Hallo kekanina,
vielen Dank für deine gestrigen Erläuterungen. Inzwischen hat es ja noch einen regen Austausch zwischen dir und Tina (OneWay) gegeben, so dass ich überlege, ob ich überhaupt noch etwas hinzufügen soll.
Aber ich möchte noch ein paar der Eindrücke, die sich bei mir beim Lesen ergeben haben, schildern. Ist natürlich alles rein spekulativ (und du musst selbst entscheiden, ob meine Ausführungen dir lesenwert erscheinen). Jetzt (nach dem Schreiben) merke ich erst, wie lang mein Beitrag geworden ist...
Zunächst noch ein kurzer Kommentar zu den Eltern/Schwiegereltern. Es wäre sicher gut, wenn diese alt und erwachsen genug wären, die Beziehung zur Noch-Schwiegertochter in eigener Verantwortung zu regeln (bzw. wenn sie dazu aufgefordert werden könnten). Das heißt: Wenn sie es bevorzugen, den Kontakt zur Noch-Schwiegertochter abzubrechen, dann sollten sie ehrlich sein und es ihr selbst erklären (sicher kein leichter Schritt). Wenn sie sich dazu nicht durchringen können oder es auch gar nicht mögen, dann sollten sie aber ihren Sohn nicht auf dem Laufenden halten (Du, deine Ex war schon wieder hier!) oder sich bei ihm über sie beklagen (Weißt du was, es geht uns auf den Geist, dass deine Ex immer hier vorbeischneit). Andererseits sollten sie bei Besuchen der Noch-Schwiegertochter so viel Diskretion zeigen und ihr nicht die neuesten Neuigkeiten vom aktuellen Liebes- und Familienglück des Sohnes brühwarm erzählen.
Klar, kann man sagen: Die gute Frau ist ja selbst schuld, wenn sie sich so einer Qual aussetzt. Offenbar (so mein Eindruck) möchte sie so gut wie möglich informiert sein, um noch ein bisschen Kontrolle zu haben. Tatsächlich hat sie keine Kontrolle mehr über den Gang der Dinge, aber durch Information geht sie (wahrscheinlich unbewusst) davon aus, noch ein Zipfelchen Kontrolle in der Hand zu haben.
Das passt auch zu ihrem Versuch, genau zu ergründen, wann die emotionale Entfernung ihres Mannes begonnen hat. Auch wenn du beschreibst, dass die beiden nur noch eine WG führten, war für sie offenbar die emotionale Entfernung nicht greifbar. Deshalb versucht sie wahrscheinlich rückwirkend alle möglichen Situationen und Anlässe des gemeinsamen Lebens durchzugehen und abzuwägen, ob da, vielleicht da, schon etwas spürbar gewesen sein könnte. Das heißt, sie möchte die Kontrolle über ihre eigene vergangene Wahrnehmung wieder zurückgewinnen. Das Trennungsgespräch (zu dem ich gleich noch komme) könnte demnach für sie der totale Schock und Kontrollverlust gewesen sein.
Ihre chronische Krankheit (die ja leider unheilbar ist, wie du schreibst) hat ihr schon die Kontrolle über ihren Körper genommen. Das ist natürlich ein äußerst schmerzlicher Kontrollverlust. Zu wissen, mein Körper funktioniert einfach nicht mehr reibungslos, mein Körper verursacht mir ständige Schmerzen, mein Körper führt zu Schwäche und Müdigkeit und beschert mir, noch dazu, nässende, unangenehm riechende Wunden! Dadurch dass sie sich immer wieder einredet/e, das wird schon wieder, das geht von allein wieder vorbei, hoffte sie darauf, wieder Kontrolle zu bekommen. Sie selbst könnte ihre Krankheit durch eigene Kraft überwinden... Kann auch sein, dass sie sich über die gängigen Therapien kundig gemacht hat, aber heftige Medikamente (mit starken Nebenwirkungen) abgelehnt hat. Oder die Erfolgsaussichten bei der Behandlung sind (im Vergleich mit den Nebenwirkungen) so gering, dass sie davor zurückschreckte, überhaupt etwas auszuprobieren. (Ok, hört sich dümmlich an... aber auch bei schwerwiegenden Krankheiten handeln wir nicht unbedingt rational.)
