Ich habe seit dem Sommer einen neuen Freund. Die ganze Geschichte ist ziemlich verrückt; wir lebten damals beide im Ausland, ich war kurz davor zurück nach Hause zu ziehen für einen neuen Job. Wir waren Kollegen und Mitbewohner, so kamen wir uns näher, allerdings völlig überraschend. Es war so unfassbar wunderschön und romantisch, auf der anderen Seite war ich auch skeptisch: er ist 23, ich 29, er spricht kaum Englisch und gar kein Deutsch, wir waren beide in der damaligen Situation sehr nähebedürftig und verletzlich, und wir haben extrem unterschiedliche Hintergründe und Lebenssituationen (ich bin privilegiert großgeworden und habe fast 10 Jahre an Unis verbracht um einen sehr spezialisierten Beruf zu erlernen. Er musste nach dem Tod seines Vaters einspringen und wurde mit 18 quasi Alleinversorger seiner Familie, hangelt sich von Job zu Job und hatte nie Kapazitäten mal etwas nur für sich zu tun). Das größte Fragezeichen war allerdings die Zeit: ich wusste dass ich nur noch zwei Wochen im Land sein würde. Aber dann haben wir beide alle Zweifel über Bord geworfen und es hat sich gelohnt. Es war eine unfassbar märchenhafte Romanze. Natürlich habe ich mir Sorgen gemacht diese komplizierte Sache mit ins neue Leben zu nehmen; es ist immer was anderes wenn man im Ausland ist und alles sich frei, unverpflichtend und leicht anfühlt.
Soviel zur Vorgeschichte; wir haben beide diese wunderschöne und innige Sache nicht aufgeben wollen und sind deswegen mehr oder weniger in eine Beziehung geraten:) wir haben uns besucht so oft es ging, haben unsere gegenseitigen Familien kennengelernt, haben unglaublich schöne Zeiten erlebt und eine enge Verbindung aufgebaut.
Von Anfang an war es aber auch so dass er deutlich stärker auf mich und die Beziehung fixiert war als ich. Er liebt mich abgöttisch, ich wurde noch nie so liebevoll und respektvoll behandelt, er würde alles für mich tun, und wenn wir nicht zusammen sind vermisst er mich so sehr dass es seine Lebensqualität deutlich einschränkt. Ich hingegen genoss zuerst die Freiheit des Reisens, des parallelen Lebens außerhalb meines Berufsalltags. Auch habe mich oft überredet und etwas überrannt gefühlt, beispielsweise wenn er Überraschungs-Flugtickets gekauft hat oder mir immer wieder sagte dass er mit mir zusammenleben will, da ich sein Leben wieder schön mache nach sehr dunklen Zeiten. Ich war zögerlich, was ja auch verständlich ist nach so kurzer Zeit. Nun hat sich die Situation leider sehr stark zugespitzt; er offenbarte mir recht verzweifelt dass er die Situation so nicht weiterführen kann da er durch das viele Reisen keine Möglichkeit hat seine Familie angemessen finanziell zu unterstützen. Ich reagierte natürlich mit Verständnis und Entgegenkommen; daraufhin hat er seinen Job gekündigt (nicht ausschließlich meinetwegen sondern weil es ein furchtbarer Ausbeuterjob war, und ich bin heilfroh dass er endlich den Absprung geschafft hat, da es für ihn einfach eine Qual und würdelos war) und möchte in zwei Wochen zu mir nach Deutschland kommen.
Bevor jetzt Kommentare kommen wie der will nur schnorren, lass deinen Urlaubscasanova da wo er ist (wie ich es in anderen Foren schockierenderweise schon gelesen habe): wir sind beide absolut selbstständige selbstbewusste Menschen und sind uns der Schwierigkeit der Situation vollkommen bewusst. Es geht ihm nicht darum sofort bei mir einzuziehen, er schlug vor sich in der naheliegenden Großstadt erstmal niederzulassen, sodass wir uns wenigstens einfacher sehen können.
Mein Problem ist nun folgendes: ich bin mir einfach nicht sicher. Ich kenne mich selbst und mein Verhalten in Fernbeziehungen, selbst wenn es nur eine Zugstunde entfernt ist. Gerade wenn einer so viel Liebe gibt und emotional so von dem anderen abhängig ist, habe ich Angst davor dass sich schnell ein Ungleichgewicht ergibt, dass ich irgendwann genervt sein werde wegen der Pendelei, dass ich das Gefühl haben werde über meine freien Abende und Wochenenden nicht mehr selbst verfügen zu können. Ich bin im Moment soweit dass ich, obwohl ich ihn vermisse, mich über den Gedanken dass er morgen hier neben mir liegt und nur Liebe herrscht, nicht freuen kann. Wir hatten vor ein paar Tagen eine große Krise über WhatsApp und Telefon, ohne Wut und Streit, aber mit so viel Traurigkeit und Verzweiflung auf beiden Seiten; gleichzeitig mit viel Zuneigung und Respekt und der gegenseitigen Gewissheit dass man den anderen liebt und respektiert und nicht verletzen will.
Ich fühle mich unfassbar gestresst und unter Zeitdruck; ich habe plötzlich tiefgreifende Zweifel an der Beziehung und ob es klappen kann (Sprachprobleme, unterschiedliche Erwartungen, die Gefahr einer Abhängigkeitskonstellation). Ich habe mir ein paar Tage Kommunikationspause erbeten (wofür er nichts als liebevolles Verständnis gezeigt hat), weiß aber immer noch nicht was ich ihm danach sagen soll. Er rechnet damit dass ich, wenn er in zwei Wochen seinen Job abschließt, ihn besuchen komme, wir zusammen packen und zusammen nach Deutschland gehen. Ich habe schon absolut konkret ans Schlussmachen gedacht, habe schon die Nachrichten formuliert. Auf der anderen Seite kann ich mich einfach nicht durchringen, ich möchte ihn nicht verlieren, ich habe Angst eine riesige Chance wegzuwerfen. Ich habe schon früher Beziehungen beendet, bin also ansich dazu in der Lage, auch wenn ich weiß wie schmerzhaft es sein kann. Aber in diesem Fall kann ich mich einfach nicht durchringen, da ich noch Hoffnung habe. Ich weiß aber auch, dass ich ihm nicht die Verbindlichkeit und Zuversicht versprechen kann die er sich wünscht. Das einzige worum er mich bat ist ihm keine falsche Hoffnung oder Versprechung zu machen; leider habe ich das schon einmal getan, wenn auch nicht vorsätzlich. Er malte so begeistert Pläne aus wie wir zusammen leben, dass ich sagte, ich sei bereit dafür es zu probieren; dann bekam ich furchtbar kalte Füße und sagte wieder ab; obwohl ich finde das meine Reaktion verständlich war, verstehe ich auch wie sehr ihn das verletzt und verunsichert hat. Durch seine grundsätzliche Art der leidenschaftlichen Schnellentscheidungen macht er es mir beinah unmöglich, ihn nicht zu enttäuschen. Ich hätte gerne mehr Zeit zum Nachdenken und mich einlassen, aber die haben wir nicht. Ich bin wirklich verzweifelt und gestresst und weiß nicht was ich tun soll. Vielleicht hat jemand der es bis zum Ende der langen Geschichte geschafft hat, einen Rat
12.01.2023 13:39 •
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