Die totale Lähmung

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Hallo zusammen,

zuerst muss ich sagen, dass ich es tröstlich finde, dass es eine ganz normale Reaktion auf Betrug und Verlassenwerden zu sein scheint, in eine schmerzverzerrte, zeitlupenartige Gelähmtheit zu verfallen.
Mein Lebensgefährte und ich waren über 10 Jahre zusammen. Wir hatten eine ausgesprochen harmonische Beziehung, konnten über alles reden, hatten überhaupt eine sehr intensive Kommunikation miteinander und den selben Humor. Wir haben immer viel miteinander gelacht und unser Leben einfach spontan kommen lassen. Der Jobstress blieb draußen (meistens) alles war geborgen, gemütlich und entspannt. Wie in jeder langen Partnerschaft hatte zwar die s.uelle Seite etwas nachgelassen, aber wenn, dann war's auch schön.
Kurz - all unsere Freunde sagten: Wenn Ihr mal auseinander geht, dann fall ich vom Glauben an die Liebe ab!
Na dann kann's ja losgehen...
Vor 7 Monaten kontaktierte ihn seine erste große Liebe, mit der er vor über 20 Jahren kurz zusammen war. Sie ist schon lange verheiratet und hat 2 Kinder. Sie mailte, SMSte und telefonierte täglich mit ihm, sagte ihm, dass er die Liebe ihres Lebens sei, er solle mich verlassen und sie aus ihrer Horror-Ehe retten. Wenn ich weinen sollte, solle er das ignorieren, denn Frauen würden so ihre Männer manipulieren wollen. Soviel zu dieser Frau.
Als ich es vor 2 Monaten herausfand, brach er total zusammen, sagte, er wäre mit dem Druck von ihr total überfordert, wolle mich nicht verletzen und am liebsten von der nächsten Brücke springen. Sie wäre ihm so vertraut, als wäre kein Tag vergangen, und er wüsste grad noch nicht mal, ob er mich überhaupt je geliebt haben kann, wenn das mit ihr nun alles so intensiv ist.
Das war der Moment, in dem ich einfror.
Ich bat ihn nur, zu einem Therapeuten zu gehen, denn er war so durch den Wind, dass man wirklich nicht wissen konnte, ob er sich etwas antun würde.
Der eingefrorene Zustand dauert nun schon über 8 Wochen an. Ich bin total verkopft, wälze alles hin und her, verstecke meine Verzweiflung und heule und jammere manchmal heimlich, wenn niemand da ist und doch einmal etwas aus mir herausplatzt wie durch einen kleinen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum. Ich konnte wochenlang nicht vor und nicht zurück - es war ein so unglaublich brüllendes, gewaltsames Nichtstunkönnen, dass ich bald wahnsinnig geworden bin.
Vor ein paar Tagen habe ich beschlossen auszuziehen. Mein kleines Ein-Frau-Fachübersetzungsbüro läuft gerade nicht so gut, also bin ich zum Amt für Arbeitsförderung und Grundsicherung gegangen, sonst könnte ich mir keinen Umzug leisten. Ich wünsche mir nichts als ein bisschen Ruhe und wieder auftauen zu können. Aber gleichzeitig habe ich die Hosen gestrichen voll.
Ist hier jemand, der mir erzählen kann, wie gut ihm sein Auszug getan hat, wie er alles gemeistert hat und die Angst besiegen konnte?
Ich glaube, es würde mir gut tun, solche Erfahrungsberichte zu lesen.

Vielen Dank Euch allen schon vorab und alles Gute.

18.05.2006 17:48 • #1


V
hallo meine liebe,
aus deinem beitrag glaube ich herausgehört zu haben, dass du auch in diesem gefühl der hoffnungslosigkeit gefangen bist. was mich angeht hast du da einen vorsprung, mein mann ist vor drei wochen, nach 18 jahren ehe, ausgezogen. mir geht es persönlich noch sehr schlecht und habe noch nicht die kraft dir etwas zu raten, oder dir erfahrungen zur bewältigung mitzuteilen. vielleicht würde es dir und mir helfen, wenn wir uns schreiben und uns ein wenig trösten.
ich bin 46 jahre alt, habe zwei kinder und sitze nun allein in unserem haus, in dem mich alles an unsere gemeinsame zeit erinnert.

