Hallo Shanna, hallo Birgit, hallo Irmi!
Ach, ihr Lieben, dass ich hier bisher nichts über meine Gefühle geschrieben habe, liegt daran, dass sie momentan nicht problematisch für mich sind. Natürlich hätte ich lieber andere Empfindungen wie Glück, Lust usw., aber ich finde nicht falsch, dass ich jetzt wütend bin, Sehnsucht habe und es mich schmerzt, so ins Leere zu lieben.
Es stimmt eigentlich nicht, dass ich meine Wünsche hinten anstelle. Nur ist was ich am dringendsten wünsche nicht zu haben, es existiert schlichtweg nicht. Selbst wenn ihm jetzt einfiele, dass er doch lieber mit mir zusammen sein will, würde ich ihn nicht wollen, weil ich kein Vertrauen in die Stabilität dieser Entscheidung hätte. Er hat von Anfang an klargemacht, dass er auf keinen Fall auf seine neue Flamme verzichten würde, ja behauptet, er könne es nicht. Nicht nur, dass er sich verliebt hat und diesem Gefühl nachgegeben hat, er hat nicht einmal ansatzweise versucht, dem zu widerstehen, bei mir zu bleiben, mir treu zu sein. Deshalb würde ich eine Wiederbelebung unserer Beziehung nur wollen, wenn ich den Eindruck gewinnen könnte, seine Haltung habe sich ernsthaft verändert, weil ich nicht bereit bin, eine Beziehung zu führen, in der ich mich ununterbrochen fürchte. Die Haltung den eigenen Gefühlen gegenüber kann man aber nun einmal nicht einfach umschalten; selbst wenn er eine Einstellung zur Liebe entwickeln sollte, die mit meiner in Übereinstimmung zu bringen ist, wird es für uns zu spät sein, da so etwas eben ziemlich lange dauert.
Von diesem speziellen Wunsch abgesehen behandle ich mich im Moment ziemlich gut, gehe spazieren, ins Theater, ins Kino etc., wofür ich eigentlich überhaupt keine Zeit habe, genehmige mir luxuriöse Lebens- und Körperpflegemittel, für die ich eigentlich kein Geld habe und strapaziere meine Freundinnen. Drei sind es, die mich in den letzten Wochen wirklich aufgefangen habe und ohne die mein Selbstwertgefühl sicherlich Schaden genommen hätte. Aber die Tatsache, dass diese drei großartigen Frauen ihre (aus Zeitmangel) seltenen Freizeitvergnügungen ohne das geringste Zögern haben sausen lassen, um mir beim Heulen und Zähneklappern Gesellschaft zu leisten, hat mir das Gefühl gegeben, dass ich schon irgendwie in Ordnung sein muss. Drei souveräne, erfolgreiche und kluge Frauen legen großen Wert auf mein Wohlergehen und geben sich deshalb erhebliche Mühe: da muss doch der Typ, der mich abserviert, wohl einen ziemlichen Sprung in der Schüssel haben, oder? Außerdem lese ich ziemlich viel, all' die Bücher, die ich in den letzten Jahren sowieso mal lesen wollte, aber nicht konnte.
Nun, das ist alles schon wieder ziemlich intelligibel und ihr wolltet doch Gefühle. Sollt ihr haben: dieser Mann ist, abgesehen von der Inkompatibilität unserer Auffassungen von Beziehung, in jeder Hinsicht wundervoll. Soll heißen, überall da, wo ich Anziehung brauche, ist er in äußerstem Maß anziehend und seine Fehler sind so geartet, dass sie mich nicht interessieren. Ich liebe ihn mehr, als ich mir jemals hätte vorstellen können. Dass es möglich ist, einen Menschen zu finden, den ich so grundsätzlich und vollständig akzeptieren könnte, dem ich mich ohne jeden Vorbehalt zuwenden könnte, habe ich bevor ich ihn kannte, nicht geglaubt. Und jetzt gibt es keinen Bereich meines Lebens, in dem er nicht eine verdammt große Lücke hinterlassen hätte. Zwar fühle ich mich nicht vermindert dadurch, das er gegangen ist, habe ich nicht den Eindruck selbst weniger zu sein als vorher, ja ich bin nicht einmal einsam, aber ich habe das Gefühl, den einen Menschen verloren zu haben, den ich mit allem was mich ausmacht lieben kann. Und das tut verdammt weh.
Danke für Eure Anteilnahme, tut mir wirklich gut.
Hannah
P.S.: Irmi, das mit der Reduktion von Gefühlen auf Hormone haut so nicht hin. Das ist ein Fehler, der auf den cartesianischen Leib-Seele-Dualismus zurückgeht und bis heute durchgeschleift wird. Analog zum Leib-Seele-Verhältnis glauben viele heute, Hormone seien eine Angelegenheit und Gefühle, durch Hormone kausal verursacht, eine andere. Das ist aber eine unhaltbare Betrachtungsweise, weil sie das Phänomen nicht angemessen beschreibt, von Erklärungen mal ganz zu schweigen. Allmählich setzt sich die m.E. richtige Ansicht durch, dass Hormone und Gefühle zwei Aspekte desselben Dings sind. So wie Materie und Form zwei Aspekte von Körpern (soll heißen, ausgedehnten Gegenständen) sind. Gefühle werden nicht von Hormonen ausgelöst, sondern Gefühle und Hormone sind dasselbe, nur mit unterschiedlichen Mitteln betrachtet. Zu den Hormonen kommst Du, wenn Du dem Menschen mit den Instrumentarien der Biologen und Chemiker zu Leibe rückst, Gefühle findest Du in der Selbstbetrachtung. Hoffentlich habe ich mit diesem kleinen philosophischen Exkurs niemanden gelangweilt.
27.06.2001 15:21 •
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