Ich habe lange über Deine Worte nachgedacht Alena. Ja ich genieße die Zeit im Prinzip immer, seit wir nach all den ganzen Jahren endlich wieder zueinander gefunden haben. Wir hatten nämlich viele Jahre gar keinen Kontakt zueinander. Die Fronten waren auf beiden Seiten total vereist. Eigentlich haben wir nur durch meinen Expartner in der Schweiz wieder zusammen gefunden. Weil er mich quasi überredet hat zu meinem Vater hin zu fahren. Das waren viele Gespräche mit jeder Menge Verbitterung auf meiner Seite. Und ja, es dauerte dann nach 3 Jahre oder waren es 4? bis wir durch meinen Umzug hierher wieder zueinander fanden und redeten und redeten und uns mit jedem Gespräch immer näher kamen. Die Beziehung, die wir jetzt haben, die haben wir uns Beide hart erarbeitet. Auch er hat sich so sehr verändert. Er ja, er kennt viele meiner Schwierigkeiten auch von sich selbst. Und deshalb weiß er auch genau, womit ich zu kämpfen habe. Aber davon abgesehen. Seit einem Jahr habe ich endlich den Vater, den ich mir immer gewünscht habe, denn früher war er nie Zuhause. Wir haben es geschafft unsere Wunden zu heilen, zu verzeihen und unsere Liebe zueinander neu entdeckt. Wir haben so viel miteinander erlebt und ohne seine Hilfe wäre ich jetzt nicht hier, hätte ich es nie geschafft. Oder zumindest nicht in dieser Zeit.
Mein Ziel ist es mich aufzubauen. Ich trainiere meine Belastungsfähigkeit auf meinen eigenen Wunsch und in meinem Tempo, indem ich nunmehr schon 3 Tage in der Woche ehrenamtlich ins Altenheim gehe. Als ich begann war es gerade mal nur einmal die Woche. Ich möchte in zwei Jahren von der EU Rente weg kommen, die ich schon seit 2003 bekomme. Auch mein Gutachter sagte zu mir, er kenne viele Patienten und die wenigsten schaffen es. Aber sie haben eine echte Chance, sie können das schaffen! Ja er hat Recht und ich fand es so schön, diese Worte von einem Psychiarter zu hören, von meinem Gutachter. Als ich letztes Jahr da war, war er wirklich stolz auf mich, was ich in dem einen Jahr bereits geschafft habe und das nicht, weil ich es muß- sondern weil ich es will! Und mein Paps hat mir all dies ermöglicht und er tut es noch. Er versprach mir zu helfen und hält sein Versprechen. Er glaubt ebenfalls an mich und er sagt, wenn er nicht genau wüßte, daß ich das schaffen kann, hätte er das nicht gemacht.
Ja und Du hast es richtig erkannt Alena. Meine Angst, es ohne ihn einfach nicht zu schaffen, mein Schmerz, das wieder her geben zu müssen, was ich jetzt habe und so sehr liebe. Und glaube mir Alena, ich bin jeden Tag dankbar dafür. Für jeden Augenblick, den wir miteinander verbringen. Letztes Jahr waren wir im Urlaub. Nur wir Beide- er und ich- und es war der schönste Urlaub meines Lebens und ich bin schon viel verreist.
Nun ja, ich war heute wieder im Altenheim und ich war ich. Ich habe diese Liebe fühlen können, von all diesen Menschen, die mich ja nun auch schon ein Weilchen kennen und die Freude, die habe ich in meinem Herzen empfinden können. Ganz tief, die Freude darüber, daß ich da bin. Das ich für sie da bin. Und ich sah mir diese Menschen an und dachte, mein Gott- all diese Liebe, die hast Du früher nicht gesehen. Bzw. nicht so intensiv in der Form wahr genommen. Selbst bei denen, die sonst ganz gerne mürrisch durch die Gegend laufen, selbst denen konnte ich im Laufe der Zeit ein Lächeln entlocken und einer sagte mir: Du bist anders!
Die letzte Betreute (ich habe drei Menschen, die ich betreue, vorher waren es vier), die ich 1/2 Jahr und anschließend noch beim sterben begleitet habe, war auch so ein Fall. Die hatte Haare auf den Zähnen, mann das glaubst Du nicht. Alle blöd, Alles schei. und vor allem Komm mir bloß keiner zu nah. Und wer bist du überhaupt? Ich weiß noch, wenn ich dann ging und sagte Bis nächste Woche! Dann murrte sie zwischen zusammen gepressten Zähnen Mmmm wenn ich dann noch lebe, bestimmt bin ich dann eh schon tot! Ja sie hat mich nie wirklich an sich heran gelassen, als ich später ihre Geschichte erfuhr, verstand ich auch warum das so war. Ich bin ihr nie zu nahe gekommen, war einfach nur da und wenn sie über die Welt geflucht hat, habe ich meine Ohren einfach mal wieder auf Durchzug geschaltet- mit einem Lächeln im Gesicht. Es gab auch Tage, da guckte sie stur zum Fernseher und mich nicht einmal an. Okay, habe ich mich halt dazu gesetzt. Und irgendwann, ja dann ging es dem Ende zu. Niemand von ihren Verwandten kam, obwohl sie so innig darum gebeten hatte. Und auf einmal sah sie mich an, nahm meine Hand und sagte ganz leise Danke, das du da bist! Das von einem Menschen zu hören, der nie Gefühle zeigen konnte und mir immer den Eindruck vermittelt hat, ich gehe ihm tierisch auf den Zeiger. Diese Worte und diese Geste, haben mich berührt und mir gezeigt, daß es sich lohnt, nach dem Herzen zu suchen. Und das jeder Mensch auch irgendwo eines besitzt.
Meines habe ich (wieder) finden können. Ich lebe meine Gefühle heute. Was nicht heißt, daß ich in Tränen ausbreche, wenn ich im Altenheim bin- geht auch schlecht, ich bin ja die Betreuerin nicht umgekehrt. Aber ich habe heute ganz bewußt mein Herz geöffnet, ganz weit und das war so schön und tröstlich. Ja- ich bin traurig, ich spüre dem nach und jetzt, wo ich Zuhause bin, da weine ich auch. Und ich genieße es sogar, denn ich darf so sein wie ich bin und heute bin ich gerne ich- Trotz allem...
22.02.2012 19:56 •
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