Liebe Schwester,
was ich dir schreiben werde, ist vielleicht nicht das, was du gern hören willst. Aber ich hoffe, dass es dir vielleicht hilft, einige Dinge zu überdenken.
So wie ich aus deinen Schilderungen entnommen habe, ging es dir doch eigentlich ganz gut. Du hattest deine Beziehung (in der dir aber scheinbar doch irgend etwas gefehlt haben muss), du hattest deine s.uelle Befriedigung (nehme ich zumindest an) und du hattest diesen Freund, der doch offensichtlich durch sein Bemühen um dich auch dein Selbstbewußtsein sehr gestreichelt hat. Aber wie war es denn umgekehrt? Kannst du dir nicht vorstellen, dass dein Freund durch deine Abweisung - ich kann es nur als solche bezeichnen - sehr gelitten , an sich gezweifelt hat? Sag mir bitte, was das für eine Freundschaft sein soll. Du hast doch gemerkt, dass es ihm damit nicht gut ging. Und wenn du ihm wirklich eine Freundin sein wolltest, wie kannst du dann so verletzt sein, weil er versucht hat, seinen Schmerz, dessen Ursache in deiner körperlichen Zurückweisung liegt, zu bekämpfen. Ist es nicht natürlich oder sogar ein Gewinn für ihn, dass er in der Lage war, mit anderen Frauen zu schlafen? Das heißt doch nicht, dass er dich nicht trotzdem wollte, aber in der Zeit, in der du eigentlich durch deine Beziehung ganz gut versorgt warst, musste er mit sich allein zurecht kommen. Liebe Schwester, weißt du wirklich nicht, wie sehr er sich gequält haben muss? Du sagst, du warst ihm eine liebe zärtliche Freundin - wie soll ein Mann das denn aushalten??? Ich halte ihn (nach deinen Schilderungen) keineswegs für krank. Nimm es mir nicht übel, aber ich halte deine Motive für sehr egoistisch - du bist in deiner Eitelkeit verletzt, weil er sich auch anderen Frauen zugewendet hat. Vielleicht wäre das ja gar nicht passiert, wenn er bei dir eine Chance gehabt hätte. Und dass er es dir nicht ehrlich gesagt hat - erstens hatte er wohl Angst, dich dann ganz zu verlieren und zweitens, welche Rolle spielt das in einer Freundschaft. Liebe Schwester, ich denke, du solltest vielleicht mal über deine Beziehung nachdenken, von der du hier ja gar nichts erzählt hast. Aber es muss einen Grund geben, warum du diesen Freund in dieser Art und Weise so gebraucht und nach meinem Empfinden - benutzt hast. Kann es sein, dass dein Problem ganz wo anders liegt? Fehlt dir vielleicht in deiner Beziehung Zuwendung, Verständnis oder brauchst du generell die Anerkennung von jedermann? Dann wäre es eher so, dass dafür die Ursachen gesucht werden müssten - unter Umständen vielleicht auch mit professioneller Hilfe.
Ich hoffe, dass ich dich mit meinen Worten jetzt nicht verletzt habe- das ist keineswegs meine Absicht. Aber ich spreche sozusagen aus eigener Erfahrung. Denn auch ich kämpfe (seit Jahren schon) mit meinem Egoismus, meiner verletzten Eitelkeit - in mir ist immer noch viel Wut und vielleicht sogar Hass - und das sogar dem Vater meiner Tochter gegenüber. Ich weiß, dass dies am Schlimmsten mein Kind trifft und trotzdem war ich bisher noch nicht in der Lage, bestimmte Dinge aus einer anderen Sicht zu sehen und zu verzeihen. Aber ich habe ein Ziel und ich bin auf dem Weg dahin. Wenn du willst, kann ich dir gern mal mehr darüber erzählen, aber das würde jetzt den Rahmen sprengen.
Was ich dir gern mitgeben würde - versuche, zu verstehen und sprich mit jemanden darüber, vielleicht sogar mit uns, auch wenn wir dir nicht unbedingt nach dem Munde reden - das würde dir sowieso nicht helfen. Aber wenn du traurig oder wütend bist, dann kannst du es hier gut los werden und einige Anregungen vielleicht auch gut nutzen.
Liebe Schwester, ich wünsche dir, dass du die Kraft findest, diese Situation noch einmal ganz neu zu überdenken (und dabei solltest du nicht nur dich und deinen Freund, sondern auch deinen Partner aus deiner bestehenden Beziehung einbeziehen). Vielleicht kommst du dann ein Stück weiter.
Liebe Grüße
Tina
04.01.2002 11:11 •
#2