liebe grüße
vanillia

20.05.2006 08:36 • #2


A


Die totale Lähmung

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Hallo Serendipity (ich überlege die ganze Zeit, woher ich den Begriff kenne), hallo vanillia,
hier ein paar Worte zum Thema Auszug und Wieder-Boden-unter-den-Füßen-spüren.
Ja, es gibt ein Leben nach dem Auszug. Bei mir ist er jetzt drei Monate her und es war eine sehr, sehr harte Zeit, wochenlang bin ich wie in Trance durchs Leben gelaufen und hatte das Gefühl, gar nicht mehr ich selbst zu sein. Ich wollte nur mein altes Leben zurück, fühlte mich einsam und komplett überfordert. Aber diese Gefühle lassen wirklich nach. Nach nunmehr drei Monaten spüre ich zum ersten Mal die Vorzüge des Alleinlebens, fühle mich in der neuen Wohnung wohl. Ich kenne das beschriebene Gefühl der Lähmung sehr gut, darin war ich vor dem Auszug wochenlang gefangen. In den ersten Wochen habe ich den Auszug, der dann auch offiziell das völlige Ende und Kontaktabbruch mit sich brachte, oft bereut, habe gedacht, dass vielleicht doch noch etwas zu retten gewesen wäre. Inzwischen weiß ich aufgrund des Verhaltens meines Ex, dass ich das einzig Richtige getan habe, und auch die Lebensfreude kehrt allmählich zurück. Insofern kann ich euch nur sagen: Ein Auszug ist verdammt hart, aber man kommt drüber hinweg. Es ist eine abgedroschene Redensart, aber die Zeit heilt wohl wirklich die meisten Wunden. Bei mir wird das noch dauern, aber ich spüre, wie es langsam besser wird. Und es ist ein gutes Gefühl, das Leben wieder selbst in die Hand genommen zu haben und Verantwortung für sich selbst und seine Zukunft übernommen zu haben, man fühlt sich dann nicht mehr so ausgeliefert und hilflos.
Ich wünsche euch ganz, ganz viel Kraft und Selbstvertrauen.
Natascha

20.05.2006 09:04 • #3


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Liebe vanillia, liebe Natascha,

danke für Eure Antworten - offensichlich befinden wir 3 uns in 3 verschiedenen Phasen der Trennung. Vanillia, du lebst, wie es aussieht, noch mitten im Schockzustand, ich selbst sehe zumindest schwach am Horizont einen Ausweg aus der Lähmung durch die räumliche Trennung meinerseits, und du Natascha, hast das Schlimmste wohl schon hinter dir.
Es gibt mir eine gewisse Erleichterung zu lesen, dass bei dir das eingetreten ist, was ich mir von meinem Auszug so sehnlich erhoffe: Tür zu, Fenster auf, Sonne rein, Ruhe, Ruhe, Ruhe und irgendwann ein neues Lebensgefühl mit mir selbst. Ich habe zwar trotzdem die Hosen voll, weil mich zu allem Überfluss auch noch Existensängste plagen, und ich nicht weiß, wie es finanziell bei mir weitergeht, aber dennoch fühlt sich der mir bevorstehende Schritt einfach nur richtig an. Lange habe ich gezweifelt und in dieser totalen Starre festgehangen, aber vor ungefähr einer Woche machte es klick, und die Entscheidung war durch. Irgendwie spüre ich, dass es da auch kein zurück mehr gibt, egal, was mein - ja, wie nenn ich ihn denn nun? EX-Freund? Er ist noch so präsent in mir - also Ex-Freund noch so alles gucken lässt...
Liebe vanillia, zu dir möchte ich sagen, dass du wirklich nicht allein bist mir deiner Verzweiflung. Wir können dich hier alle absolut verstehen und nachfühlen, wie fürchterlich deine momentane Lebenssituation ist! Das Schlimme ist ja, dass du offenbar die jenige bist, die in Eurem Haus mit den Kindern zurückbleibt und damit überhaupt nicht aus ihrem alten Leben rauskommt. Das ist ja wie Gefangensein in einer Zeitschleife, oder? Aus allen Ecken starrt einen das bisherige Leben an und tut so, als wär nix gewesen. Das tut höllisch weh, ich weiß das. Daher kam dann bei mir auch dieser plötzliche Fluchtreflex, der mich nach einer anderen Wohnung suchen ließ. Auch ich muss dann hier ein gemeinsames Haus mit schönem großem Garten verlassen für eine 30-qm-Wohnung in der Stadt. Kinder haben wir keine, aber ich muss meine beiden Border Collies zurücklassen, die ich über alles liebe. Das reißt mir bald das Herz raus. Aber es muss sein!
Gibt es keine Möglichkeit für dich, dort auch wegzuziehen? Ihr könntet das Haus verkaufen - auch wenn Ihr dabei vielleicht Miese macht - aber es ist nur ein Haus, ein Ding letzten Endes - nicht mehr das Heim, das es für Eure Familie mal war. Du gehst doch kaputt, wenn du dort bleibst, meinst du nicht?
Ich wünsche dir ganz ganz viel Kraft, die nächsten Tage und Wochen zu überstehen, ohne wahnsinnig zu werden - es wird der Horror. Du heulst und bist wütend, enttäuscht, verzweifelt, unfähig zu irgendeinem klaren Entschluss, hasst ihn, vermisst ihn, weißt nicht weiter, zweifelst an dir selber und bist winzig klein. Ohne Hut. Aber es wird vorbei gehen. Das tut es immer, soviel ist gewiss. Und was uns nicht umbringt, macht uns ja bekanntlich stark. Und was haben wir nicht schon alles durch und leben immer noch?