Wenn sie im Nachhinein äußert, sie hätte doch zu Arzbesuchen oder Behandlungen gezwungen werden sollen, dann ja sicher, weil ihr jetzt das bittere Ende bewusst ist. Sie hat womöglich die ganzen Jahre hindurch, bei den Bitten oder Aufforderungen ihres Mannes, doch einen Arzt aufzusuchen, nicht geahnt (oder vielleicht nicht ahnen wollen), dass ihre weitere EHE davon abhängt und wie ernst es ihm tatsächlich ist.
Ja, und das mit dem Ernst lässt sich für alle Außenstehende (einschließlich dir selbst, kekanina) nun schlecht beurteilen. So wie Tina auch schon einwarf, kennen wir nur die Sicht der Dinge des Mannes und ich bin geneigt zu glauben, dass die zumindest nicht zu 100 % objektiv ist.
Denn es ist schon manches (zumindest so plakativ wie es in aus deinen Ausführungen hervorgeht) etwas erstaunlich.
Ein Mann erträgt es tatsächlich 6 von 8 Ehejahren lang (abgesehen von gelegentlichen Aufforderungen an die Ehefrau, doch etwas zu ändern)
- dass es keine Zärtlichkeiten und keine körperlichen Intimitäten mehr gibt (womit ja ein wesentlicher Bestandteil des Beziehungslebens fehlt, ein elementares Bedürfnis nach körperlicher Nähe und Einssein beständig nicht erfüllt wird und zudem eine kränkende Zurückweisung des Partners, der noch S. will, stattfindet)
- dass keine Urlaube und keine gemeinsamen Unternehmungen mehr stattfinden
- dass die Frau krankheitsbedingt keine Aufgaben in Haus und Garten mehr übernehmen will
- dass die Frau (von ihrer Persönlichkeit her) immer unselbständiger wird und gar keine Verantwortung tragen möchte.
Dass der Mann das alles einige Jahre geduldig erträgt, könnte unterschiedliche Gründe haben (bzw. eine Mischung von Gründen):
- er liebt sie schließlich - auch wenn sie krank (und dadurch schwach) ist
- er fühlt sich für sie und ihr Wohlergehen verantwortlich
- er hat großes Mitgefühl mit ihr
- er weiß im Grunde selbst, dass sich gegen ihre Erkrankung nicht viel machen lässt und weiß, dass sie gemeinsam damit leben müssen und das Beste daraus machen müssen (keine Ahnung, ob das sein könnte, denn ich kenne glücklicherweise diese Art von Krankheit nicht)
- er fühlt sich selbst (eben wegen dieser nässenden Wundmale) nicht mehr zu ihr hingezogen und geht deshalb körperlich selbst auf Distanz
- die Situation in der Beziehung ist/war in Wirklichkeit eben doch längst nicht so extrem wie hier beschrieben
- er ist beruflich so eingespannt, dass er die privaten Ärgernisse nur am Rande wahrnimmt
u. dgl.
Interessant ist jedenfalls, dass ihm die ganze Situation nicht während dieser 6 Jahre so unerträglich schien, dass er sich getrennt hat und auch nicht zu dem Zeitpunkt, als er sich in eine Kollegin (also dich, kekanina) verguckt hat, sondern erst, als zwischen euch schon eine ernsthafte Beziehung entstanden war.
Das Gespräch, um das er seine Frau gebeten hat (wie du schreibst), kann im Grunde nicht Gespräch genannt werden. Für ihn waren Zweck und Ausgang der Unterredung von vornherein klar, sie dagegen wusste (vermutlich) nicht, was auf sie zukommen würde. Sie hatte auch gar kein Mitspracherecht. Also handelt es sich wohl eher um eine Mitteilung.
Ich lasse jetzt mal meine Phantasie ein bisschen spielen und komponiere hier, aus dem, was in deinen Beiträgen zu erfahren war, eine (absichtlich) überspitzte Variante der Trennungsmitteilung.
Mann und Frau sitzen nach dem Abendessen am Tisch. Während der Mann abräumt (natürlich er! Sie ist ja, wie immer, zu schwach...), bittet er seine Frau, noch sitzen zu bleiben, denn er müsse noch mit ihr reden. Sie merkt an seinem Tonfall, dass nichts Gutes auf sie zukommt und sitzt abwartend..., spielt mit ihrem Glas..., sagt, bemüht locker: Klar, Liebling, was gibt's?
