Liebe Emba,
meine Trennung liegt nun schon drei Jahre zurück. Mein Mann hat, nach fast 20 Jahren Partnerschaft und 14 Jahren Ehe, warm gewechselt. Vor drei Jahren habe ich viel hier im Forum gelesen und schaue jetzt nur noch ab und zu mal vorbei. Heute schreibe ich zum ersten Mal etwas, weil ich finde, dass du es wert bist.
So wie bei dir, hat sich auch bei mir das Was-wäre-wenn-Gedankenkarussell anfangs sehr schnell gedreht: Hätte er sich nicht neu verliebt und mich verlassen, wenn ich dieses oder jenes anders gemacht hätte? Was will ICH und wie reagierte ICH, wenn er zurückkommen möchte? Und was passiert, wenn er glücklich ist und gar nicht zu mir zurück möchte? Usw. usw. usw.
So wie du, wollte ich nicht verbittert und misstrauisch werden.
So wie du, war ich neidisch auf die neue Leichtigkeit im Leben meines Ex-Mannes. Ich habe mir gewünscht, dass der Schmerz, die tiefe Liebe zu meinem Mann und all die Zweifel an meiner Person schnell vorbei gehen.
So wie du, war ich manchmal ängstlich, müde und verzweifelt.
Ich habe eine Unmenge an Büchern gelesen Fachbücher und Ratgeber, gute und schlechte, esoterische, spirituelle und psychologische. Ich trage keine gebatikten Baumwollklamotten, habe keine Dreadlocks und gehöre keiner Religionsgemeinschaft an. Trotzdem habe ich aus allen Büchern, auch aus den schlechten, etwas mitgenommen. Manchmal ist mir schlichtweg ein Licht aufgegangen, manchmal konnte ich durch sie meine Perspektive ändern oder habe einfach etwas Qualifiziertes dazu gelernt.
Und jetzt kommt das, was ich aus eigener Kraft gelernt habe. Die plattesten Sprüche, die es gibt und die niemand während der Anfangsphase der Trennung glaubt und hören will:
ES WIRD BESSER! Nicht schnell und zuerst unmerklich. Akzeptiere das einfach als Tatsache. Es braucht einfach seine Zeit. Auch nach drei Jahren tut es mir manchmal noch weh. Aber es wird immer seltener und weniger heftig. Ich möchte damit niemanden entmutigen!
GLAUBE NICHT ALLES WAS DU DENKST! Du hast schon so viel in deinem Leben gedacht. Was davon hat sich im Nachhinein als richtig und wahr herausgestellt und was nicht? Interpretiere nicht zu viel in das, was du denkst und vor allem nicht in das, was dein Mann sagt. Du wirst keine befriedigenden und ehrlichen Antworten von ihm bekommen. Auch das was er gerade denkt und sagt, ist von Stimmungen und äußeren Umständen abhängig. Er wird dir nur das sagen, was bequem für ihn ist. Und was viel wichtiger ist, er kennt selbst die Antworten nicht. Diese ganzen Aussprachen zwischen euch führen zu nichts. Und glaube vor allem nicht, dass du irgendetwas nicht schaffst!
VERDRÄNGE NICHT DEINE GEFÜHLE, VERSINKE ABER AUCH NICHT DARIN! Wenn du weinen musst, weine. Umso mehr du dich gegen deine Gefühle stemmst, umso länger halten sie an. Mir ging es nach dem Weinen immer viel besser. Wenn ich aber gemerkt habe, dass die Traurigkeit, Wut und Mutlosigkeit zu lange anhält, habe ich versucht etwas dagegen zu tun, ohne zu verdrängen. Versuche einfach so lange wie möglich bei Gefühlen wie Zuversicht, Spaß, Zuneigung zu deinem Sohn, Zufriedenheit mit dir selbst usw., zu bleiben. Wenn dir gerade nicht nach Fröhlichkeit und Zuversicht zumute ist, dann ist das halt so. Aber bleibe nicht stecken.
