Hallo ihr Lieben,
ich möchte Euch gerne ein bisschen Mut machen.
Meine Trennung nach 20 gemeinsamen Jahren, ist jetzt schon über ein Jahr her und alles was ihr beschreibt kann ich ungefähr genau so unterschreiben. Allerdings habe ich keine Kinder, was in so einer Situation für mich Fluch oder Segen zugleich war. Ich war sozusagen mit mir und meinen Gefühlen alleine, musste für mich selbst funktionieren und auch weiterleben. Am Anfang hatte ich genau das was ihr beschreibt: Tiefste Verzweiflung, Unverständnis, Kopfkino, Schlaflosigkeit, Sorgen, hektischen Aktivismus, Riesenangst vor den Wochenenden, Hoffnung, Wut und Schuldgefühle, jeden Tag stundenlang geheult, auf der Arbeit irgendwie funktioniert, bei Freunden zwischen Trauer und fassaderem es wird schon. Wenn jemand bei mir war, oder ich telefoierte ging es ganz gut, sobald ich alleine war bin ich ins Loch gefallen, es hielt mich nichts. Ich habe versucht jede kleinste Regung der anderen Seite zu analysieren und damit bestimmt viele Freundinnen reichlich genervt. Ich fühlte mich schuldig und furchtbar klein, ausgeliefert, hilflos und als Opfer. Es war einfach nur schrecklich, eigentlich die schlimmste Zeit in meinem über 50-jährigem Leben.
Das Gute an dieser furchtbaren Phase war aber, dass ich insgesamt viel aktiver wurde als vorher. Auch ich musste mir eine Wohnung suchen. Zum Glück hatte ich Freundinnen, aber ich habe auch viele Menschen aus meinem entfernteren Bekanntenkreis ganz neu kennen gelernt. Es haben sich tatsächlich einige Türen aufgetan. Auch habe ich mir plötzlich Zeit genommen für kleinere Begegnungen z.B. mit einer Verkäuferin im Laden oder irgendjemandem neben mir auf der Parkbank.Ich hatte eine Phase in der ich viel Sport gemacht habe, aber wohl eher um gut auszusehen damit sie wiederkommt.
Naja und ganz allmählich fing es an und das hat bestimmt 4 oder 5 Monate gedauert. Ich hatte einen Horror vor freier Zeit und besonders vor den Wochenende. Dann das erste Wochenende was ich nicht wie irre verplant hatte. Ich konnte einfach nicht mehr, hatte mir immer jemand eingeladen, bin irgendwo hin, war laufen oder sonst irgendwas und das war auch sehr anstrengend, der Umzug ich war schlicht fertig. Ich habe einen ziemlich fordernden Vollzeitjob. Und siehe da, es war gar nicht so schlimm wie ich befürchtete. Ich habe das erste Wochenende überstanden. Hatte mir Bücher zugelegt, irgendwas was mich fesselt und nicht zu schwer zu lesen ist. Ich lese gerne, konnte mich aber wochenlang auf fast nichts konzentrieren. Habe mich hinter Büchern und der Glotze versteckt. Aber es ging und seitdem geht es immer besser. Geholfen hat mir dass ich irgendwann die Kontaktsperre konsequent einhalten konnte. Das war für mich ein sehr wichtiger Schritt. Jeder noch so kleine Kontakt hatte mich völlig aus der Bahn geworfen und Infos kratzen bis heute an meiner Seele. Aber auch das wird langsam weniger.
Und so ging es langsam weiter auch in anderen Bereichen. Dank Baldrian konnte ich sogar wieder ein paar Stunden am Stück schlafen. Ich habe eine Kochgruppe gegründet und mittlerweile habe ich eine Clique, um tanzen zu gehen. Und ich bin in Urlaub gefahren, das erste mal in meinem Leben ohne Menschen die ich kenne, aber mit einer Gruppenreise in ein Land das ich schon immer kennenlernen wollte.
