In solchen Beziehungskonstellationen kann man so wunderbar aneinander leiden. Seltsamerweise finden hier zwei Gegenstücke zueinander, die unterschiedliche Bedürfnisse haben und doch zueinander passen. Denn der eine hat das was dem anderen fehlt.
Der eine ist derjenige, der enge Bindungen nicht aushalten kann und dann sucht er unbewusst einen Partner, der genau das Gegenteil ist und immer nach Nähe sucht. In einer engen Beziehung verstärken sich die Unterschiede noch, weil sich hier alles verstärkt. Glücklich wird auf lange Sicht keiner damit, denn jeder leidet unter den Defiziten.
Der bindungsvermeidende Partner fühlt sich eingeengt, verweigert körperliche Nähe, sortiert den Partner als unattraktiv ein und fängt an, ihn innerlich abzuwerten. Der bindungssuchende Partner dagegen spürt die Mauern, gegen die er erfolglos rennt, sucht verzweifelt eine Tür zum Turm, die nicht verschlossen ist und leidet unter der Zurückweisung.
Solche Beziehung sind meist sehr stressbeladen, bis einer die Reißleine zieht, was in der Regel der Bindungsvermeider tut. Denn er gibt den Takt in der Beziehung vor, er entscheidet, ob er gerade Nähe zulassen kann oder wieder mal nicht und der Partner lebt von den Bröseln, die er abkriegt.
Das Gleichgewicht stimmt hinten und vorne nicht, weil die Waagschale einseitig auf eine Seite hängt.
Die Beziehung ist im Grund genommen schon tot und weil der Bindungsvermeider den Partner als lästige Klette empfindet, der ihn in seinem Handlungsspielraum einengt und begrenzt, ist die Trennung die logische Folge.
Dann geht das Leiden weiter, insbesondere für den Nähe Suchenden, denn der steht jetzt vor dem Scherbenhaufen, sieht zu, wie der geliebte Partner sich vom Acker macht und darüber sogar erleichtert ist. Er leidet beim Abschied ungleich schwerer und länger, denn was ist seine Perspektive?
Um das auf Euch zu übertragen, hast Du als Perspektive etwas Erstrebenswertes, Freiheit, endlich Freiheit, Unbeschwertheit und obendrein noch den Spanier, der von der Ferne lockt und jetzt als mega-attraktiv erscheint, eben weil er noch weit weg ist. Von fernen Männern zu träumen, ist sehr erfüllend, denn die haben mit der Realtität nichts zu tun. Man weiß nicht viel voneinander, entwirft aber schreibend wundervolle und idealisierende Konstrukte und träumt von Nähe mit dem, man nicht kennt.
Wenn man ihn dann länger kennt, geht das Spiel von vorne los. Der neue Partner ist nicht so toll wie man glaubte, die Zeit der Rosen und Geigen ist irgendwann auch vorbei und der Alltag kommt, dem man nicht mehr viel abgewinnen kann. Also geht der Bindungsvermeider wieder seiner Wege, der Andere jammert und klammert weil er nicht das kriegt was er braucht und will und wird sozusagen zum Bittsteller nach jedem bißchen Nähe. Er will 6, völlig logisch und zwar auch deswegen, weil es oft der einzige Ort ist, wo er noch den Traum von Nähe spüren kann, wenn auch nur für kurze Zeit.
Ich schätze, Du lebst sich wiederholende Beziehungsmuster und fährst wie auf einem Karussell. bloß den Ausstieg findest Du nicht und so fährst Du eben immer weiter im Kreis, nur dass Du vom Feuerwehrauto mal aufs Pferdchen kletterst ehe Du aufs Motorrad steigst.
Den Wunsch nach Nähe verspüren beide aber sie leben diesen Wunsch ganz verschieden aus. Der Bindungsvermeider sucht sich seine Freiräume und Fluchtpunkte wie den Spanier, der ach so ideal ist, weil Du ihn nicht kennst, aber Dir ein Bild von ihm gemacht hast. Virtuelle Kontakte sind der der ideale Nährboden für Idealisierungen und wecken Sehnsüchte. Die Sehnsucht nach Nähe nämlich, nach Übereinstimmung, nach Vertrauen, nach Liebe. Der Bindungsvermeider ist eine Art einsamer Reiter, der immer weiter reitet und die ideale Ranch sucht, wo er bleiben kann. Aber ach, überall wo er anhält, ist was und dann sucht er weiter, immer nach der Suche, obwohl er oft gar nicht so recht weiß, was er sucht, aber hinter dem nächsten Hügel könnte er es finden und könnte endlich ankommen.
Der Bindungsvermeider lebt eigentlich einen Traum von Nähe, die er in der Realität kaum aushalten kann und der bindungssuchende lebt auch nur einen Traum, von dem er hofft, dass er Wirklichkeit wird und ein dauerhaftes Glück beschert.
