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Die Reise in den Tartarus

G
Entstanden an einem nebligen Tag in einem Krankenhausbett im Irgendwo...
Meine Art den Narz zu sehen, ihm zwar nicht zu vergeben, aber ihn so akzeptieren zu können, wie ER ist



Die Reise in den Tartarus

Der Blick schweift aus dem Fenster.
Die graue, diesige Welt des langsam der Dämmerung entgegen sinkenden Novembertages ist es, die ihn empfängt.
Umwoben von den feuchten Schwaden des Nebels kristallisiert sich ein Schemen.
Durchsichtigkeit, sich steigernd zu einer Festigkeit werdenden Kontur.
Ein Schädel, ein Gesicht, von kalter, eisiger Haut umspannte Knochen?
Der Dämon mit den verzerrten, menschlichen Zügen wird geboren.
Männlich…weiblich… hermaphroditisch?
Das Erkennen liegt in den weiten Gefilden des Nirgendwo.

Der erschrockene, starre Blick wird angesogen von einer im Zentrum der Fratze rotierenden topasblauen eismeergletschergleichen Iris.
Dem BLICK folgen die Zwillingsbrüder GEIST und GEDANKE, Hand in Hand, durch die Schwärze ihrer Mitte, hinab in die unendlich Tiefen, Schluchten, Verzweigungen und Höhlen des menschlichen Tartarus.
Dunkle Wege, steinige enge Pfade, schwankende…einen Fluss aus rotem Blut überspannende halbzerfallende Aquädukte, liegen vor den drei Brüdern.
Beherztheit, Ausdauer und die schier unglaubliche Kraft ihres eigenen Außenwesens, geben ihnen das Geleit und die Stärke, vorzudringen , in die unterirdisch, frostkalte Welt.

Unwirklich klingende Laute ähnlich dem Seufzen, Stöhnen einer geknechteten, gemarterten Kreatur, lassen ihren Hauch sie umwehen, ihren hoch erhobenen Köpfen fast das imaginäre Dach zerschmettern.

Nach vielen Verwirrungen und suchen endet diese Reise in einem, am tiefsten Grunde von zersplitterten Spiegelscherben, bedecktem Schacht, im Inneren dieses fremden, menschlichen Wesens.
Riesige, massiv von Nieten verstärkte Bohlen verwehren den Eintritt in das Gewölbe an der einen Seite des fast quadratisch, kleinen Raumes.
BLICK, GEIST und GEDANKE, geboren in den Synapsen ihres menschlichen Bewusstseins, gelingt mühelos der Durchgang… schwebend vorbei an den stoischen Rittern der Finsternis.

Ein Erschrecken, ein Aufbegehren… ein krampfartiges Zucken…
Plötzlich Stille – Nichtdenken – lauschen in der Sphäre der Dunkelheit.
Sekunden, Minuten, in fast körperlich fühlbarer, völliger Disharmonie verrinnen. Zeit und Raum verlieren sich in der Unendlichkeit, in uralten, wissenden Galaxien des Universums.

Sachte, stolpernd, wie sich nicht trauend, ertönt ein leiser Ton.
Fest gebannt stehen die Brüder…lauschend in die Schwärze, angstvoll ob des Unbekannten.
Irrlichter schimmernd… erst eins, zwei, dann hunderte, tausende goldflimmernde, bläulich überhauchter Pünktchen, umtanzen in einer wilden Kakophonie aus hämmern, schlagen, pulsen, die drei verwaisten, einsamen Gestalten.
Dazwischen Klänge, werbend, bittend, fast untergehend, im plötzlich erwachenden Chaos.
Sie weisen den Weg in die dunkelste, hinterste Ecke des Verlieses.
Schritt für Schritt sich vortastend, folgen die Geistwesen, dem sich vor ihnen öffnenden Weg.

Ein elfenbeinerner Turm, einst glattpoliert und rund, schmiegt sich in der schwärzesten Ecke des riesigen Gewölbes, fast wie festgeklebt in den steilen Winkel von Wand zu Wand.
Zerbrochene, verwitterte Mauern, zerfallende Arkaden für kein lebendes Wesen noch begehbar, wie ein mittelalterliches Korsett Halt gebend, umrunden die in Äonen von Zeit gebleichten Trümmerreste.
Aus ihrem Inneren rieselt leise und werbend der Klang.
Ein fast runder, glasartiger Behälter, vergleichbar dem Habitus das Weltall durchstreifender Planeten, kugelgleich, klar, bannt das Auge der Suchenden.
Flüssigkeit, wogend, von Stickstoff mörderisch gekühlter Kälte, hält gefangen ein Wesen… warmblütig von nahezu überirdisch schöner Art.
Die Seele des Menschen, sein innerstes Sein – gepeinigt und gefoltert.
Klein… zerbrechlich… kindhaft.
Ohne Kraft und Stärke.
Zarte Schlieren, beginnendes formen, einst anvertraut den alten Wissenden zur Hege, Pflege, Großwerdung und freien Entfaltung.
Von ihnen missbraucht, verletzt und vergewaltigt.
Nun verbannt aus dem Leben des Menschen, den dereinst Schmerz und Gefühl, nah an den Abgrund seines Atmen und Denkens gebracht haben.
Er bewahrt diese Erinnerung fest verschlossen für immer, im Elfenbeinturm seines Tartarus.
Der BLICK versinkt in namenlose Traurigkeit. Die Zwillinge, obwohl vereint stark und unsagbar mächtig, müssen erkennen, das keine Wärme, keine noch so starke, tiefe Liebe, dieses Wesen je befreien kann.
Einmal eingekerkert muss es sein Dasein fristen, bis das Ende seines menschlichen Dämons es wird erlösen.
Geht sein irdischer Körper den Weg ins Universum, löst er sich auf… werden Mauern fallen, der Weg in das unendliche Sternenzelt wird – endlich – freigegeben.

Die drei Brüder sind hier und heute, umsonst den schweren Weg gegangen und müssen hoffnungslos in ihre Realwelt zurückkehren.
Sie können nur ihr eigenes, geliebtes Wesen, ihren Menschen, schützen und stärken, ihn erkennen und seine Seele für sich selbst bewahren lassen.

Die Seele des Dämonen aber, wird erst am Ende seines menschlichen Daseins wieder wirklich frei sein.

03. Nov. 2015
G.A.

01.11.2016 09:48 • x 7 #1




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