Schreib mir gerne wieder!

Übrigens: Serendipity ist der Titel meines Lieblingsfilms mit John Cusack und Kate Beckinsale...

Liebe Grüße
Serendipity

20.05.2006 10:32 • #4


V
hallo serendipity, hallo natascha,
ich finde es mehr als tröstlich hier auf menschen zu stoßen, die ähnliches oder gleiches durchmachen oder durchmachen mussten. ja, ihr habt recht, die zeit wird es wohl wirklich heilen, bzw. der körper und er geist sind auf das überleben angelegt. ja, der gedanke unser haus zu verkaufen war schon da. ja, auch wir haben zwei hunde (11+6 Jahre, von geburt an bei uns), die wir dann wohl abgeben müssten.
mein mann hat uns in den drei wochen 2x besucht. er sagte, dass er auf jedenfall zurück käme. er wolle beweisen, dass er auf eigenen füssen stehen kann und der zeitpunkt der rückkehr davon abhinge, wann für ihn dieses ziel erreicht sei. ich sagte ihm, dass er seine selbstfindung auf unsere kosten austrägt und er meinte, dass es ihm leid täte und er mich immer noch lieben würde.
sagt ihr mir, was soll ich damit anfangen? warten? hoffen?
was, wenn er die wahrheit sagt und vielleicht in 2-3 monaten zurück kommt?
ich weiss nicht weiter, in meinem kopf drehen sich die gedanken, der schmerz frisst mein herz auf, ich schlafe nicht ich esse nicht und klammere mich wie eine ertrinkende an diese letzte hoffnung, mein leben zurück zu bekommen.