Blöd waren Feiertage, das hätte ich niemals gedacht. Ich bin überhaupt nicht sentimental in dieser Beziehung. Aber die waren wirklich schwierig, also unbedingt sehr gut planen, kann ich nur dringend empfehlen. Aber auch die habe ich überlebt, trotz der ganzen Trauer, die natürlich da war. Ich habe nur funktioniert in der ganzen Zeit und das noch nicht mal schlecht. Und ich hatte Auf- und Abs, es ging mit eigentlich viel besser und dann rumms war wieder alles aus. Aber eigentlich hat mich jedes neue Tief auch ein bisschen weiter weg gebracht, jede neue Info ein bisschen Distanz gewinnen lassen und jedes Tief war ein bisschen kürzer.
Mittlerweile erkenne ich, das ich immer dann besonders verzweifelt war, wenn ich mich in Grübeleien und Phantasieren verrannt habe wie toll es wohl auf der anderen Seite ist (Warmwechsel). wie glücklich sie sind und wie wenig sie an mich denkt. Ich habe mich in diesen Gedanken gesuhlt und ich habe immer wieder in Gedanken die ziemlich furchtbaren Situationen rund um die Trennung durchlaufen lassen. Lasst es sein. Ich weiß das ist leicht gesagt. Aber das war genau der Punkt, der mich immer wieder ins Tal der Tränen und Verzweiflung katapultiert hat. Mit dem ich mich immer wieder selbst zum Opfer werden lies, die Abwertungen durch die Gegenseite wieder auf mich einprasseln und damit Wirklichkeit werden lies und ich mich dadurch selbst geschwächt habe. Denkt an Euch, denkt an das Jetzt, nur Ihr und Eure Kids seid jetzt wichtig. Nicht an die Vergangenheit denken, die ist rum und unveränderbar. Letztlich ist im Moment auch egal wer Opfer oder Täter ist. Nehmt Euch ernst, den Augenblick wahr, die neue Wohnung Eure Oase oder das Wunder das und wie gut ihr funktionieren könnt in solch furchtbarenen Zeiten. Nehmt die Menschen wahr, denen ihr begegnet und die Euch gut tun und versucht Eure Stärke zu erkennen. Ihr seid liebenswerte und starke Menschen mit Herz, Verstand und Tatkraft- ich hatte das bei mir zu lange nicht mehr gesehen.
Heute geht es mir viel besser. Eine neue Partnerschaft kann ich mir noch überhaupt nicht vorstellen. Ich versuche von anderen Singles zu lernen. Und ich genieße es bisweilen richtig, alleine zu sein, alleine zu bestimmen wie mein Wochenende wird. Und es hat tatsächlich 1 Jahr gedauert, es ist also was dran am Trauerjahr. Und erst in den letzten Wochen ist es so, dass ich dies alles nicht nur im Kopf weiß, sondern angefangen habe es zu spüren. Mich wieder richtig und unbechwert freuen kann, die Schwere abgefallen ist. Ich spüre eine neue Stärke in mir, ich bin viel gefühlvoller und ich habe mich besser kennen gelernt mit meinen Stärken und meinen Schwächen. Ich habe sogar gelernt um Hilfe zu bitten. Ich beschäftige mich nicht mehr mit der Frage ob ich jemals wieder jemanden vertrauen kann, sondern damit das Vertrauen in mich selbst zu stärken, was ich ganz schön schwierig finde.
Ich bin sicher Euch wird es genauso ergehen, auch ihr werdet Stärke in Euch erleben, die ihr so nie vermutet hättet. Ihr werdet Menschen begegnen, denen ihr nie näher gekommen wäret und ganz langsam wird es Euch besser gehen. Ihr werdet Dinge anpacken, die ihr Euch nie zugetraut hättet. Und ihr werdet Euch besser kennenlernen und wieder schätzen lernen. Glaubt an Euch, Ihr seid wertvolle Menschen und noch eins: es wird wirklich besser. Jede Situation die ihr besteht und jedes Gefühl dass ihr durchlebt wird Euch stärker machen.
Und ganz banal: lasst Euch nicht über den Tisch ziehen, regelt finanzielle Dinge so früh wie möglich, sichert und kopiert Unterlagen und scheut Euch nicht zum Anwalt zu gehen.
Schönes Wochenende
15.08.2015 09:02 •
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