Er beginnt schließlich die Mitteilung (die er sich schon lange im Kopf zurechtgelegt hat): Hmm, du weißt ja, ich hatte dich ja schon lange gebeten, doch endlich mal was gegen deine Krankheit zu machen... Nee, unterbrich mich jetzt nicht. Fakt ist, dass du alle meine Bitten in den Wind geschlagen hast. Weder bist du zum Arzt gegangen, noch hast du eine Kur beantragt, noch hast du Medikamente eingenommen. Dafür hast du immer mehr abgebaut, bist zu schwach für Unternehmungen, für Urlaube, für S., fürs Putzen und Schnee schippen. Meinst du etwa, mir macht so ein Leben an deiner Seite Spaß? Für meinen Kinderwunsch warst du auch nie offen. Nein, du brauchst jetzt gar nichts erwidern. Ich sag dir eins: Es ist jetzt aus. Mir reicht's, ich brauche eine starke Frau an meiner Seite. Eine Frau, mit der ich das Leben richtig teilen kann!
Ach, komm mir nicht damit, dass du jetzt für uns oder für dich und deine Gesundheit etwas tun willst. Hörst du, es ist jetzt zu spät. Ich habe mich in unsere Kollegin Kekanina verliebt. Oh, hättest du nicht gedacht? Aber nein, es nützt nichts, wenn du mir verzeihen willst und mit mir an der Ehe arbeiten willst. Der Zug ist abgefahren. Du musst wissen, dass ich mit Kekanina schon mehrere Monate eine Affäre habe und mit ihr schon konkrete Zukunftspläne inklusive Haus, Familie etc. habe. Mit Kekanina kann ich ein neues Leben beginnen, ein Leben, wie ich es mir vorstelle. Kekanina gibt mir das, was du mir immer vorenthalten hast, sie ist außerdem zupackend und unternehmungslustig, etwas, was ich bei dir immer vermisst habe... Warum heulst du jetzt? Warum bist du so schockiert? Unsere Ehe ist doch schon seit Jahren keine mehr, sondern nur noch eine Wohngemeinschaft... das wirst du doch selbst zugeben müssen. Nein, nein, ich sag's dir doch, es gibt keine Zukunft mehr für uns beide. Wir sind ab sofort getrennt.
Frau sitzt fassungslos schluchzend am Tisch. Mann geht in ein anderes Zimmer und zückt sein Handy: Ja, ich hab's geschafft, Schatz. Ich hab mich getrennt. Irgendwie sieht sie es überhaupt nicht ein. Ist hier am Rumheulen. Aber sie wird es schon kapieren, wenn ich ausziehe.
Nur so meine wilde Phantasie zu diesem traurigen Trennungsdrama. Jedenfalls für die Frau, so scheint mir: absoluter Kontrollverlust.
Übrigens (ohne zu wissen, wer nun von beiden die körperliche Nähe aufgrund der Krankheit abgelehnt hat) habe ich noch so eine (trübe) Idee:
Wenn die Frau sich schon (wegen dieser doofen Wunden) nicht mehr attraktiv genug für ihren Mann (der sie ja schließlich gut kannte und schon mit ihr lange beisammen war, als die Krankheit mit all ihren Symptomen ausbrach) hielt, wie soll sie dann je (innerlich) davon ausgehen, noch einen anderen Mann zu finden? Ihre Hoffnung könnte also gering sein. Und je geringer ihre Hoffnung auf ein neues Glück, desto mehr wird sie festhalten wollen an dem, was sie zumindest einmal hatte.
Soo, das war mal mein frecher Versuch, eine Person und ihr Verhalten zu analysieren und zu deuten, obwohl sie mir überhaupt nicht bekannt ist.
Übrigens: Da die Frau ja über gute berufliche Qualifikationen verfügt und (trotz Krankheit!) offenbar beruflich weiterhin engagiert ist, ist nicht so ganz nachvollziehbar, warum sie im privaten Bereich derartig unselbständig sein sollte bzw. bleiben sollte. Ich würde darauf hoffen, dass sie ihren Grips (den sie doch hat, oder?) über kurz oder lang darauf verwendet, ihre Opferhaltung zu überwinden und neue Möglichkeiten für sich zu finden.
Die unbeantworteten E-Mails, die sie schreibt, mögen dir so erscheinen, dass sie sich damit selbst nur demütigt, für die Frau sind sie vielleicht ein Stück nachgeholtes Gespräch. Nach seiner abschließenden Mitteilung hat sie nun eben auch noch jede Menge mitzuteilen, zu (hinter)fragen und zu forschen...
Naja, ich wünsche euch allen Beteiligten möglichst viel Seelenfrieden.
Viele Grüße
Chiara
10.08.2011 11:30 •
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