ganz liebe grüße
vanillia

20.05.2006 13:44 • #5


E
Liebe Vanillia,
wie ich aus deinen Zeilen schließe, scheint es ja so zu sein, dass dein Mann nicht wegen einer anderen Frau von zuhause weg gegangen ist, sondern vielmehr wegen sich selbst, oder? Kann es sein, dass Ihr schon in relativ jungen Jahren zusammen kamt und seither verheiratet wart? Bist du vielleicht immer die Starke gewesen, die sich um alles gekümmert und ihm den Rücken frei gehalten hat? Ist er in dem Alter, wo er auch mitten in eine Midlife Crisis geschliddert sein könnte? Davon ausgehend, würde auch sein Verhalten Sinn machen. Vielleicht hat das gar nicht mal so viel mit dir zu tun. Vielleicht hat er wirklich nur eine schlimme Identitätskrise, gepaart mit den Fragen: Wo stehe ich eigentlich? Was ist der Sinn meines Daseins? Sollte es das gewesen sein? Wo ist die Aufregung, der Spaß, die Eigenständigkeit, die persönliche Entfaltung? Wer bin ich überhaupt? Das wäre gut möglich, oder?
Wenn das so ist, dann halte einfach eine Weile durch, denn dann besteht die Hoffnung, dass er sich wieder einkriegt. Entweder allein oder mit professioneller Hilfe oder Hilfe von Freunden. Ich würde ihm Zeit lassen, ihn nicht anrufen, keinen Druck machen und ihm lediglich zu verstehen geben, dass ich ihn liebe und da bin. Mehr kannst du nicht tun.
Erstmal kannst du nur versuchen, Geduld zu haben und auch mal deine eigenen Gefühle ergründen: Liebst du ihn wirklich noch? Oder befindest du dich in einem (emotionalen) Abhängigkeitsverhältnis? Ist er der Mann, mit dem du alt werden möchtest? Oder kannst du dir vielleicht auch ein Leben danach vorstellen? Also: Was ist der Grund dafür, dass du an deiner Ehe festhalten willst? Sind es Umstände oder ist es wirklich die Liebe? Trifft ersteres zu, dann ist das jetzt deine Chance auf einen totalen Neuanfang mit dir selbst. Trifft letzteres zu, und beruht es - wie er sagt - auf Gegenseitigkeit, dann kann alles wieder gut oder sogar noch besser werden, wenn Ihr Eure Krise durchlebt habt.
Ich wünsch Euch beiden alles Liebe!
Serendipity

20.05.2006 14:17 • #6


V
hallo serendipity,
ich bewundere deine weisheit, danke das du soviel zwischen meinen sätzen gelesen hast.
du hast recht, er war 18 als unser sohn geboren wurde.
du hast recht, ich bin 11 jahre älter und war immer die starke.
du hast recht, er hat mich immer geliebt, obwohl dies nicht unsere einzige krise war.
du hast recht , wir wollten beide zusammen alt werden und ich werde ihn immer lieben, es gibt nur ein oder zwei große lieben in einem ganzen leben.
genau vor 2 jahren waren wir schon einmal getrennt, damals ging es von meiner seite aus und es war betrug im spiel. bereits nach 6 wochen war mir klar, welchen fehler ich gemacht hatte. die ganze wut, die sich aufgestaut hatte war verflogen und am ende fühlte ich wieder nur diese tiefe liebe zu ihm. wir sind immer so auf einander geflogen, die ero. anziehungskraft ist enorm.
als er mich jetzt besuchte, haben wir auch miteinander geschlafen. ist das nicht verrückt?
deinen ratschlag zur variante 2 möchte ich nur zu gern befolgen, aber die zweifel und ängste, dass vielleicht doch etwas anderes dahinter steckt, zermürben mich?


ganz liebe grüße
vanillia

20.05.2006 14:32 • #7


H
hi vanillia,

da du nicht viel über deine geschichte geschrieben hast, kann man nicht so einfach deine lage beurteilen...von dem, was ich lese entnehme ich, dass dein mann dich noch liebt und zurückkommen möchte...er braucht eine auszeit, um zu sich zu finden...ich gaube jeder mensch hat eine 2. chance verdient...nur es ist jetzt wichtig, dass du ganz allein für dich rausfindest, was du noch für ihn empfindest, und was noch machmar wäre...es ist oft schwer, den partner als das zu nehmen, was er ist, nähmlich auch nur ein mensch mit all seinen schwächen und stärken...viel öfters erwarten wir dass der partner immer 100%ig funktioniert und zwar nach unserer vorgabe...das überfördert irgendwann jeden von uns...wenn noch nicht viel kaputt gegangen ist und ihr euch noch liebt und vor allem keine 3. person im spiel ist würde ich ihm noch eine chance geben und ihm die zeit lassen was er braucht....wie es in der praxis aússehen soll müsstet ihr rausfinden...habt ihr die möglichkeit einer paartherapie in erwägung gezogen?
gruss
heart

20.05.2006 15:27 • #8




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