Tja - schwer zu raten.
Ich habe den Prozess von der anderen Seite aus gesehen, hinter mir.
Naja, ich hätte nicht durchgehalten, wenn mein Mann körperliche Nähe als erdrückend empfunden hätte.
Nun, vielleicht hilft es dir, wenn ich dir meine damalige Gefühlslage schildere.
Zuerst einmal hatte es bei mir gedauert, bis ich mir sicher war, dass ich meinem Mann eine Chance geben möchte - bis der Wille da war.
Aber, damit war es nicht getan.
Trotz vieler Gespräche und Beteuerungen von seiner Seite und Taten, die es bewiesen, musste ich gegen meine eigenen Dämonen kämpfen.
Meine Selbstbewusstsein (hatte ich bis zu dem Zeitpunkt als sehr stabil angesehen) war bis ins Fundament erschüttert, und erholte sich nur langsam.
Ich hatte Mühe, um Vertrauen aufzubauen. Aber nicht nur, um meinem Mann wieder zu vertauen - auch mir selbst und meinen Wahrnehmungen vertraute ich anfangs nicht und benötigte Bestätigung von außen. Mir erschien es damals wie eine offene Wunde, die sich nur langsam schloss.
Dadurch, dass mein Mann nicht nur laberte sondern auch sich selbst mit dem Geschehen auseinandersetzte und absolut ehrlich war, wurde es langsam besser.
Er schaffte es die Wunde zum heilen zu bringen.
Aber, wenn er mir damals nicht glaubhaft das Gefühl hätte vermitteln können, dass ich ganz klar und deutlich und ohne Zweifel von ihm geliebt und begehrt werde, wäre es nicht gelungen.
Natürlich musste ich auch meine Gefühle zu ihm ergründen.
Liebte ich ihn noch oder war es vielleicht einfach nur Verlustangst?
Liebte ich ihn genug, um ihm zu verzeihen? Damit meine ich wirkliches Verzeihen - ohne es in Streitgesprächen ständig anzuführen.
Als ich meine Fragen mit ja beantworten und meinem Mann glauben konnte, hatten wir eine Chance.
Aber, um bei dem Vergleich mit der Wunde zu bleiben, es gab auch Rückschläge (die Wunde war noch nicht komplett keimfrei) und musste erneut behandelt werden - wenn auch nicht mehr so großflächig.
Wir führten unzählige zum Teil schwere Gespräche, die ans Eingemachte gingen.
Insgesamt gesehen war es ein harter und lehrreicher Prozess für uns beide. Mein Mann tat damals alles dafür, und das war sehr wichtig für unsere Ehe.
Diese Chance haben wir genutzt.
Wir führen seitdem eine andere Ehe.
Die 1.Ehe war eigentlich gut, hatte sich aber abgeschliffen. Wir hatten uns als selbstverständlich angesehen und lebten in den letzten Jahren eher nebeneinander.
Wir hatte unsere Freude aneinander lange nicht mehr empfunden.
In unsere 2.Ehe, die jetzt auch schon einige Zeit sehr gut funktioniert, haben wir wieder Freude aneinander und leben ganz bewusst zusammen. Finanziell sind wir beide autark und die Kinder groß. Somit ist es eine Partnerschaft, die wir beide ganz bewusst eingegangen sind und täglich eingehen.
Vielleicht hilft es dir, deinen Mann etwas besser zu verstehen.
So wie du ihn schilderst, liegt sein Selbstbewusstsein am Boden. Er möchte sich scheinbar permanent vergewissern, dass du bei ihm bist und spürt dann, dass du es trotz der räumlichen Nähe, eben nicht bist.
Das lässt ihn verzweifeln und unbewusst den Druck erhöhen. Das wiederum treibt dich von ihm weg.
Für mich wäre dies, wenn mein Mann so empfunden und agiert hätte (so wie du dein Handeln und deine Reaktionen darstellst), nicht möglich gewesen.
Denn - ganz ehrlich - dieses Misstrauen macht krank und lässt einen Dinge tun, die man selbst als unwürdig empfindet. Dadurch geht weiteres Selbstbewusstsein flöten, bis es irgendwann weg ist.
Das wiederum hätte fatale Folgen für dich bzw. dein Gefühl der Liebe für ihn.
Sich in einen Menschen erneut zu verlieben, der dermaßen mit sich und der Welt hadert, ist schwer bis unmöglich.
In der Regel gilt: um geliebt zu werden muss man sich selbst lieben.
Somit, wenn du dich in deinen Mann wieder verlieben möchtest (und das musst du, wenn du mit ihm alt werden willst), muss er wieder zu einem Mann werden, der sich selbst liebt.
Durch ständige Vorwürfe, Abweisungen... nimmst du ihm weitere Selbstachtung.
Du schreibst, dass dich sein Bedürfnis nach Nähe erdrückt. Das spürt er.
Nun, welcher Mensch möchte spüren, dass er anderen Menschen zu nahe ist bzw. unangenehm ist. Wenn es sich dabei dann auch noch um den eigenen Lebenspartner handelt, wird es demütigend.
Möglicherweise nährt er sein angeschlagenes Selbstbewusstsein aus der Tatsache, dass er dich mit offenen Armen zurückgeholt hat und erwartet Dankbarkeit. Nun, die darf er erwarten. Aber ist das gleichgesetzt mit Liebe?
Sicherlich ist Liebe auch immer eine eigene Entscheidung. Dennoch lässt sie sich nicht erzwingen.
Wenn du mit ihm zusammenbleiben möchtest, wenn du ihn wieder aus tiefstem Herzen lieben möchtest, musst du ihm helfen sein Selbstbewusstsein zurück zu erlangen.
Wenn du das nicht liefern kannst, wird es sehr schwer für euch beide.
28.06.2019 11:30 •
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