Zitat von ElGatoRojo: Wie kommst du auf dies dünne Brett?
Mein Gedanke zur Biologie in dieser Hinsicht:
Ich bin keine Gans. Ende der Argumentation.
Naja, nicht ganz. Ich möchte nur vorrausschicken, dass ich diese biologistische Argumentation hochproblematisch finde.
Weil sie sich wissenschaftlich gibt, und trotzdem sehr viel Interpretation dabei ist, was der Argumentation aber normalerweise nicht bewußt ist. Und noch aus anderen Gründen.
Weiterhin möchte ich darauf hinweisen, dass die Frage der Kinderaufzucht eigentlich mindestens zur Hälfte eine soziale ist, weil es ganz verschiedene soziale Übereinkünfte geben kann (und weltweit gibt, und auch bei uns gegeben hat), wer für Kinder aufkommt und sorgt.
Also, trotzdem meine biologistische Argumentation:
Wenn wir uns im Tierreich umschauen, ist lebenslange Monogamie eher bei *beep*, äh... der Tierfamilie mit den Flügeln, zu finden. Mir fallen immer Gänse und Papageien ein. Mir fällt kein einziges (schon gar kein uns nah verwandtes) Säugetier ein, aber wenn jemand Beispiele hat, gerne her damit. Das wäre für mich der erste Hinweis, dass uns zumindest die lebenslange Monogamie nicht in die Wiege gelegt ist.
Der zweite Hinweis ist, dass Männer und Frauen ja ganz offensichtlich in der Lage sind, sich immer wieder zu verlieben. Ich behaupte mal, dass Gänse oder Papagieen in diesen Konflikt nicht kommen. Nicht umsonst haben wir extrem starke soziale Regularien (weltweit von wirtschaftlichen Zwängen über Ächtung bis Todesstrafe, Stichwort Steinigung), die die Partner, besonders die Frauen, bei ihrem lebenslangen Partner halten sollen. Das ist ein großer Hinweis darauf, dass ohne diesen massiven Druck von Außen, Beziehungen eher selten, mindestens bei weitem nicht immer, lebenslang halten würden. Normal müssen wir bei Dingen, die unserer Biologie entsprechen, keine massiven sozialen Normen einführen, oder gar Druck ausüben.
Wenn man sich der Sache von einer anderen Seite aus nähert, dann läßt ja erstaunlich häufig von (mindestens) einer Seite aus der S. nach dem Hormonrausch deutlich nach. Was vorher einfach und selbstverständlich war, bedarf auf einmal der Arbeit.
Das alles bringt mich zu der Annahme, dass S. Liebesbeziehungen mindestens häufig (ich sage nicht immer!) ein Ablaufdatum haben.
Soweit würde die Argumentation aber nur gegen lebenslange Monogamie sprechen, und nicht für Poly. Serielle Monogamie wäre soweit immer noch genauso im Spiel.
Für serielle Monogamie würde in meinen Augen sprechen, dass zumindest die Verliebtheit ja schon ein recht exklusives Gefühl zu sein scheint. Mehrere Menschen lieben, ok, in mehrere Menschen gleichzeitig verliebt sein, kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Das OdB verdrängt in dieser Phase sehr effektiv alles andere aus unserem Gehirn. Ein weiterer Hinweis, der diese These stützen würde, wäre dann doch wieder die Kinderaufzucht: Ein Hormonrausch dauert in der Regel 1-3 Jahre, was so ziemlich der Zeitspanne entsprechen würde, in der das Kind in, auf und von der Mutter lebt, in der Mütter also vermutlich ganz besonders auf Unterstützung angewiesen sind.
Für Poly wiederum spricht in meinen Augen, dass Menschen ja anderseits ein großes Bedürfnis nach lebenslangen, stabilen Bindungen haben. Das ist ja auch wissenschaftlich sehr gut belegt. Das wird wiederum gestützt vom Liebeskummer, der ja sogar nur bei leidlich glücklichen Beziehungen bei deren Ende eintritt, ja oft sogar bei einem Warmwechsel. Und jeder Hormonrausch scheint ja eine starke Bindung, auch über diesen Hormonrausch hinaus, zu erzeugen. Das macht es uns ganz und gar nicht einfach, langjährige Partner zu verlassen.
Was also würde näher liegen, als sich gegenseitig weiterhin die lebenslange, stabile Bindung zu sein, und sich gegenseitig die Hormonräusche zu gönnen, die vielleicht in ein paar wenigen Fällen im Leben zu weiteren, stabilen, langjährigen Bindungen werden.
Eine Nebenfrage, die sich hier auftut, ist folgende: War es von der Biologie wirklich so gedacht, dass Liebespartner diese lebenslangen, stabilen Bindungen sein sollten? In meinen Augen spricht viel dafür, dass das biologisch der matriarchale Clan (nicht die patriarchale Großfamilie!) sein sollte. In dem Zusammenhang, und um ein Gespür dafür zu bekommen, wie unterschiedlich Liebesbeziehungen und Kinderaufzucht organisiert sein können, empfehle ich den Wikipediaartikel über die Moso in China.
Das zeigt aber auch wieder, wie schwierig es ist, biologisch zu argumtieren. Gleiche biologische Vorraussetzungen können zu ganz unterschiedlichen sozialen Konstrukten führen. Ich würde hier vermuten, dass dasjenige soziale System besser ist, das weniger Zwang ausübt, und zu weniger inneren und äußeren Konflikten führt.
Gleichzeitig können wir halt unser Leben nur innerhalb der (aus welchen Gründen auch immer genau so) gewachsenen sozialen Zusammenhängen führen. Und unsere Urteile, Meinungen, Werte usw. werden immer sehr stark von diesen sozialen Konstruktionen eingefärbt sein, und zwar so stark und so subtil, dass wir uns schon anstrengen müssen, um es überhaupt zu bemerken.
Soweit meine Gedanken zur Biologie.