Ich sehe keine Zukunft für uns, Ich fühle nichts mehr für dich und auch solche Sachen wie Müssen wir denn eine Liebesbeziehung haben?, Wir können doch jetzt anderthalb Jahre durch die Weltgeschichte blödeln und dann Kinder kriegen. Am Ende stand aber immer Ich sehe keine Perspektive für uns, ich will keine Nähe zu dir, die Jahre waren schön, jetzt ist es vorbei.
Mein Zustand war einfach nur furchtbar. Panikattacken, ich musste Beruhigungstabletten nehmen, ich kann überhaupt nicht beschreiben, in was für eine Hölle ich gestürzt bin. Ich dachte zwischendurch, ich werde verrückt, ich muss mich umbringen, es war einfach nur der pure Horror. Ich war zweieinhalb Wochen krankgeschrieben, mein Bruder hat mich aufgenommen, ich war einfach in einem völligen Ausnahmezustand.
Den Umzug haben wir dann noch zu zweit gemacht, mein Mann und ich, vielleicht der schlimmste Tag in meinem Leben. Er hat mir die Sachen quasi in die Wohnung gekippt und war dann weg. Seine Idee: Er würde jetzt 10 Tage weggehen und mir dann mitteilen, ob er mich verlässt, oder noch bereit wäre, an der Beziehung zu arbeiten. Ich hatte mir in der Zwischenzeit für mich selbst einen Therapeuten gesucht, der anbot, ein moderiertes Gespräch mit uns beiden zu führen, da er auch der Meinung war, es wäre eine Zumutung, wie mein Mann sich verhält.
Also habe ich meinen Mann angerufen, um ihm davon zu erzählen. Bei diesem Gespräch kam dann raus, dass er mir nicht zum ersten Mal nicht treu war. Dass er mehrmals fremd geknutscht hat und mit zweien auch im Bett war. Dass er nicht anders kann, weil er die Bestätigung braucht und den Kontakt, die Bewunderung. Komischerweise war das alles in den ersten beiden Jahren unserer Beziehung. Irgendwie hat mich das nicht so sehr getroffen, wie ich gedacht hätte. Es war mehr so, dass es fast eine Erleichterung war. Der Wurm war von Anfang an drin. Es liegt nicht an mir, er ist einfach so, das wäre mit jeder anderen auch irgendwann passiert.
Auf das Gespräch mit dem Therapeuten hat er sich nur widerwillig eingelassen. Es waren zwei sehr anstrengende Stunden, seine Kernaussage: Wenn ich mich jetzt entscheiden muss, gehe ich. Woraufhin der Therapeut vorgeschlagen hat, ein Moratorium zu versuchen, um diese Entscheidung wohl zu überlegen: Eine Bedenkzeit von drei Wochen, in denen man sich selbst, die Beziehung reflektiert, um dann entscheiden zu können. Wichtig: Keine Ablenkung, auch nicht durch die Affäre. Wir sollten beide drei Tage überlegen, ob das eine Option wäre. Entschieden uns dann für Ja, wir versuchen es.
Er hat es eine Woche ausgehalten. Dann hatte er wieder was mit der Frau, was er mir auch gestanden hat. Da hatte ich das Gefühl, dass es einfach alles vergebens ist. Dass er mich nicht mehr will, dass er mich loswerden will, dass er einfach zu feige ist, es auszusprechen. Dass er keinen Respekt hat vor unserer Beziehung, vor mir, dass es sowieso zuende geht. Da habe ich beschlossen, es zu beenden. Habe ich auch getan, letzte Woche Donnerstag. Habe ihm gesagt, dass das die Trennung ist, dass er die Beziehung zerstört hat durch sein Verhalten und seine Worte, dass ich die Scheidung will und nur noch über Email Kontakt über Organisatorisches.
Heute habe ich mich mit seiner Mutter getroffen, mit der ich ein sehr enges Verhältnis habe. Mir ging es darum, klarzustellen, dass ich nicht verlassen habe, sondern er mir keine Wahl gelassen hat. Das Gespräch lief aber anders und in mir keimte plötzlich wieder eine Hoffnung, dass wir es doch schaffen können. Dass wir vielleicht eine unkonventionelle Beziehung führen können, mit Freiheiten für ihn und für mich, dass unser Band einfach zu stark ist, um es durchzuschneiden. Irgendwie gab mir das Gespräch mit seiner Mutter das Gefühl, dass das möglich sei (er hat die letzten Wochen bei seinen Eltern verbracht und viel mit seiner Mutter gesprochen).
