Perspektivwechsel:
Borderliner sind keine Klapperschlangen, sie sind auch keine Hexen oder Teufel. In aller erster Linie sind Borderliner Menschen, in zweiter Linie Menschen mit einer ernstzunehmenden Persönlichkeitsstörung.
Nach aktuellem Stand der Forschung geht man mE. davon aus, daß anders als bspw. Schizophrenie, welche durchaus genetisch also erblich bedingt ist, ein Borderline Syndrom zumeist Re-Aktion auf ein traumatisches Ereignis ist. Sicher dürfte es auch gewisse genetische Dispositionen geben, aber zumindest im Moment scheint nach Forschung dies eine Erkrankung, die im Regelfall (!) durch Trauma verursacht wird.
Daher sind Borderliner zunächst Opfer. Opfer des ursprünglichen traumatischen Ereignisses und dann auch Opfer ihrer Erkrankung.
Daß aus (unbehandelten) Opfern dann auch sehr leicht Täter werden, ist weder Borderline spezifisch noch allgemein ungewöhnlich, man denke an Kinder, die aus gewalttätigen Familien stammen und dann trotz aller guten Vorsätze doch eben auch zu gewalttätigen Eltern heranwachsen.
Die hier von vielen beschriebenen Symptome treffen sicherlich zu, aber einige der Beiträge hier in diesem Thread sind aus der Perspektive der Ex-Partner und vor allem auch sehr entwertend geschrieben.
Wer Borderliner-(ex-)Partner als Klapperschlangen oder ähnliches bezeichnet, verkennt die Ernsthaftigkeit der Erkrankung und scheint mir darüber hinaus auch eher Symptome zu demonstrieren, die eine Beziehung mit einem Borderliner überhaupt bedingt haben.
Borderliner leiden an einer ausgeprägten und andauernden Instabilität ihres Selbst. Daher die Dramatik, daher die wahnsinnigen Stimmungsumschwünge. Ohne stabiles Selbst kann man keine Grenzen ziehen, dadurch fehlt Bewußtsein und Erfahrung von eigenen Grenzen, sowie im zweiten Schritt Grenzen anderer. Das läßt sie dann (auch) zu Tätern werden.
Meiner Einschätzung nach, sind Borderliner nicht per se manipulativ, entwertend, dramatisch oder gemein, sondern sie erleben im Inneren, was sie ungefiltert dann direkt (mangels Grenzen) nach außen tragen und sie können ihr Verhalten den eben genannten Kategorien nicht wirklich zuordnen, weil ihnen auch dafür der gesunde Maßstab fehlt.
Was den Umgang mit Borderlinern für andere zumeist extrem schwierig macht, ist die Illusion ihrer Einsichtsfähigkeit. Ein halbwegs intelligenter Borderliner ist (vermeintlich) in der Lage zu erkennen, daß dessen Verhalten 2min, 2h, 2 Tage zuvor, gemein, unfair oder verletzend war.
Das führt bei diesem zumeist zu zwei gleichzeitig ablaufenden Dingen: das Gefühl sich falsch verhalten zu haben, was ihnen kurzfristig leid tut, ABER dadurch, daß sie kein stabiles Selbst haben, setzt im gleichen Moment eine riesige Verlustangst ein, die so groß ist, daß sie nicht zu bewältigen ist, woraufhin dieser nur mit Wut begegnet werden kann.
Für Menschen, die kein stabiles Selbst haben, sind Andere Dreh und Angelpunkt; sie sind existentiell.
Wer nur durch und mit andere(n) besteht, hat automatisch Panik davor, daß diese weggehen. Weil neben der Scham über das eigene Verhalten, anders als bei gesunden Menschen, diese nicht zu definierende riesige Existenzangst hinzukommt, müssen (!) Borderliner zwangsläufig geradezu krankhaft, den Auslöser ihres Verhaltens woanders, also außerhalb von sich, verorten.
Schon für einen gesunden Menschen mit einem stabilen Selbst ist die Erkenntnis, daß man dem anderen weh getan hat oder für den Weggang des Anderen Ursachen gesetzt haben könnte, schwer erträglich und löst tiefe Schuldgefühle, Bedauern und Trauer aus. Manche Borderliner erleben das aber mehrmals am Tag (jeden Tag) und sind zudem in ihrem Sein nur durch den/die anderen.
Borderliner müssen auf das, was wir Manipulation oder Gaslightning nennen, zurückgreifen, weil es eben um die buchstäbliche Existenz geht und deshalb muß Quelle und Anlaß für das gemeine Verhalten grundsätzlich außerhalb gefunden werden.
Gleichzeitig stehen Borderliner ständig unter extremer emotionaler Spannung, die eben mangels Kenntnis von Grenzen ungefiltert im Außen abgebaut werden muß, auch daher das Drama.
