Liebe MaraLou,
ich bin seinetwegen/unseretwegen vor drei Jahren in dieses Kaff gezogen (lebte vorher in einer Großstadt und wir hatten eine Wochenendbeziehung), doch von Anfang an lief es hier schief ... angefangen bei meiner beruflichen Situation:
ich hatte eine Chefin, die mir das Leben schwer machte, sodass ich dort weggehen musste, sonst wäre ich irgendwann geplatzt und aggressiv geworden.
Die zweite Stelle erwies sich auch nicht als viel besser, hatte einen Chef, der alle Mitarbeiter um die Gehälter betrog (mittlerweile hat er Insolvenz angemeldet und obwohl ich einen Titel erwirkte, ist bei ihm nichts zu holen), bis hin zum jetzigen, Job, der mich auch nicht befriedigt. Zumindest ist mein Chef ganz okay und ich verstehe mich gut mit ihm - immerhin!
Von Anfang an wehte mir hier ein feindseliger Wind entgegen, und obwohl ich von mir behaupten kann, dass ich auf alle Menschen offen und ohne Vorbehalte zugehe, stieß ich hier auf Wände, die ich so noch nicht kennengelernt habe!
Sein Freundeskreis war von Anfang an gegen mich, obwohl sie mich überhaupt nicht kannten und das, wie ich später erfuhr, initiiert durch seine Ex.
Erst viel später habe ich erfahren, dass er überhaupt nicht richtig mit ihr Schluss gemacht hatte, sodass sie vermutete, ich sei der Auslöser dafür gewesen, dass er sie verließ.
Als ich ihn kennenlernte, waren die beiden nach seiner Aussage schon über drei Monate getrennt... merkwürdigerweise wusste sie aber nichts davon und hatte deswegen alle anderen des gemeinsamen Freundeskreises hinter sich.
Doch anstatt sich hinter mich zu stellen und die Angelegenheit zu klären, hat er den Fehler begangen sich von ihnen zurückzuziehen. Rate mal, wer in deren Augen die Schuld daran hatte?
Ich beschwor ihn, die Gespräche mit allen Beteiligten zu suchen, auch ein abschließendes Gespräch mit seiner Ex, zumal sie ständig darum bat, um einen Abschluss mit ihm zu finden, doch er hat sich feige verdrückt und sich nicht bei ihr gemeldet.
Ich stellte fest, dass er auch bei uns solch ein Verhalten an den Tag legte. Er konnte einfach nicht über seine Gefühle reden. Sobald ich mit ihm über uns reden wollte, machte er dicht... und das ist bis heute so geblieben. Ich insistierte, bat ihn auf alle mögliche Arten mit mir zu sprechen, doch anstatt sich zu öffnen und zu sagen, was ihn belastet, verschanzte er sich immer mehr nerdmäßig hinter seinen Monitor (analog zu seinem Beruf).
Anfänglich wirkte er offen und sozial kompetent auf mich.
Er hatte viele Freundschaften, die ich im Nachhinein allenfalls als Bekanntschaften bezeichnen würde, weil sie nicht authentisch wirken. Das Gefühl, andere Menschen in seinem Umfeld würden ihn gar nicht kennen, beschlich mich mehr und mehr. Außerdem hat er wunderbare Fähigkeiten Menschen für sich zu begeistern, hat große Träume, die ich teilte, kreative Ergüsse, die mich inspirierten.
Aber bei Krisen (und sogar bei Anfragen, nach zwischenmenschlicher Nähe, Hingabe, Hoffnung auf Mitgefühl, etc.) fühlte ich mich ignoriert und ungeliebt.
Wenn ich ihn darauf aufmerksam machte, reagierte er desinteressiert, oder im besten Fall aggressiv, was mir paradoxerweise zuweilen lieber war, denn das beinhaltete zumindest einen Funken Berührbarkeit und zeigte mir, dass es ihm eventuell doch nicht so egal war, wie es manchmal schien.