Woher die Bindungsvermeidung kommt, ist nicht sicher. Oft spielen frühe kindliche Prägungen eine Rolle. Wenn sich ein Kind oft allein gelassen fühlt, das Gefühl hat, dass es allein mit allem klar kommen muss, dann kann das durchaus verstörend wirken und sich im Unterbewusstsein festsetzen. Auf der bewussten Ebene ist der Freiheitsdrang, die Verweigerung von Verantwortung spürbar, darunter aber liegen die Ängste. Nichts wünscht sich der Bindungsvermeider so sehr, wie eine Übereinstimmung und das Gefühl von Ankommen und Geborgenheit, aber wenn er es dann hat. durchtrieben er wieder alles. Nicht aus böser Absicht, aber es ist das innere System. Innere Bindungen werden abgelehnt, weil man damit schlechte Erfahrungen gemacht hat und so meldet sich das Unterbewusstsein und triggert, verlass Dich bloß auf nichts, lass Dich auf keinen enger ein, denn das geht todsicher kaputt und Du wirst verlassen. Ehe Du verlassen wirst, gehst Du lieber selbst, denn der Verlassende hat die Kontrolle. Er hat sie immer, denn er bestimmt über Nähe und Distanz und wenn er geht, dann auch, denn er hat entschieden.
Unterschiedliche Bezugspersonen, fehlende Elternteile, Trennungen - all das ist ein guter Nährboden für Bindungsängste.
Der Bindungsvermeider ist nicht sonderlich mutig, er scheint nur so zu sein, denn seine Ängste dirigieren ihn. Und der Bindungssucher ist meist der Waschlappen in der Beziehung, der nicht viel zu melden hat. Klagen, Vorwürfe, Tränen, manchmal auch Wut über die Ungerechtigkeit sind seine Waffen, mit denen er nichts ausrichten kann. Denn je mehr er klammert, desto mehr flüchtet der Andere.
Übrigens, auch Affären, Verschweigen, die Suche nach einem anderen Partner, mit dem vermeintlich alles besser sein wird, sind bindungsvermeidende Manöver. Zwar unfair, aber sie liegen in der Natur der Sache.
Dass Deine Familie Deiner Lebensführung unverständlich gegenüber steht, ist nicht verwunderlich. Es ist sogar oft so, dass Geschwister da ganz unterschiedlich ticken. Ich kannte mal drei Brüder, zwei lebten ganz normal mit Familie und Kindern und waren zufrieden, aber Nummer drei hatte wechselnde Partnerinnen, Kinder von unterschiedlichen Müttern und vergraulte auf lange Sicht alle Frauen, weil er irgendwann anfing sie zu demontieren.
Der hatte wahrscheinlich eine andere Sozialisation erfahren und hatte ein chaotisches Beziehungsleben.
Bindungsängste sind nur schwer heilbar und vor allem nicht ohne Ursachenforschung. Gelingt es, Impulse aus dem Unterbewusstsein auf die bewusste Ebene zu holen, kann man anders damit umgehen und ist weniger ein Opfer seiner inneren Muster. Aber das jemals ganz in den Griff zu kriegen, ist eher unwahrscheinlich.
Es gibt sogar Bindungsvermeider, die in unterschiedlichen Beziehungen mal die untergeordnete und klammernde Rolle einnehmen und bei einem anderen Partner wieder die aktive Rolle übernehmen.
Bindungsvermeider sind meistens beide. Der eine vermeidet aktiv, maskiert seine Ängste mit Unabhängigkeitsstreben und Freiheitswillen und der passive Partner (also in Eurem Fall er) kommt von hinten, denn er sucht meistens da nach Liebe, wo er sie nicht findet. Er vermeidet so auch feste Bindungen aber er erkennt es noch schlechter. Das sind dann diejenigen, die irgendwann frustriert sagen: ich weiß auch nicht, warum ich nie was Richtiges finde. Diejenigen, in die ich mich verliebe, sind entweder schlecht erreichbar (weil sie vlt. auch gar nicht interessiert sind), oder sie sind vergeben oder zu alt oder zu jung. Es wird strategisch und vom Unterbewusstsein aus ein Partner gewählt, an dem man sich dann abarbeitet und meistens erfolglos.
Hast Du Dich schon mal mit Bindungsängsten befasst? Du scheint mir ein Paradebeispiel zu sein, denn es passt vieles ins Bild.
Freiheitswillen, Unabhängigkeitsstreben, Druckempfinden, häufige Umzüge, diverse Distanzmanöver die den Partner auf Distanz halten, Abwehrreaktionen, innere Abwertung des Partners und Hinwendung zu einem anderen möglichen Mann, dem Spanier und damit Leben in Sehnsüchten.
Begonie
24.04.2020 11:39 •
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