Aber Borderliner wissen/fühlen/nehmen wahr irgendwo in den Bruchstücken ihres Selbst anders zB. als Narzissten, denen Zugang zu Empathie ganz oder größtenteils verschlossen bleibt-, daß das Ganze unstimmig ist.
Nur führt das eben zu noch größerer Verunsicherung und Angst, womit die Schleife nicht nur immer wieder von vorn beginnt, sondern dieses diffuse Gefühl der Unstimmigkeit, welches viele ein Leben lang mit sich herumtragen, versuchen einige/viele Borderliner auch zu betäuben. Daher und zur Emotionsregulierung die große Korrelation von Borderlinern und Substanzmißbrauch.
All das macht, daß Borderliner vor allem solche, denen nicht geholfen wird, eine sprichwörtliche Spur der Verwüstung nach sich ziehen. Ich habe tiefes Mitgefühl mit all den Eltern, Geschwistern, Freunden, Kindern und Partnern.
Aber aufgrund ihres zersplitterten Selbst, aufgrund ihrer Überlebensstrategien und aufgrund ihrer extremen Gefühlsamplitude sind Borderliner eben auch die ideale Projektionsfläche und werden dementsprechend schnell insbesondere in Partnerschaften instrumentalisiert.
Sie werden erneut Opfer. Von Narzissten, die den ewigen Fan brauchen. Von Helfern, die Aufwertung und Ausgleich eigener Unsicherheit, in der Utopie der einzige Verständnisvolle zu sein, suchen.
Und jeder der im Erwachsenenalter einen Borderline-Partner wählt und dadurch tiefe Verletzungen erfährt, muß sich die Frage nach dem Eigenanteil gefallen lassen.
Manchmal ist es eine Komplimentärstörung, manchmal einfacher Größenwahn und manchmal auch einfach nur Unkenntnis.
Jeder aber, der in einer Beziehung mit einem Borderliner Kinder zeugt, muß sich der unendlichen Verantwortung bewußt werden. Kinder müssen, damit sie zu gesunden und ausgeglichenen Erwachsenen werden können, ihr Selbst ausbilden. Das aber können sie nicht von einem Borderliner lernen. Nicht weil der Borderliner nicht liebt oder es zu verhindern sucht, sondern weil ein Borderliner nicht weitergeben kann, was er selbst nicht besitzt.
Deswegen ist es so wichtig über Borderline zu reden.
Es braucht ein Ende der Stigmatisierung und den Beginn eines aufrichtigen Dialogs.
Das würden allen helfen, denen, die in eine solche Beziehung aus Unkenntnis gestolpert sind, denen, die als Angehörige versuchen damit zu leben und insbesondere auch den Borderlinern selbst.
Borderline ist eine Persönlichkeitsstörung und zwar eine sehr destruktive. Destruktiv für alle, die damit in Berührung kommen, inklusive für diejenigen selbst.
Ich verstehe die Wut, Trauer und die wahnsinnige Traumatisierung der (Ex-)Partner. Ich verstehe die Hilflosigkeit und Fragen der Geschwister, Eltern und Freunde. Ich habe die unendliche Verzweiflung und den grenzenlosen Selbsthass, welchen Borderliner jeden einzelnen Tag ertragen müssen und manche von ihnen tatsächlich meistern, immer wieder beobachten dürfen.
Mein größtes Mitgefühl gilt allerdings den Kindern, egal ob noch klein oder schon erwachsen.
Viele Borderliner verstehen nach wie vor nicht, wie unendlich anders ihre Wahrnehmung ist und einige wollen, neben dem Nicht-Können des Krankheitsbilds, keine Verantwortung übernehmen. Daneben gibt es unzählige (Ex-)Partner, die von einem langen, extrem beschwerlichen (Leidens-)weg zurück zur Normalität berichten. Beides halte ich für wahr.
Aber wie jeder mentalen Erkrankung entweder als Betroffener oder als Angehöriger inne wohnend, die größten Opfer sind die Kinder.
Denn die sind die echten Grenzgänger zwischen der Normalität von Borderline und der Normalität die, die Nicht-Bordis leben.
Borderliner sind keine Klapperschlangen, Hexen, Teufel oder Monster. Borderliner sind Menschen.
Borderline verändert jeden, der damit in Berührung kommt. Die Betroffenen, die Angehörigen, die Freunde, Eltern und Kindern.
Wie bei allen anderen mentalen Erkrankungen und Störungen auch, wird es Zeit, darüber wertschätzend und aufrichtig zu reden. Borderline macht jeden zum Opfer.
Ach und Klapperschlangen sind ausgesprochen (also für Reptilien) intelligente Tiere mit einem nicht zu verachtenden Maß an Impulskontrolle, die im Übrigen drohende Aggression deutlich und sehr beständig, nämlich durch Klappern, ankündigen, so daß dem Gegenüber ausdrücklich signalisiert wird, daß es Zeit für einen Rückzug wäre.
Der denkbar schlechteste Vergleich von allen.
05.10.2017 19:00 •
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