Ich wünschte, ich selbst hätte entscheiden können, was ich möchte. Das hätte meinem Selbstwertgefühl sehr geholfen und das Gefühl der Zurückweisung wäre sicher geringer gewesen. Darin liegt dein großer Vorteil. Du hast eine Entscheidung getroffen. Bitte bleibe standhaft. Du tust das Richtige. Eure Partnerschaft wird über lange Zeit stark belastet sein, wenn ihr wieder zusammen kommt. Das sind keine guten Voraussetzungen für einen Neustart. Und dein Mann hat ja offensichtlich ein paar Charakterschwächen, die nicht von heute auf morgen verschwinden werden. Willst du das wirklich? Jetzt bist du in einer guten Position, gebe die nicht auf. Du kannst klare Absprachen einfordern. Habe aber immer einen Plan B parat. Du kannst leider nicht davon ausgehen, dass dein Mann sich an alles hält, wie du ja schon bemerkt hast.
BLEIB OFFEN, FREUNDLICH UND HILFSBEREIT! Verbitterung und Misstrauen sind der falsche Weg. Ich hatte in den letzten Jahren unzählig viele lustige und schöne Begegnungen und Situationen mit wildfremden Menschen (z.B. die ältere Dame an der Kasse, die Mitbewerber bei der Wohnungssuche usw.). Mir ist viel Mitgefühl, Hilfe und Zuneigung, von manchmal unerwarteter Seite, entgegengebracht worden (z.B. Hausärztin, Rechtsanwältin usw.). In ein paar Jahren werde ich, mit hoher Wahrscheinlichkeit, ein breites Grinsen im Gesicht haben, wenn ich an diese Zeit zurückdenke. Wenigstens konnte ich die Entscheidung treffen, in einer freundlichen Welt zu leben.
HUMOR HILFT! Etwa zwei Wochen vor der Trennung gab es eine Situation, die ich nicht näher beschreiben möchte. Damals dachte ich, was für einen großen Vertrauensbeweis mein Mann mir entgegengebracht hat. Besonders im Hinblick darauf, dass er zu diesem Zeitpunkt schon seit einem Jahr eine Affäre hatte, war die Situation im Nachhinein allerdings nur absurd, surreal und unsagbar lustig. Ich kann immer noch laut darüber lachen, wenn ich daran denke. Soviel zum Thema Wechsel der Perspektive sowie Verlässlichkeit der eigenen Sinne und Gedanken. Manchmal stelle ich mir vor, wie mein Ex-Mann sich morgens der neuen Partnerin zuwendet und ihr durch seine Atemmaske (er leidet unter starker Schlafapnoe) ein liebevolles Guten Morgen entgegenzischt. Ich nehme mich und das Leben oft nicht so bitterernst. Vielleicht gelingt dir das ja auch ein wenig.
NUR SO VIEL KONTAKT WIE NÖTIG! Leider kannst du den Kontakt aufgrund eures gemeinsamen Kindes nicht ganz einstellen. Ich kann dir nur dringend raten, ihn auf das Nötigste zu beschränken. Versuche die persönliche Ebene zu verlassen und nur noch Formalien zu klären. Es geht nicht darum, deinen Mann zu bestrafen oder ihm seinen Verlust vor Augen zu führen. Das funktioniert sowieso nicht. Um besser beurteilen zu können was du möchtest und was gut für dich ist, brauchst du Abstand.
Du machst das alles sehr gut. Bleib tapfer. Ich verspreche dir aus tiefstem Herzen, dass die schlechten Tage vorüber gehen werden. Und ich versichere dir, ebenfalls aus tiefstem Herzen, dass es ein schönes Gefühl ist, frei zu sein. Dein Mann hat sich von einer vermeintlichen Zwangsjacke direkt in die nächste begeben. Du kannst um Hilfe bitten und wirst sie auch bekommen. Du hast einen Sohn für den du dankbar sein kannst. Du bist nicht allein. Freue dich darüber.
Liebe Grüße
Betula
29.09.2019 16:53 •
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