Er zwang mich dann häufig in die Eigenverantwortung, degradierte meine Bedürfnisse, betonte, dass er meine Gedanken doch nicht lesen könne und meine Traurigkeit nichts mit ihm, sondern mit meinen bisherigen Erfahrungen zu tun habe.
Er nahm sich also aus der Verantwortung, was ich wiederum als verletzend und ambivalent empfand. Er hatte sich doch bereit erklärt einen gemeinsamen Weg zu gehen. Im Nachhinein ist mir klar, dass er überfordert war, weil er die Tiefe meine Empfindungen nicht nach-empfinden KANN.
Wie soll ein Mensch auf seine Partnerin eingehen, wenn er überhaupt nicht begreifen kann was in ihr vorgeht? Ihm bleibt ja dann nur die Darstellung der Fakten, also die logische Kopf-Ebene, wenn er von der emotionalen Herz-Ebene überfordert bzw unberührt ist. Und so bediente er die alten Knöpfe, die ihm so vertraut waren, die Knöpfe zur Ratio und Logik.
Er hatte zwar immer Bereitschaft zum Gespräch und versuchte stets mir ein Ohr zu schenken, nur begriff er leider nichts von dem was ich sagte, und fühlte sich (obwohl ich in Gesprächsführung durchaus Kompetenzen habe) offenbar mit angeblichen Vorwürfen in seiner Unzulänglichkeit attackiert, während ich versuchte, seine Verhaltensweisen und die dahinterliegenden Emotionen zu erfassen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass dort Leere vorherrschte!
Irgendwann fing er an, mir Vorwürfe zu machen und sagte, ich sei für mich selbst verantwortlich und an erster Stelle käme nur er. Dann seine Arbeit, dann sein Freundeskreis und dann käme ich, und das, obwohl er vorgab, mich zu lieben. Ich kapierte das alles nicht und das stürzte mich in eine tiefe Verzweiflung.
Das alles hat mich fast verrückt werden lassen. Ich lebe hier in einer Umgebung, in der ich keine Freunde habe (meine zwei Freundinnen die ich habe, leben ein paar hundert Kilometer von mir entfernt), habe einen Job, der mich nicht ausfüllt, einen Partner, dem das alles irgendwie egal war und der nicht hinter mir stand, und zu guter Letzt auch noch seine Freunde gegen mich. Letztgenanntes entwickelte sich zwar im Laufe der Zeit so, dass ich irgendwie an seiner Seite geduldet war, aber mehr als eine nette Bekanntschaft konnte nie daraus entstehen, da er die Sache mit seiner Ex nie geklärt hatte.
Auch auf der körperlichen Ebene entwickelte er Ambitionen, sich mehr und mehr von mir zurück zu ziehen. Zum Schluss war es so, dass ich ihn darum bitten musste, mich mal in die Arme zu nehmen... wie ich das hasste! Das nagte ungemein an meinem Selbstbewusstsein, wie Du Dir sicher vorstellen kannst .
Er wurde immer mehr zum Bestimmer, indem er die Vorgaben machte, wann wir uns sahen und Zeit miteinander verbringen konnten. Wenn ich ihn nach einer Woche fragte, hast du denn so gar keine Sehnsucht nach mir?, bekam ich zu hören: ich will ehrlich sein, nein habe ich nicht. Ich habe soviel Arbeit, dass ich gar nicht an dich denke.
Alle diese Verletzungen habe ich viel zu lange passieren lassen, stets von dem Gedanken angetrieben, wie schön es zu Anfang zwischen uns war. Wie sehr er sich nach mir sehnte, als ich noch nicht in seiner Nähe wohnte. Doch kaum lebte ich hier, war es so, als ob ich es mit einem ganz anderen Menschen zu tun hatte. Und das, obwohl er sich vorab unbändig freute und mehr als nur einverstanden war, als ich ihn zu meinen Umzugsplänen in seine Richtung befragte.