Sie hat mir gesagt, dass er sich alles mit mir, Ehe, Verbindlichkeit, Exklusivität, so sehr gewünscht hat, es ihm aber eigentlich nicht entspricht. Dass er sich wohl verbogen hat schon seit Jahren, wie ihm jetzt klar wird. Dass er ein Stück weit ein Vagabund ist. Und das passt ehrlich gesagt auch zu ihm, zu seinem Wesen. Ich habe mich oft privilegiert gefühlt, dass er ausgerechnet mit mir seine Zeit verbringt.
Tja. Und dann habe ich ihn angerufen. Ihm gesagt, dass ich keine Trennung will und keine Scheidung. Ihm im Prinzip gesagt, wir könnten eine offene Beziehung führen. In dem Moment war mir einfach alles egal, solange er nicht für immer geht. Und er war überrascht, dass ich mich melde, hat gesagt, dass er eigentlich schon erleichtert war, als ich mich getrennt hatte, dass er nicht glaubt, dass er das will. Es war eigentlich alles sehr niederschmetternd. Ich merke, dass er mich nicht will, er sagt, er will keine Nähe, er will nicht in die neue Wohnung, die Neue wäre keine Flucht vor Verantwortung, das wäre was Besonderes, er sucht schon WG-Zimmer in Berlin, er will freiberuflich durch die Republik tingeln, er will das einfach alles nicht, dieses normale Leben, Verbindlichkeit. Ich glaube, er will einfach und vor allem diese neue Liebe leben. Und wieder kann er nicht einfach sagen, dass es vorbei ist. Er sagt es zwischen den Zeilen. Aber nicht ausgesprochen.
Ich weiß, dass es vorbei ist. Ich bereue ein Stück weit, dass ich schwach geworden bin und ihn angerufen habe. Aber ich glaube, er muss es sagen, damit ich es glaube. Bis dahin ist da immer noch diese unsinnige, anlasslose, völlig unmögliche Hoffnung. Aber nach diesem Telefonat weiß ich, dass es kommen wird, dass alles aus ist. Ich wusste es auch vorher schon, aber ich glaube, ich muss den Weg gehen, bis er es sagt.
Ich habe durch ihn gelebt, das Ausmaß wird mir jetzt erst klar. Ich sitze jetzt in einer fremden Kleinstadt, einem neuen Job, der mich völlig in die Mittelmäßigkeit befördert. Ich habe alles, was ich vorher gerne getan habe, nur im Kontext der Beziehung getan. Mit ihm ist jegliche Freue aus meinem Leben verschwunden, ich empfinde alles als völlig sinnentleert und schrecklich. Ich weiß, dass sich das krass anhört, aber es ist so. Wenn ich nicht meinen Bruder nicht hätte, würde ich mein Leben beenden.
Mir wird jetzt erst klar, wie abhängig ich war, ich habe es in der Beziehung nicht gespürt, weil er immer da war. Ich habe seinen Film mitgelebt und dachte, es wäre meiner. Alle anderen Menschen kommen mir völlig belanglos, langweilig, uninspiriert vor. Ich war wohl wie ein Groupie, das mit seinem Rockstar zusammen war.
Ich weiß momentan wirklich nicht, ob ich das überleben kann. Mir macht nichts Freude, jede Sekunde ist Folter. Das einzige, was lindert, sind Telefonate. Ich habe ein paar Menschen, die in Kontakt mit mir sind (keinen großen Freundeskreis) und mich unterstützen. Die meisten von denen habe ich quasi im Zuge dieser Geschichte reaktiviert. Ich bin überrascht, wie bereitwillig und ausdauernd diese Freunde mit mir sprechen, mir schreiben, mir helfen wollen. Aber die meiste Zeit bin ich nun allein, in dieser stillen Wohnung, einer fremden Stadt. Ich habe noch nie alleine gelebt.
Das Leben mit ihm lag vor mir wie ein Märchen. Mein Leben ohne ihn ist einfach nur eine nichtendenwollende Hölle.
Dieser Text ist viel zu lang. Und ich habe das Gefühl, es ist nur ein Bruchteil. Falls irgendwer bis hier gekommen ist: Danke.