Also, dieser Thread ist ja schon ein paar Wochen alt. Stammt von Anfang Januar und die TE schreibt nicht mehr. Falls sie aber noch mitliest, hier ein paar Gedanken von mir zum Thema Liebe vs. Verliebtheit.
Am Anfang jeder Beziehung steht die Verliebtheit. Die Schmetterlinge fliegen, der Partner wird durch die rosarote Brille betrachtet und alles ist wunderschön. Passen dann noch die Lebensentwürfe zusammen, entscheidet man sich möglicherweise für die Ehe, Kinder, Nestbau etc.. Und einige Zeit geht das ganz gut. Man ist mit dem Kinderkriegen und Aufziehen beschäftigt, richtet sich im gemeinsamen Leben ein und glaubt, die Welt sei in Ordnung. Doch nach einigen Jahren stellt man verdutzt fest, dass die Schmetterlinge sich verzogen haben. Der Alltag ist mühsam, die Kinder kosten Kraft, das Haus muss täglich sauber gehalten und die Arbeit erledigt werden. Plötzlich fragt man sich, ob das alles wirklich so erfüllend ist, wie man es sich vorgestellt hat. Und dann kommt da der Arbeitskollege daher, oder die Nachbarin oder der Postbote und macht Komplimente oder rollt so anziehend und unwiderstehlich mit den Augen, dass es einem bewusst wird: Es fehlt etwas, um sich als Mann oder Frau gewollt und begehrt zu fühlen. Es fehlt der alte Schwung in der Beziehung, die Leidenschaft, die Lebendigkeit.
Ich schreibe das alles ohne jeden Vorwurf, denn ich war selbst mal an diesem Punkt und bin in eine Affäre gerutscht. Ganz genau so, wie die TE es hier beschreibt. Bedeutet eine Affäre aber immer zwangsläufig, dass die Ehe vorbei ist? Der Traum ausgeträumt? Die Seifenblase geplatzt? Ich sage ganz entschieden : NEIN!
Im Gegenteil, jetzt wird die Sache erst so richtig interessant. Jetzt sind nämlich die Hormone verflogen bzw. haben eine andere Bezugsquelle entdeckt. In der Regel bricht zuerst einer der Partner aus und der andere wird entsprechend verletzt. Hier ist es sogar so, dass beide sich auf Abwege begeben haben. Was liegt also näher als eine offene Ehe?
Die TE sagt aber ganz klar, dass sie das nicht will. Was also jetzt? Trennung? Ist die wirklich unausweichlich? Es scheint so und vielleicht ist es in dem einen oder anderen Fall auch nicht anders machbar. Aber eines ist ganz klar, auch mit einem neuen Partner kommt man früher oder später an genau den gleichen Punkt. Wahrscheinlich sogar früher, denn mit jedem Partnerwechsel, mit jedem Neuanfang sinkt die Hemmschwelle zur Trennung. Mich erinnert das immer mehr an die moderne Wegwerfgesellschaft. Passt nicht mehr, weg damit und neues kaufen. Nichts anderes passiert hier. Nur dass es eben nicht um Dinge sondern um Menschen geht.
Ich erzähle mal, wozu mein Mann und ich uns stattdessen entschieden haben. Nämlich dazu, sich trotz allem, trotz Affäre und trotz diverser Schwierigkeiten nicht zu trennen. Beieinander zu bleiben und aneinander festzuhalten. Dazu mussten wir uns ganz bewusst ENTSCHEIDEN. Nicht aus dem Bauch heraus und mit dem Rückenwind der Gefühle, sondern ganz rational und bewusst. Diese Entscheidung haben wir mit einem Versprechen erneuert. Nicht in der Kirche sondern auf unserem Sofa nur unter 4 Augen und ohne Brautkleid und Hochzeitsmarsch. Nämlich das Versprechen, an uns festzuhalten, uns wieder treu zu sein und uns zu verzeihen. D.h. jetzt nicht, dass ab sofort wieder alles in Butter war. Ganz im Gegenteil, damit fingen die Kämpfe erst an. Wir mussten reden, streiten, neu ausverhandeln und die Bedingungen für unsere Ehe in zähem Ringen erneut definiren. Das hat Kraft gekostet und manchmal dachten wir beide, es würde sich nicht lohnen und wir müssten uns doch noch trennen. Wir waren beide mehrfach an unseren Grenzen oder vielleicht sogar darüber hinaus.