Er half mir tatkräftig meine Wohnung einzurichten, indem er meine Einbauküche installierte u.v.m., doch als ich wegen eines Meniskusriss ins Krankenhaus musste und operiert wurde, war mit einem Schlag alles vorbei.
Als ich ihn fragte, wieso er jetzt plötzlich anfange sich zurückzuziehen, jetzt, wo ich ihn dringend brauchte (konnte noch nicht schwer tragen, sodass er die Einkäufe erledigte), bekam ich zu hören: Irgendwie ist jetzt meine Verliebtheit vorbei, denn durch Deine OP ist der Alltag eingekehrt.
Ich verstand überhaupt nicht, was er damit meinte, sagte ihm, dass ich mich doch durch die OP nicht verändert habe (zumal es mir binnen drei Wochen wieder recht gut ging), dennoch war seitdem der Wurm drin und setzte sich so fort, s.o.
Ich habe mich schließlich von ihm trennen müssen, weil ich seine Ambivalenz, den Schmerz und dieses benutzt-fühlen, ihn nur immer dann zu sehen, wenn es ihm passte, nicht mehr ertragen konnte.
Ich bleibe mit einem Ohnmachtsgefühl zurück und frage mich häufig, wo der geliebte Mensch hin ist, oder ob es ihn je gegeben hat. Er fehlt mir noch so sehr, denn meine Gefühle für ihn sind ja noch da. Ich habe mich ja nicht aus mangelnder Liebe ihm gegenüber getrennt, sondern weil es mich auf Dauer noch mehr geschädigt hätte, in dieser unbefriedigenden Beziehung zu bleiben. Ich wurde immer kleiner, mein Selbstwert war total im Keller.
Mittlerweile habe ich jeglichen Kontakt zu ihm abgebrochen, obwohl er plötzlich jetzt andauernd fragt, wie es mir geht. Ich vermute, aus einem schlechten Gewissen heraus, denn dass er Mist gebaut hat, weiß er.
Es hat eine kleine Weile gedauert, bis ich erkannt habe, dass es nicht nur gesünder, sondern notwendig für mich ist, keinen Schritt auf ihn zu zugehen. Wenn ich es weiterhin tun würde, ginge ich daran zugrunde.
Ich merke im Nachhinein, dass er sich mit dieser Unberührbarkeit nicht wohl fühlte. Auch seine vorherigen Partnerinnen können ein Lied davon singen, wie kalt er sich plötzlich verhalten kann, obwohl er zu Beginn alle Register zieht, eine Frau für sich zu gewinnen.
Wenn er so unberührbar bleibt und damit zufrieden ist, ist das seine Sache. Offenbar ist sein Leidensdruck nicht groß genug, denn sonst würde er sicher daran etwas ändern. Auch mein Vorschlag, eine Paarberatung aufzusuchen, schlug er in den Wind.
Ich muss nun lernen zu respektieren und schmerzlich anzuerkennen, dass unsere Träume, Wünsche und Ziele nicht kompatibel waren.
Die Option, ihm da raus zu helfen habe ich übrigens oft in Erwägung gezogen und musste dann doch realisieren, dass ich in all meiner Berührbarkeit keinen heiligen Gral für ihn zur Hand habe und mich selber schützen muss, es in seiner Eigenverantwortung liegt, die Dinge in Angriff zu nehmen. Aber ich vermute, das wird er nicht tun, sondern sich ein neues Opfer suchen.
Liebe MaraLou, das ist jetzt leider alles ziemlich lang ausgefallen, aber ich sah mich außerstande, meinen komplizierten Ex, diesen Gefühlskrüppel, mit wenigen Sätzen zu beschreiben, wollte Dir aber meine Antwort auf Deine Frage nicht schuldig bleiben. Außerdem tut es gut, das alles mal aufzuschreiben, das macht doch einiges klarer.
Danke fürs Lesen
Abby
22.06.2012 22:32 •
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