Doch es ging immer irgendwie weiter. Es taten sich neue Räume auf, neue Möglichkeiten und wir entdeckten peu a peu unsere Gefühle füreinander wieder neu. Heute sind wir beide alt. Ich bin 60 und mein Mann fast 70. Wir sind leider nicht mehr ganz gesund und der S. spielt eigentlich kaum noch eine Rolle. Aber wir haben uns. Wir haben aneinander festgehalten und freuen uns an unseren Kindern, an unserem Haus und Garten und an unserem gemeinsamen Leben. Wir freuen uns, am Wochenende miteinander zu frühstücken, anschließend die Zeitung zu lesen und das Tagesgeschehen zu diskutieren. Wir freuen uns an gemeinsamen Fernsehabenden und gelegentlichen Kino- oder Theaterbesuchen. Dann sitzen wir nebeneinander und halten unsere Hand, so wie früher als junges Liebespaar. Diesmal wissen wir aber, dass wir uns nicht wieder loslassen werden, sondern zusammen bleiben, bis zum Schluss. Einfach weil wir so miteinander verwachsen sind, dass einer ohne den anderen gar nicht mehr sein könnte.
Das ist der Unterschied zwischen Verliebtheit und Liebe. Verliebtheit ist irgendwann einfach da, doch sie ist nicht von Dauer. Wenn sie endet, gabelt sich der Weg. Entweder man geht und sucht woanders sein Glück, oder man entscheidet sich für die Liebe. Die aber ist ein empfindliches kleines Pflänzchen. Liebe will gepflegt und geschützt werden und das kostet Mühe und Kraft. Das geht nicht ohne die bewusste Entscheidung dafür immer wieder neu zu treffen.
Eine offene Beziehung scheint vielleicht der leichtere Weg zu sein. Und manchmal klappt das vielleicht sogar, wenn beide es so wollen und sich auf vertretbare Regeln einigen können. Ist aber einer von beiden dagegen, so ist dieses Experiment zum Scheitern verurteilt. Dann tritt man auf der Stelle und dabei -ganz nebenbei- wird das kleine Pflänzchen Liebe zertrampelt.
Was also willst du, liebe TE, solltest du hier noch mitlesen? Was will dein Mann? Passt das noch zusammen oder nicht? Brauchst du wirklich die Schmetterlinge, um dich lebendig zu fühlen? Oder tuts nicht vielleicht auch der Rückblick auf das, was ihr bereits geschafft habt und der Ausblick auf das, was noch kommen könnte? Weißt du, die Ehe ist wie eine lange schwierige Wanderung auf einen hohen Berg. Wobei das Ziel, der Gipfel in den Wolken verborgen liegt. Gelegentlich muss man stehen bleiben und den Ausblick genießen und dann geht man gemeinsam frisch gestärkt weiter. Oder man entscheidet sich für die nächste beste Abkürzung in Richtung Tal, weil man keine Puste mehr hat oder zu haben glaubt. Weil man sich selbst vielleicht überschätzt hat und dann, wenn es steinig wird, feststellt, dass man in den falschen Schuhen losgelaufen ist. Am Anfang einer solchen Wanderung erscheint alles leicht und man läuft noch durch frischen, grünen Wald mit plätschernden Bächlein und üppiger Vegetation am Wegesrand. Je weiter man kommt, desto beschwerlicher wird es aber. Und spätestens so nach 10 Jahren, mit 2 Kindern und einem fordernden Alltag ist man am ersten Geröllfeld angekommen.
Ich kann nur sagen, es lohnt sich weiter zu gehen. Auch ohne Schmetterlinge, Bächlein und kühlendem Wald. Aber ob man das will, muss jedes Paar selbst entscheiden. Eins aber steht fest: Der Weg ist immer der gleiche. Egal mit welchem Partner und auch, wenn man allein bleibt. Das Leben ist immer eine verdammt harte Angelegenheit und Geröllfelder, Felsspalten und sogar Lawinen kommen irgendwann, so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Frage ist, wie will man da hoch? In der Seilschaft mit dem Partner oder alleine oder mit dem Nachbarn oder Kollegen, weil der einem kräftiger erscheint? Aber ist er das wirklich? Und ist er gewillt, seine bisherigen Seilschaften aufzugeben, um eine neue zu gründen? Die wenigsten Affären führen ja in eine neue, tragfähige Beziehung. Warum wohl? Weil am Geröllfeld will eigentlich kaum jemand die vertrauten Halteseile kappen und neue knüpfen. So risikofreudig sind die wenigsten Menschen und das nicht ohne Grund.
Weiter zu gehen in der Ehe ist ab einem bestimmten Punkt keine Frage der Hormone, sondern eine Frage des Kopfes. Das ist ziemlich unromantisch, stimmt. Aber so ist eben das Leben. Jedenfalls das Erwachsenenleben. Alles andere ist Kinderkram. Also bist du erwachsen, liebe TE? Willst du das sein, dann mach dich auf etwas gefasst. Dann beginnt ab sofort das echte Abenteuer Leben. Und das hat leider nichts mit Schmetterlingen zu tun. Die fliegen in dieser Höhe nicht mehr, denn du hast die Baumgrenze erreicht. Also wie jetzt weiter?
In diesem Sinne - Alles Gute für dich!